| # taz.de -- Tag des Hundes: Der Menschenversteher | |
| > Wer sagt denn eigentlich, dass der Hund sich auf einer Party langweilt? | |
| > Über den Hund und seine Rolle im Zivilisationsprozess. | |
| Bild: Der Hund als Medium zwischen Mann und Frau. | |
| „Am Tag des Hundes wird die besondere Rolle des Hundes für die Gesellschaft | |
| gefeiert“, heißt es. Wer denkt sich so einen Scheiß aus? Egal, Hunde sind | |
| immer ein gutes Thema, auch wenn es sich in Berlin meistens auf deren | |
| Scheiße konzentriert. | |
| Dabei halten sich die verarmenden Berliner zunehmend weniger Hunde. Um den | |
| Proletariern die Haltung zu vermiesen wurde hier Ende des 19. Jahrhunderts | |
| die Hundesteuer eingeführt, heute kommt man dem Prekariat mit immer neuen | |
| Mieterhöhungen bei. Zumindest der Stadthund gilt als reiner Luxus, insofern | |
| er weder Wach- noch Hüte- oder Jagdaufgaben hat, er gehört zu den | |
| „companion species“ und hat soziale Funktionen. Die Hundeforscherin | |
| Katharina Rutschky meint: Wer dabei von „Ersatz“ redet, „kann natürlich … | |
| die Frage beantworten, warum auch Leute, die weder verwitwet noch arbeits- | |
| oder kinderlos sind, einen Hund haben“. | |
| Gleichwohl schreibt sie in ihrem Buch „Der Stadthund“ , dass er sich | |
| „unschuldig in einer evolutionären Sackgasse verlaufen hat“, weil nämlich | |
| „der Mensch mit ihm machen kann, was er will“. Hat das etwa seine „völli… | |
| Verblödung“ zur Folge gehabt, wie der Biologe Cord Riechelmann behauptet, | |
| der sich dabei auf die Philosophen Deleuze und Guattari stützen kann? | |
| Die in Berlin lebende Hundehalterin Katharina Rutschky ist zu dem genau | |
| entgegengesetzten Schluß gekommen: „Wer sagt denn eigentlich, dass der Hund | |
| sich auf einer Party langweilt, und nicht vielmehr evolutioniert?“ Und | |
| sowieso: "Im eigentlichen Sinne kann nur der Stadthund als bedeutendes | |
| Kommunikationsmedium gelten. Hunde auf dem Lande, ja schon solche mit | |
| eigenem Haus und großem Garten können wenig am Prozeß der Zivilisation | |
| mitwirken, weil sie dort, entgegen ihrer Neigung, als Naturwesen gehalten | |
| werden und darüber leicht vertrotteln. Gebildete Stadthunde, wie Kupfer | |
| (ihr Hund), finden sich überall zurecht, auch in Wald, Feld und Garten. Sie | |
| kennen die unterschiedlichsten Leute und Lebenssituationen und vor allem | |
| natürlich jede Menge andere Hunde von der Straße – wie soll ein Landhund da | |
| mithalten.“ | |
| Es geht der Autorin generell darum, Hunden die größtmöglichste Freiheit zu | |
| gönnen. Dies gilt auch für die amerikanische Hundeforscherin Elizabeth | |
| Marshall Thomas, die mit mehreren Schlittenhunden und einer Dingohündin | |
| zusammen lebte, vornehmlich indem sie deren Lebensäußerungen während ihrer | |
| städtischen und ländlichen Streifzüge wissenschaftlich protokollierte. Sie | |
| hielt sich mithin aus ihren Beziehungen raus – und so kam sie dann auch zu | |
| dem Schluß, dass „die Domestikation wenig Bedeutung hatte... Meist wollten | |
| sie leben wie Wölfe.“ | |
| Man kann sich jedoch fragen, ob die Domestikation vielleicht für andere | |
| Hunde doch bedeutsam war und ist? Sogar für die ganze Art, meint der | |
| US-Philosoph und Wolfsbesitzer Mark Rowlands, indem er eine einfache | |
| darwinistische Rechnung aufmacht: Es gibt heute über 40 Millionen Hunde auf | |
| der Welt, aber nur noch etwa 40.000 Wölfe. Wie steht es dabei mit denen, | |
| die ein Herrchen oder ein Frauchen haben – und in gewisser Weise ausgesorgt | |
| haben? | |
| ## Hunde mit Mehrwert | |
| 2002 betrug die weltweit für Haustierfutter und -versorgung ausgegebene | |
| Summe bereits 46 Milliarden Dollar, Tendenz steigend, vor allem im | |
| Marktsegment „Premiumfutter“. Darüberhinaus wird die Medizintechnik für | |
| Hunde immer aufwendiger, es gibt inzwischen psychologische | |
| Therapieeinrichtungen und Krankenversicherungen, die für Haustiere bereits | |
| zur Normalität werden, wie die US-Biologin und Hundebesitzerin Donna | |
| Haraway in ihrem Aufsatz „Hunde mit Mehrwert und lebendiges Kapital“ | |
| schreibt. | |
| Je weniger Leute sich einen Hund leisten können, desto mehr nimmt die Zahl | |
| der herrenlosen Hunde zu – vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten, | |
| aber auch in Arabien, Indien, Australien und Mexiko. Und dort in den großen | |
| Städten. Berlin ist eine große Ausnahme: Hier gibt es überhaupt keine | |
| herrenlosen Hunde, dafür 70.000 herrenlose Katzen. | |
| Im arabischen Raum waren bis vor kurzem noch fast alle Hunde herrenlos. Da | |
| im Islam der Hund als unrein gilt, sind sie über die Jahrhunderte | |
| entsprechend verwahrlost. Berühmt wurde einst das große menschengefährliche | |
| Rudel in Istanbul, in den meisten Städten sind diese jedoch so klein, dass | |
| ihre Reviere jeweils nur eine Straße umfassen. Zudem werden sie regelmäßig | |
| mit Ausrottungsaktionen überzogen. | |
| Das Gegenteil ist Rußland, wo es zwar infolge der allgemeinen Verarmung | |
| auch wieder viele herrenlose Hunde gibt, die jedoch zum Einen | |
| wissenschaftlich erforscht werden und zum Anderen zu vielen | |
| Lebensmittelläden und Einrichtungen (wie Flughäfen) quasi dazu gehören. In | |
| Moskau, wo es inzwischen sogar ein Denkmal für einen herrenlose Hund – | |
| namens [1][„][2][Maltschik]“ - gibt, hat der Kynologe Andrej Gontscharow | |
| vier Gruppen von herrenlosen Hunde unterschieden – je nach ihrer Distanz zu | |
| den Menschen, wobei eine Gruppe so gut wie keine Distanz einhält, weil sie | |
| gelegentlich Bewachungsaufgaben übernimmt und dafür gefüttert wird. | |
| ## Hunde mit Menschenkenntnis | |
| Nach Australien kamen mit den Weißen ab 1788 die ersten Haushunde. Sie | |
| paarten sich schon bald mit den Dingos, den „Hunden“, die zuvor die | |
| Aborigines mit auf den Kontinent gebracht hatten. Diese richteten sie | |
| jedoch nie ab: Menschen und Hunde jagten getrennt. Die Dingos verlegten | |
| sich dann auf die mitgebrachten Schafe der Weißen. Selbst der längste Zaun | |
| der Welt, der 5400 Kilometer lange [3][„][4][Dingozaun“], der die | |
| Schafweiden im Süden Australiens schützen soll, kann das nicht verhindern. | |
| Australische Dingoforscher gehen davon aus, dass durch die „Mischlinge“ das | |
| „komplexe Sozialgefüge“ der Dingos zerstört wird. Schon meinen einige | |
| Dingoschützer, dass die „reinen Dingos“ zum Aussterben verurteilt sind – | |
| durch Vermischung. | |
| Umgekehrt verhält es sich z. B. in Rumänien, wo die „reinen Wölfe“ | |
| angeblich seit dem Zusammenbruch des Sozialismus von verwilderten | |
| Haushunden aus ihren Revieren vertrieben wurden. Fest steht jedenfalls: Je | |
| näher die menschlichen Siedlungen den beiden kommen, desto erfolgreicher | |
| jagen die herrenlosen Hunde, weil sie mehr Menschenkenntnis haben als die | |
| Wölfe. | |
| Das „Primaten Forschungs Zentrum“ des Max Planck Instituts in Leipzig | |
| stellte kürzlich [5][Vergleichsexperimente] zwischen Schimpansen und Hunden | |
| an, wobei die Kognitionsforscher zu dem Ergebnis kamen, „dass Hunde die | |
| vermeintlich so klugen Menschenaffen um Längen schlagen, wenn es darum | |
| geht, Gesten von Menschen zu deuten“ und Worte in Beziehung zu den Dingen | |
| zu begreifen. Wölfe haben solche „kommunikativen Fähigkeiten“ noch weniger | |
| als die Menschenaffen. | |
| 10 Oct 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Maltschik | |
| [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Maltschik | |
| [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Dingozaun | |
| [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Dingozaun | |
| [5] http://www.eva.mpg.de/fileadmin/content_files/institute/pdf/press/MaxPlanck… | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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