# taz.de -- Die Wahrheit: Die Ehre des Exschurken | |
> Wie verhält es sich denn nun mit US-Präsident Obama und Syrien? Wie | |
> Barack Obama als Instrument Gottes walten könnte. | |
Bild: Barack Obama vor dem Weißen Haus. | |
Ein verbreiteter arabischer Witz erzählt von einem Schurken, der nach | |
jahrelangen Diebstählen, Schlägereien und ähnlichen Verbrechen zum „Pfad | |
Gottes“, zur Reue und zur Religion gefunden haben will. Vor dem | |
Freitagsgebet fragt der Schurke dann den Imam, ob er heute die Predigt | |
halten dürfe. Da der sunnitische Islam keinen Klerus kennt und jeden, der | |
männlich, erwachsen und bei Sinnen ist, als Prediger und Vorbeter | |
akzeptiert, lässt der Imam den Wunsch des Exschurken in Erfüllung gehen. | |
„Na! Wie war ich?“, fragt der Exschurke den Imam nach dem Ende seiner | |
Predigt zum Thema „Die Gebote und Verbote Gottes“ mit stolzem Ton. „Na ja, | |
im Prinzip hast du alles richtig gemacht“, antwortet der Imam und fügt | |
hinzu, „doch polierst nicht du demjenigen, der klaut, schlägt oder seinen | |
Mitmenschen irgendein Unrecht antut, die Fresse, sondern er wird von Gott | |
bestraft.“ | |
Dieser Witz bekommt nun eine politische Dimension in Anbetracht der | |
neuerlichen Drohungen des Weißen Hauses gegen die syrische Führung. Seitdem | |
Barack Hussein Obama darin wohnt und waltet, gilt das Weiße Haus im Nahen | |
Osten für viele Menschen als Exschurke und nicht mehr als Schurke. | |
Diese Menschen stellen sich allerdings im Moment die Frage: Wird Obama das | |
neue Bild aufrechterhalten können? Oder kommt die Sprache von George W. | |
Bush, Donald Rumsfeld und Dick Cheney wieder hoch, wie die letzten | |
Äußerungen des Weißen Hauses zum Fall Syrien erahnen lassen? | |
## Überschreitung der „roten Linie“ | |
Vorab und vor der „Predigt“ im Kongress am 9. September möchte man dem | |
Präsidenten zurufen: Lieber Obama! Wer auch immer im Nahen Osten verbotene | |
Waffen einsetzt oder woanders auf der Welt sündigt, den bestrafen die | |
zuständigen internationalen Organisationen, nicht du polierst ihm die | |
Fresse! | |
Ein verbreitete arabische (Un)sitte ist unter dem Begriff „Ehrenmord“ | |
bekannt. Ein Gedichtvers fasst es so zusammen: „Die verletzte Ehre bleibt | |
solange befleckt, bis das Blut fließt und alles bedeckt.“ Wer also in | |
seiner selbst- oder gesellschaftlich definierten und empfundenen Ehre | |
verletzt wird, soll zur Waffe greifen und die Schande mit Blut wegwischen. | |
Die „rote Linie“ des einzelnen Arabers verläuft dabei oft parallel zur | |
Gürtellinie der Mutter, Schwester und sonstiger weiblicher | |
Familienmitglieder. | |
Das Anfassen dessen, was über oder unter dieser Linie liegt, durch fremde | |
Hände gilt als Überschreitung der „roten Linie“ und erfordert blutrote | |
Racheaktionen. Nun hat sich Baschar al-Assad nach bisherigen Informationen | |
weder der Mutter noch der Schwester von Barack Obama unsittlich zu nähern | |
versucht. Dennoch liegt nach Auffassung vieler westlicher Politiker und | |
Journalisten eine Überschreitung einer anderen von Obama selbst | |
vorgegebenen „roten Linie“ vor, die nur mit einem Militärschlag und Blut | |
beantwortet werden kann. | |
Ansonsten seien die Ehre und der Stolz des stärksten Mannes der Welt dahin. | |
Es handelt sich um das über die Jahrtausende verloren gegangene elfte | |
Gebot: „Du sollst nicht Chemiewaffen einsetzen!“ | |
## „Sei ein richtiger Mann, komm, greif zum Messer!“ | |
Der US-Gott der internationalen Gemeinschaft weiß, wovon er redet, | |
schließlich setzte er schon Atombomben in Hiroschima und Nagasaki, | |
Napalm-Bomben in Vietnam und intelligente Bomben im Irak ein. Oft ist der | |
Betroffene zwar gar nicht gewillt, seine Ehre „reinzuwaschen“, die Freunde | |
aber lassen nicht locker: „Sei ein richtiger Mann, komm, greif zum Messer!“ | |
Lieber Obama, wer westliche Journalisten als Freunde hat, der braucht | |
wahrlich keine Feinde! | |
Apropos Feinde: Ein verbreitetes arabisches Vorurteil lautet: Der Westen | |
und der Islam vertragen sich nicht. Stimmt nicht mehr. Inzwischen haben | |
sich die Amerikaner nicht nur mit dem Islam, sondern auch mit den | |
Islamisten befreundet. Der Big-Scheich der Sunniten, Yusuf al- Qaradawi, | |
der den Muslimbrüdern nahesteht und noch vor zehn Jahren zum Töten von | |
amerikanischen Soldaten und Zivilisten im Irak aufrief, (er)fand vor Kurzem | |
bei seiner Freitagspredigt ein interessantes Argument zur Unterstützung | |
eines amerikanischen Angriffs auf Syrien. Demnach seien westliche Soldaten | |
die „Instrumente“, die „Gott“ den Muslimen zur Verfügung stelle, um �… | |
für die in Syrien beim Chemiewaffeneinsatz getöteten Zivilisten zu nehmen. | |
Lieber Obama, kein Ali, kein Mohammed oder gar Jesus Christus, nur du | |
allein hast diesen Titel verdient: der Oberbefehlshaber der Instrumente | |
Gottes! | |
5 Sep 2013 | |
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