# taz.de -- Lausitz: Gegen den Kohletod | |
> Proschim ist ein Vorreiter der Energiewende – und soll trotzdem dem | |
> Braunkohletagebau weichen. Der Kampf um die Zukunft spaltet das kleine | |
> Dorf. | |
Bild: Am Montag ketteten sich Greenpeace-Aktivisten an, um gegen den neuen Tage… | |
Auf den ersten Blick wäre Proschim ein idealer Ort, um einen Werbespot für | |
die Energiewende zu drehen. Auf den Feldern blüht gelb der Senf. Fünf | |
Windräder drehen sich sachte, das sechste wird gerade aufgebaut, drei | |
weitere sind geplant. Auf den Dächern glitzern Solarzellen, in den Scheunen | |
stehen Biogasanlagen. Das herausgeputzte Dorf mit seinen 330 Einwohnern | |
produziert längst viel mehr Energie, als es verbraucht – erneuerbare | |
Energie, ohne CO2-Ausstoß. | |
Petra Rösch würde in einem solchen Spot auftreten. Sie ist | |
Geschäftsführerin im Firmenverbund Proschim. Die daran Beteiligten bauen | |
Getreide an, halten Rinder und erzeugen viel Strom: Auf alle ihre Gebäude | |
haben sie Solarzellen geschraubt, 860 Kilowatt Leistung insgesamt. | |
Eines aber passt nicht in diese Idylle der Brandenburger Lausitz: der | |
Braunkohletagebau „Welzow Süd“, nur wenige Kilometer entfernt. Er bewegt | |
sich vorwärts, rund einen Meter am Tag. Wenn es nach Vattenfall geht, wird | |
Proschim deswegen weggebaggert. Ausgerechnet. | |
## Alle müssen raus | |
Proschim gehört zu Welzow, der „Stadt am Tagebau“, wie sie sich selber | |
nennt. Wenn der zweite Teilabschnitt des Tagebaus kommt, ist Welzow von | |
drei Seiten umschlossen, rund 800 Einwohner müssen ihre Häuser verlassen, | |
darunter alle Proschimer. | |
An diesem Dienstag ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur endgültigen | |
Entscheidung: Die Einspruchsfrist im sogenannten Braunkohleplanverfahren | |
endet. Beim ersten Beteiligungsverfahren hatte es über 5.000 Einwände | |
gegeben. Dann wurde der Plan nachgebessert, wieder gab es viel Einspruch. | |
Umweltverbände haben mehr als 112.000 Unterschriften gegen den Tagebau | |
gesammelt – allerdings nicht nur in der Lausitz, sondern in ganz | |
Deutschland. Voraussichtlich Anfang 2014 will die SPD-geführte | |
Brandenburger Landesregierung entscheiden. Und die ist grundsätzlich pro | |
Braunkohle. | |
Petra Rösch setzt sich gegen den neuen Tagebau ein. Sie beklagt die | |
drohende Umweltbelastung und dass der Abbau der Braunkohle nur rentabel | |
sei, weil Vattenfall keine Förderabgabe bezahlen müsse. Vor allem sagt sie: | |
Die Kohle wird doch gar nicht mehr gebraucht. Jedenfalls wenn man | |
Klimaschutz auch nur im entferntesten ernst nimmt. | |
Petra Rösch ist 58 Jahre alt, blond, ihre Augen sehen müde aus. Allein im | |
Betrieb gäbe es genug zu tun und dazu kommt der Kampf um die Zukunft des | |
Dorfes. Ihre Familie lebt seit Generationen hier. Nach der Wende haben sie | |
den Betrieb in den Kapitalismus überführt, 85 Mitarbeiter sind heute | |
beschäftigt. Rund 800 Hektar Fläche würden sie verlieren, wenn der Tagebau | |
kommt, sagt Rösch, die fruchtbarsten zudem. Sie müssten den Betrieb | |
zumachen. Am Ende entscheiden die Gerichte über die Zukunft des Dorfes, | |
glaubt Petra Rösch. „Niemand hat das Recht, unser Leben so zu zerstören.“ | |
In der Lausitz wurden schon viele Dörfer und Ortsteile wegen der Kohle | |
umgesiedelt. Auch Proschim sollte schon mehrfach verschwinden. Jedes Mal | |
entschied das Schicksal anders. Und dieses Mal? Viele arbeiten darauf hin, | |
dass der Tagebau kommt. Die Lobbyisten im Land auf Seiten der | |
Bergbaugewerkschaft IG BCE und des Vattenfall-Konzerns, der hier bis 2042 | |
Kohle abbauen will, 204 Millionen Tonnen. Bis dahin soll das Kraftwerk | |
Schwarze Pumpe laufen. | |
Auch im Dorf gibt es Leute, die es zumindest für falsch halten, sich | |
konsequent gegen den Tagebau auszusprechen. So wie Gebhard Schulz, der mit | |
seiner Bürgerinitiative „Zukunft Proschim Welzow“ 30 Familien um sich | |
geschart haben will. Petra Rösch nennt ihn einen „von Vattenfall | |
eingeschleusten Maulwurf“. Aber Rösch ist nicht nur Unternehmerin, sie ist | |
auch die Ortsvorsteherin von Proschim. Das macht die Sache schwierig. | |
Deutlich wurde das beim Dorffest vor ein paar Wochen. Wuskens Hof in der | |
Ortsmitte, ein denkmalgeschützter Vierseithof aus Backstein. Es gibt Bier | |
oder rote Brause aus Plastikbechern an diesem Sonntagvormittag. Einer von | |
Petra Röschs Mitstreitern kommt auf sie zu. Wie sie es nun machen sollen | |
mit den Unterschriftenlisten, fragt er. Petra Rösch antwortet leise, sie | |
flüstert fast: „Lass es, wir machen nur alles kaputt.“ Man sieht ihr an, | |
dass es ihr nicht gutgeht. | |
Tags zuvor hat Vattenfall einen Vorschlag in alle Briefkästen stecken | |
lassen, wie eine Umsiedlung aussehen könnte. Für die Kohlegegner der | |
Versuch, Fakten zu schaffen, bevor die Entscheidung gefallen ist. Aber | |
Rösch will die Auseinandersetzung nicht ins Fest hineinziehen: „Heute wird | |
gefeiert!“ Die Sängerin auf der Bühne trällert: „Wenn der Wein blüht an… | |
Donau, freuen sich die Menschen …“ Außerhalb des Hofs trifft sich ein | |
Dutzend Kohlegegner, um die jüngsten Ereignisse zu diskutieren. Auch | |
Wolfgang Nešković ist gekommen, der als unabhängiger Direktkandidat für den | |
Bundestag den Kampf gegen die Kohle zu seinem Thema gemacht hat. Im | |
Halbkreis stehen sie an der Straße, neben einem Schild, auf dem steht: | |
„Seine Heimat lässt man sich nicht abkaufen, seine Heimat verteidigt man.“ | |
## Ein Riss durchs Dorf | |
In Proschim ist viel los für ein Dorf seiner Größe, Backsteinkirche, | |
Gaststätte, Jugendclub, zwei Handvoll Vereine, man pflegt die sorbische | |
Tradition. Doch die Stimmung ist vergiftet. Durch Proschim geht ein Riss | |
zwischen den erklärten Tagebaugegnern und jenen, die sich zumindest damit | |
arrangieren wollen. In manchen Familien, wird erzählt, spricht man nicht | |
mehr miteinander, weil die einen gegen und die anderen für die Kohle sind. | |
Es gibt Streit, wo Unterschriften gesammelt werden dürfen, gegenseitige | |
Vorwürfe und nicht beweisbare Anschuldigungen. Von Stasi-Methoden ist die | |
Rede und davon, dass die Hörigkeit der Ex-DDR-Bürger ausgenutzt wird. | |
Gebhard Schulz wohnt nicht weit von der Zentrale des Firmenverbunds. Er ist | |
der Mann, der – glaubt man der Ortsvorsteherin – von Vattenfall angesetzt | |
wurde, Stimmung pro Tagebau zu machen. In den 90er Jahren zog er in ein | |
Haus, das schon geräumt war wegen der damals geplanten Tagebauerweiterung, | |
der die Wende zuvorkam. | |
Schulz ist 57, stämmig, gestutzter grauer Bart, die Haare zurückgekämmt. | |
Dass man ihn als Befürworter des neues Tagebaus bezeichnet, mag er nicht. | |
„Wenn der Tagebau nicht kommt, kann ich damit leben“, sagt er. Aber man | |
müsse vorbereitet sein und rechtzeitig mit Vattenfall verhandeln, um am | |
Ende nicht leer auszugehen. „Eine Blockadehaltung bringt doch nichts.“ | |
Als Freund der Kohle will sich Gebhard Schulz nicht bezeichnen lassen, aber | |
je länger er redet, desto mehr Argumente nennt er, die direkt aus einer | |
Hochglanzbroschüre von Vattenfall stammen könnten: Was soll man tun, wenn | |
keine Sonne scheint? Nur durch die Braunkohle können die Strompreise noch | |
einigermaßen gehalten werden. Und die Arbeitsplätze, nicht zu vergessen. | |
Man braucht die Kohle einfach, noch für eine ganze Weile. So sieht er es. | |
Und die Vorwürfe? Stimmten alle nicht, sagt er. Natürlich sei er nicht von | |
Vattenfall beauftragt. Der Konzern sei nur ein Sponsor des Vereins unter | |
mehreren. Sie seien völlig unabhängig. Im Gegensatz dazu repräsentiere die | |
Ortsvorsteherin nicht alle Proschimer. Sie habe ihre eigene Agenda. Und die | |
Aktivisten von außen hätten hier auch nichts zu suchen. Schulz, der erst | |
betont freundlich und sachlich gesprochen hat, redet sich ein bisschen in | |
Rage. Er bemängelt, dass es im Dorf nie eine Umfrage gegeben habe in Sachen | |
Tagebau. Und er schiebt die Verantwortung weit weg: „Entscheiden tun wir es | |
sowieso nicht, das tut das Land.“ | |
## Hoffen auf Entschädigung | |
Gebhard Schulz steht auf, denn er will jetzt beweisen, dass das alles gar | |
nicht stimmen kann. Keiner könne behaupten, dass er gerne wegwolle, sagt | |
er. Er zeigt seinen Garten, den Teich, das Schwimmbecken. Soll heißen: | |
Sehen Sie, wie gut es mir hier geht – aber notfalls ziehe ich weg, mit | |
einer hoffentlich großen Entschädigung von Vattenfall. Aber klar hat er, | |
der Gewerkschafter und Stadtverordnete von Welzow, auch Unterschriften | |
gesammelt – „pro Lausitzer Braunkohle“. | |
Apropos Kohle. Schulz muss das Gespräch abbrechen. Neben seinem Garten hat | |
ein Lkw angehalten, beladen mit sechs Paletten Briketts „Lausitzer | |
Qualität“. Schulz arbeitet als Lokführer bei Vattenfall, fünf Tonnen Kohle | |
bekommt er als Mitarbeiter im Jahr geschenkt. Er zieht sich Handschuhe an | |
und trägt die 10-Kilo-Packen in die Scheune. Er freut sich auf die Abende | |
am Kamin: „Ich habe es gerne gemütlich.“ | |
16 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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