# taz.de -- Auf der Spur der Vorfahren: Alles für ein Foto vom Familiensitz | |
> Martin Steffen aus Südafrika sucht das Haus, in dem sein Ur-Ur-Großvater | |
> die ersten Schritte getan hat. In den Hamburger Auswandererlisten wird er | |
> fündig. | |
Bild: Wertvolle Hilfe bei der Spurensuche: handschriftliche Auswandererliste de… | |
HAMBURG taz | New York, New York, immer wieder New York. Martin Steffen | |
schaut auf die Tabelle und überfliegt die Spalte, in der die Ankunftshäfen | |
aufgelistet sind. Er sucht die Spuren seiner Vorfahren, doch in dieser | |
Tabelle findet sich kein Hinweis darauf. | |
Zwar heißen die Personen, zu denen er Reiseinformationen vor sich hat, alle | |
auch Steffen mit Nachnamen. Doch die waren in die falsche Richtung | |
unterwegs, um etwas mit ihm zu tun haben zu können. Denn Martin Steffen | |
kommt aus Südafrika und er weiß, dass der Großvater seines Großvaters mit | |
dem Schiff aus Hamburg dorthin kam und in East London in Südafrika | |
anlandete. Doch von so einem Reisenden findet er gerade keine Spur. | |
Martin Steffen besucht die Ballinstadt in Hamburg – ein Museum für die | |
Geschichte der Auswanderung. Etwa sechs Millionen Menschen sind zwischen | |
1850 und 1934 über den Hamburger Hafen ausgewandert. Im Haus drei des | |
Museums, das historischen Auswandererbaracken aus Backstein nachempfunden | |
ist, gibt es einen kleinen Familienforschungsbereich. In einem Raum mit | |
grünen Wänden stehen sechs Rechner. | |
Martin Steffen sitzt vor einem der Computer, links neben ihm seine Frau | |
Marelize, rechts neben ihm steht Thabo Pholwana, ein Mitarbeiter des | |
Museums, der bei der Recherche hilft. Pholwana stammt wie die Steffens aus | |
Südafrika, aber das ist nichts als Zufall. An diesen Rechnern gibt es einen | |
kostenlosen Zugang zur eigentlich gebührenpflichtigen | |
Familienforschungsdatenbank [1][ancestry.de]. Der Anbieter kommt zwar aus | |
den USA, doch hier gibt es nur Zugang über die deutsche Website mit einer | |
Suchmaske auf Deutsch. Da die Steffens kein Deutsch sprechen, muss Pholwana | |
übersetzen. | |
In die Datenbank werden auch Daten aus den Hamburger Archiven eingespeist: | |
Schwerbehinderte digitalisieren die Auswandererlisten in einem | |
Arbeitsmarktprojekt und speisen sie in die Ancestry-Datenbank ein. Da | |
stehen dann Informationen zu den Passagieren, die per Schiff das Land | |
verlassen haben: Name, Herkunftsort, Alter, Beruf, Auswanderungsziel. Und | |
Daten zum Schiff: Wie es hieß, welcher Reederei es gehörte und wer der | |
Kapitän war. | |
Bisher waren nur die Auswandererlisten aus den Jahren von 1877 bis 1914 in | |
der Datenbank – in diesem Sommer kamen 27 weitere Jahrgänge hinzu. Nun kann | |
man die Informationen zu allen Menschen, die zwischen 1850 und 1914 | |
ausgewandert sind, digital finden. Im Spätherbst sollen weitere vier | |
Jahrgänge aus den 1920ern folgen. Insgesamt sind schon 4,6 Millionen | |
Hamburger Datensätze in der Datenbank. | |
Daraus muss man erstmal den richtigen Treffer finden. Martin Steffen hat | |
sein Blackberry und ein Notizbuch vor sich auf den Tisch gelegt, er schaut | |
mit skeptischem Blick auf die Suchergebnisse. Pholwana ermuntert die | |
beiden, weiter zu suchen, erklärt, fragt nach, scherzt. Steffen schreibt | |
die Namen seiner männlichen Vorfahren auf. Daneben die Geburtsdaten, die er | |
kennt. | |
Ausgerechnet das seines Vaters fällt ihm nicht ein. Seine Frau Marelize | |
ruft in Südafrika an, fragt nach. 1951. Einen Namen umkreist Steffen und | |
schreibt zwei Fragezeichen vor den Namen: Wilhelm, sein Ur-Urgroßvater. Er | |
weiß, dass dessen Vater August Steffen hieß, etwa 1878 von Hamburg aus mit | |
seinem Kind ausgewandert sein muss, und dass die Familie aus Brandenburg | |
stammt. | |
Jetzt will er wissen, wo genau sie herkommen. Eine der ersten Suchen ergibt | |
18 Treffer, doch keine Spur von August und Wilhelm. Dann weiten sie die | |
Suche aus, suchen vor allem über den Nachnamen. Die Datenbank wirft 1.000 | |
Steffens aus. Die meisten reisten nach Nordamerika, viele nach New York. | |
Über die südafrikanische Ausgabe von Ancestry ist Steffen einem Eintrag zu | |
seinen Vorfahren schon mal sehr nahe gekommen. In der Ergebnisliste hatte | |
er den Treffer, doch er konnte die Seiten mit allen wichtigen Details nicht | |
aufrufen. Deshalb ist er in die Ballinstadt gekommen. Doch Steffen ist | |
nicht extra hierfür nach Deutschland geflogen. Er ist durch seinen Job als | |
Servicetechniker einmal im Jahr zur Fortbildung in Hamburg, seine Frau | |
besucht ihn. | |
„Ich weiß schon lange, dass meine Familie aus Deutschland kommt. Doch woher | |
genau, das weiß ich nicht“, sagt Steffen. Sein Ziel: „Ich möchte das Haus | |
finden, in dem meine Vorfahren gelebt haben, und es fotografieren.“ Er weiß | |
nicht, ob das Gebäude noch steht. Aber er wünscht es sich. Seit drei Wochen | |
ist Steffen nun auf der Suche. | |
Der Anlass war ein Gefühl. Zuerst hatte er es in der Hafenstadt Durban in | |
Südafrika. „Es fühlte sich an, als wäre ich dort zu Hause, dabei wohne ich | |
woanders“, sagt Steffen. „Und dann hatte ich genau das gleiche Gefühl als | |
ich in Hamburg war“, sagt er. | |
Pholwana hilft den Beiden bei der Veränderung der Suchkriterien. Dann gibt | |
es einen vielversprechenden Treffer: Es gibt einen Eintrag für eine | |
Christiane Steffen, die mit ihrem Mann Wilhelm auswandert. Das kling | |
zunächst gut. Sie reisen mit einem Kind, das Auguste heißt – aber eben | |
nicht August. | |
Zwar sind diese Steffens nach East London gefahren, doch eigentlich zu | |
früh, um in die bisher bekannte Familiengeschichte von Martin Steffen zu | |
passen. Denn: Das Schiff „Wilhelmsburg“, mit denen Christiane, Wilhelm | |
Steffen und die Kinder gefahren sind, legt schon am 16. Oktober 1858 ab. | |
Und eigentlich suchten sie ja auch einen erwachsenen August, dessen Kind | |
Wilhelm hieß. | |
Sie können einen Scan des Originalbordbuchs der „Wilhelmsburg“ abrufen, das | |
Original liegt weiter im Staatsarchiv. Auf dem Bildschirm erscheint eine | |
Tabelle, die mit gestochener Handschrift ausgefüllt wurde. Die Schrift | |
steht etwas schräg, im immer gleichen Winkel stehen dort Namen und die | |
dazugehörigen Informationen. Zeile für Zeile. Die drei diskutieren kurz, | |
rechnen – doch kein Treffer. Sie suchen weiter. | |
Sie fangen noch mal von vorne an, verändern die Schreibweisen ihrer | |
Suchbegriffe – und werden schließlich fündig. Beim Schiffsnamen gab es ein | |
Missverständnis. Das Ergebnis steht auf einem Datenbankauszug: „Name August | |
Steffen, Datum der Abreise 10. Oktober 1877, Reiseziel East London, | |
Südafrika; Geschätztes Geburtsjahr: 1847, Wohnort: Bröllin, Brandenburg, | |
Beruf: Landmann“. Die Reise fand mit einem Segelschiff statt. Unter | |
„Haushaltsmitglieder“ findet sich dann der Hinweis auf den gesuchten | |
Ur-Urgroßvater: Wilhelm Steffen ist als Fünfjähriger ausgewandert. | |
Martin Steffen guckt zufrieden. „Oh, er hatte drei Geschwister“, sagt | |
Pholwana. Bertha, bei der Ausreise vier Jahre alt, Wilhelmine, zwei, und | |
Anna, neun Monate. „Bertha starb später bei der Geburt ihrer Tochter“, sagt | |
Martin Steffen. Doch was passierte mit den anderen Kindern – hatten sie | |
Nachfahren? Neue Aufgaben für den Familienforscher. | |
Doch jetzt füllen sie erstmal ein Formular aus, mit dem sie die gefundenen | |
Unterlagen bestellen – Pholwana wird ihnen die Ergebnisse per E-Mail | |
schicken, auch den Scan des Bordbuchs. Martin Steffen will die Spur weiter | |
verfolgen. Der nächste Schritt: Ein Besuch bei dem für den Ort Bröllin | |
zuständigen Register, aus dem die Familie um August Steffen stammt. Der Ort | |
gehört heute zur Gemeinde Fahrenwalde in Mecklenburg-Vorpommern, an der | |
Grenze zu Brandenburg. Wann Martin Steffen dorthin fährt ist noch nicht | |
klar. Doch er wird weiter suchen. Er will das Foto vom Familiensitz. | |
25 Aug 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://ancestry.de | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
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