# taz.de -- Interview zur Sauerkrautdisko: „Das kann eine Orgie werden“ | |
> „Sauercrowden“ ist die hedonistische Antwort auf eine unkontrollierbare | |
> Lebensmittelindustrie. Sagt der Veranstalter der ersten Berliner | |
> Sauerkrautdisko. | |
Bild: Zwischen Kohlkopf und Sauerkraut liegen drei Stunden Tanzen. | |
taz: Herr Haase, ich tanze ja echt gerne. | |
Hendrik Haase: Ich auch. | |
Gegen Kraut ist auch erst einmal nichts einzuwenden. Aber tanzen auf Kraut? | |
Ich hatte dieses Bild im Kopf. Leute, die auf Kraut tanzen. Den Kohl hobelt | |
man ja in feine Streifen, und damit daraus Sauerkraut wird, muss man den | |
gut massieren. Das kann man mit der Hand machen, man kann den kneten. Oder | |
man kann eben wirklich darauf rumtanzen. So ähnlich wie beim Weintreten. | |
Und wenn dazu noch Musik läuft, dann ist das ein cooles Ding. Ein bisschen | |
wie die Schnippeldisko. | |
Das war gleich noch mal was? | |
Wir machen seit zwei Jahren jedes Jahr eine große Schnippeldisko hier in | |
Berlin, auf der wir Gemüse verarbeiten, das nicht marktgängig ist – zu | |
klein, zu dick, zu dünn. Und daraus kochen wir eine Riesensuppe. Die Idee | |
ist entstanden, weil wir eine Tonne Gemüse angeboten bekommen hatten, und | |
nicht wussten, wie wir das klein kriegen sollen. Dann haben wir gesagt: Wir | |
machen daraus eine fette Küchenparty. Und dann sind eben dreihundert Leute | |
gekommen. Dieses Jahr waren es schon siebenhundert. Da ist das Schnippeln | |
in einer Stunde geritzt. | |
Und wer hat die Suppe gegessen, die aus einer Tonne Gemüse gemacht wurde? | |
Die gab es dann auf der „Wir haben es satt“-Demo für gutes Essen und gute | |
Landwirtschaft. Jedenfalls haben wir da das erste Mal diese beiden Elemente | |
verbunden, die für mich ganz normal sind: Essen zubereiten und Musik. | |
Inzwischen verbreitet sich die Schnippeldisko auf der ganzen Welt. | |
Zurück zum Kohl. | |
Das Sauerkrautmachen ist ja eine recht simple Tätigkeit, die eine | |
Generation vor uns noch jeder kannte, weil es einfach Tradition und auch | |
überlebenswichtig war. Wie geil ist Sauerkraut: Man verarbeitet den Kohl | |
ohne jegliche Konservierungsstoffe, nur mit Arbeitskraft und | |
Milchsäurebakterien, die fliegen in der Luft rum. Und dann hält sich das | |
ein halbes Jahr in der Speisekammer. Wenn wir heute nicht mehr wissen, wie | |
das geht, dann können wir das auch nicht an unsere Kinder weitergeben. | |
Müssen wir auch nicht. Sauerkraut gibt es ja im Glas. | |
Klar. Ich sage ja auch nicht, dass man jedes Mal sein eigenes Sauerkraut | |
machen muss. Aber das ist wie beim Brotbacken: Wenn man es einmal gemacht | |
hat, dann hat man ein anderes Verständnis dafür. | |
Wo kommt der Kohl für die Party denn her? | |
Der wächst in Gatow, das ist sogar noch im Stadtgebiet von Berlin. Bei | |
einem Biobauern, den wir kennen. Der gibt uns 500 Kilo Kohl, und was wir | |
machen müssen, ist: Den Kohl schnippeln, drauf rumtanzen oder kneten und in | |
kleine Gläser füllen. Nach ein paar Wochen hat jeder sein eigenes | |
Sauerkraut. Davon schmeißt glaube ich keiner die Hälfte weg wie vielleicht | |
bei einer Dose Sauerkraut, von der man nicht weiß, wo es herkommt und wie | |
es entsteht. Das ist eine der Kernideen von Slow Food: Schüttel die Hand, | |
die dich ernährt. | |
Ist das die Philosophie hinter der Aktion? | |
Ja. Wir machen das ja am „Terra Madre“, das ist ein weltweiter | |
Slow-Food-Aktionstag, an dem es um die regionale Esskultur geht. Und wir | |
machen das eben nicht oberlehrerhaft, indem wir sagen, wie viel | |
Kohlendioxid jeder an dem Abend gespart hat. Sondern mit einem Fest. | |
Ist diese Einstellung nicht eh schon angekommen in der Zielgruppe, die Sie | |
mit dem Sauercrowden erreichen wollen: Bio und selber machen, solange es | |
Spaß macht? | |
Na ja, ich bin selbst verwundert, dass das Fernsehen mit einem | |
Übertragungswagen vorbeikommt. Nur weil da ein paar Leute Sauerkraut | |
machen. Daran sieht man ja, dass daraus etwas Besonderes geworden ist, dass | |
es anscheinend notwendig ist. | |
Aber muss es unbedingt eine coole Party sein? | |
Klar, Hedonismus gehört zum Essen dazu. Das kann ein Fest sein und auch | |
gern eine Orgie werden. Dass das nicht völlig sinnfrei, unmotiviert und | |
unpolitisch daherkommen muss, ist auch klar. | |
Was ist politisch am Sauercrowden? | |
Im Grunde ist das doch das Revolutionärste, was man tun kann: seine eigenen | |
Lebensmittel herstellen. Das ist eine Antwort auf das Lebensmittelsystem, | |
das uns umgibt, das wir kritisieren, bei dem wir die Kontrolle verloren | |
haben. So eine Party ist etwas, was man tun kann, ohne dass es diese | |
wahnsinnige Schwere hat, die ein Gastrosoph mal den „Fast-Food-Platonismus“ | |
genannt hat. Ist das vegan, glutenfrei, bio, kalorienarm, sonst was? Essen | |
ist oft erst einmal ein Problem. Das ist eine Einstellung, die ich gern vom | |
Tisch haben würde. Essen ist im besten Fall erst einmal Befriedigung. Lass | |
doch mal die Sau raus. Und wenn es beim Sauercrowden ist. | |
Ist es denn noch Slow Food, wenn man mit 120 Beats per Minute auf Weißkohl | |
rumtrampelt? | |
Da ist wieder das große Missverständnis: 40 Mal kauen, Schnecken und | |
Schildkröten essen, ist nicht Slow Food. Slow bezieht sich auf die | |
Entschleunigung des Essens, beim Zubereiten und in der Produktion. Und zwar | |
nicht nur an Weihnachten. Da würde ja auch keiner auf die Idee kommen, sich | |
eine schnelle Pizza reinzupfeifen. | |
Will ich denn das Sauerkraut essen, auf dem ein paar Hundert Leute mit | |
undefinierter Fußgesundheit getanzt haben? | |
Wir haben Tänzer vom Sauerkraut-Varieté da, die tanzen tatsächlich auf dem | |
Kraut. Das Kraut, das man sich später im Glas mit nach Hause nimmt und das | |
bei entsprechender Behandlung leckerstes Sauerkraut wird, das kann man | |
bitte auch mit der Hand kneten. | |
Wie mögen Sie Ihr Sauerkraut am liebsten? | |
Mit Rosinen und Pinkel [norddeutsche Wurst, Anm. d. Red.]. | |
9 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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