# taz.de -- Queeres Berlin: Umzug ins Unbekannte | |
> Nach langen Jahren am Kreuzberger Mehringdamm eröffnet heute Abend das | |
> neue „SchwuZ“ im Neuköllner Rollbergviertel – nicht gerade eine | |
> Schwulenhochburg. | |
Thomas Sielaff steht in einem großen Raum, Staub liegt in der Luft. Etliche | |
Menschen wuseln herum, sie hämmern, schrauben, räumen die Bars ein oder | |
hängen Deko auf. Paletten liegen im Weg, Kabel gucken aus den Wänden, nur | |
die große Discokugel hängt schon. Es ist Mittwochabend in der alten | |
Kindl-Brauerei in Neukölln, und in den Räumen, wo einst die Biertanks | |
gelagert wurden, soll in drei Tagen das „SchwuZ“ neu eröffnen. Aber noch | |
sieht nichts danach aus, als könnten hier bald zu Hunderten Feierwütige | |
einfallen. Thomas Sielaff ist trotzdem zuversichtlich: „Am Samstag wird | |
alles so weit fertig sein, dass man hier Party machen kann.“ | |
Thomas Sielaff ist 34 und eigentlich der Pressesprecher des SchwuZ, aber in | |
den letzten Wochen war sein Job vor allem, zu beschwichtigen. Denn der | |
Umzug ist nicht unumstritten, obwohl Sielaff immer wieder die Vorteile | |
hervorhebt: Die neue Location ist etwa doppelt so groß wie die alte, was | |
vor allem bessere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter bedeute. Es gibt | |
jetzt eine fest installierte Bühne für Konzerte, wegen der höheren Decken | |
sei der Sound nun besser. Einen hohen sechsstelligen Betrag hat das SchwuZ | |
für den Umzug ausgegeben. „Es gibt keinen Weg zurück zum Mehringdamm“, | |
stellt Sielaff klar. Und doch bleiben die Fragen, die viele bewegen: Wird | |
das SchwuZ in Neukölln so familiär bleiben, wie es ist? Werden die neuen | |
Räume schön? Wie ist die Gegend? | |
## Reichlich Diskussionen | |
Die Gegend, das Neuköllner Rollbergviertel, ist seit Jahren als sozialer | |
Brennpunkt verschrien und wird diesen Ruf – aller Gentrifizierung zum Trotz | |
– einfach nicht los. Es ist eine Gegend, in der queer sein noch lange nicht | |
so selbstverständlich ist wie in Kreuzberg. Das sorgte vor dem Umzug für | |
reichlich Diskussionen – denn das SchwuZ ist als Verein organisiert, jedes | |
Vereinsmitglied kann über alle Angelegenheiten des SchwuZ mitbestimmen. Als | |
die Idee des Umzugs im Verein diskutiert wurde, war die Meinung zunächst | |
gespalten: „Viele von den Älteren haben gesagt: Neukölln, ist da überhaupt | |
was? Die Jüngeren waren da aufgeschlossener“, erzählt Sielaff. Lange wurde | |
diskutiert, sogar eine Liste mit Pro und Kontra gemacht. Die Entscheidung | |
brachte schließlich eine gemeinsame Besichtigung der neuen Räume: „Da waren | |
wir alle ziemlich beeindruckt“, sagt Thomas Sielaff. | |
Der Verein ist nun überzeugt – die Gäste noch lange nicht. Vor einer Woche | |
feierte das SchwuZ seinen Abschied vom Mehringdamm. Die Schlange reichte | |
schon um 23 Uhr über den gesamten Gehweg. Ist es für viele hier der letzte | |
Besuch im SchwuZ? „Vorbeischauen werde ich in Neukölln auf jeden Fall, | |
allein schon um zu gucken, wie es so geworden ist“, so Angela Reichelt, | |
eine der Wartenden. „Aber dass das SchwuZ nach Neukölln zieht, find’ ich | |
scheiße.“ Denn dort habe sie „schlechte Erfahrungen gemacht“, erzählt d… | |
33-Jährige. Kerem dagegen sieht den Umzug positiver: „Ich find’s cool, | |
allein schon, weil ich da wohne!“ Angst vor Homophobie hat der 19-Jährige, | |
der am Rathaus Neukölln wohnt, nicht: „Bei mir um die Ecke ist ein | |
Schwulen-Café, und mir selbst ist auch noch nie was passiert.“ | |
Es ist nicht der erste Umzug, den das SchwuZ hinter sich hat. Angefangen | |
hat alles 1974 in Kreuzberg mit der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), | |
die den ersten Christopher Street Day in Berlin organisierte. Aus der HAW | |
ging drei Jahre später das SchwuZ hervor, das seine erste Heimat in der | |
Schöneberger Kulmer Straße fand. Später ging es in die Hasenheide, bis das | |
SchwuZ 1995 schließlich dorthin zog, wo es bis vor einer Woche war: | |
Mehringdamm 61, Kreuzberg. | |
„Man könnte sagen, das SchwuZ ist an Umzüge gewöhnt“, so Thomas Sielaff. | |
Und doch ist dieses mal etwas anders: „Früher war es immer so, dass wir | |
raus mussten. Diesmal war es so, dass wir raus wollten.“ In den alten | |
Räumen wurde der Platz langsam knapp, bei Regen tropfte Wasser hinein und | |
auch mit den Vermietern gab es immer wieder Differenzen. Im Frühjahr dieses | |
Jahres ergab sich dann eine Möglichkeit: In Neukölln waren Räume in der | |
einstigen Kindl-Brauerei frei. Vorher residierte dort der „Cube-Club“, der, | |
erst März 2012 eröffnet, Anfang des Jahres schon wieder Insolvenz anmelden | |
musste. | |
Trotz des Scheiterns der Vorgänger – oder zum Trotz – will das SchwuZ in | |
Neukölln so viel Party machen wie noch nie: Donnerstags wird es eine neue | |
Electro-Party geben, damit wird dann von Mittwoch bis Samstag jeden Abend | |
gefeiert. Wie viel ist da noch übrig geblieben von den politischen Wurzeln? | |
„Es ist in den letzten Jahren ein bisschen weniger geworden, aber wir | |
wollen unsere politische Seite wieder mehr beleben“, sagt Thomas Sielaff. | |
Beim transgenialen CSD sei man seit zwei Jahren dabei, und zur Berlinale | |
wolle man mit dem Teddy-Award gemeinsam eine Aktion für Homosexuelle in | |
Russland starten. | |
## Neue Orte für die Szene | |
Mit dem Umzug verliert der Mehringdamm schon die zweite große Institution | |
der queeren Szene: Bereits im Mai eröffnete das Schwule Museum, bis Oktober | |
2012 am Mehringdamm zu Hause, in Tiergarten neu. Und während sich in | |
Kreuzberg die queere Szene auszudünnen scheint, hat sich in Neukölln längst | |
eine neue etabliert: Bars wie das „Silver Future“ in der Weserstraße oder | |
„The Club“ in der Boddinstraße bieten seit Jahren einen genuin queeren | |
Platz zum Trinken, Flirten und Feiern. | |
Jetzt kommt mit dem SchwuZ der erste queere Club. Mit einem | |
25-Stunden-Partymarathon beginnt man heute am Samstag die Zeit in Neukölln, | |
56 DJs werden insgesamt auflegen. Einer von ihnen wird Thomas Sielaff sein. | |
„Nach dem Ansturm zur Abschiedsparty hoffe ich, dass es mindestens genauso | |
voll wird und die Leute Spaß haben“, sagt er. „Dann bin ich glücklich.“ | |
15 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaas-Wilhelm Brandenburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |