# taz.de -- Ex-Boxer Mike Tyson: Der traurige Clown | |
> Mike Tyson versucht sich als Comedian und Buchautor. Auch in diesen | |
> Rollen kann er nicht dem Teufelskreis entfliehen, der sein Leben | |
> bestimmt. | |
Bild: Toxische Mischung aus Selbstüberhöhung und Selbsthass: Mike Tyson. | |
NEW YORK taz | Mike Tyson ist wirklich gut auf der Bühne, das muss man ihm | |
lassen. Der Exchamp hat unbestreitbar komisches Talent, er bewegt sich so | |
behände und bestimmt über das Parkett, als sei es ein Boxring. Sogar sein | |
Lispeln vermag er bei seiner Ein-Mann Show noch zu seinem Vorteil | |
einzusetzen. | |
Wenn Tyson beispielsweise seinen Mentor und Ersatzvater Cus D’Amato | |
imitiert, dann lässt die zischelnde Aussprache das kleine, energiegeladene | |
Männchen, das ihn zum jüngsten Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten | |
gemacht hat, lebendig werden. Man kann herrlich nachvollziehen, wie | |
verschüchtert der junge Tyson gewesen sein muss, als D’Amato ihn nachts um | |
drei geweckt hat, um ihm die Schlagkombinationen einzubläuen, die ihn | |
unbesiegbar machen würden. | |
Witzig ist auch, wie Tyson von einem Ende der Bühne zum anderen rennt, um | |
seine zwei Leben von damals vorzuführen – das Leben in seiner behüteten | |
„weißen Familie“, der D’Amato-Boxschule im Catskill-Gebirge und dem | |
Ghettoleben im Brownsville-Bezirk von Brooklyn, wo er beim Stadturlaub | |
regelmäßig wieder in seine alte Rolle des unerziehbaren Jugendstraftäters | |
schlüpfte. Wie ein Comedy-Profi vermag Tyson auf Kommando Dialekt, | |
Stimmmodulation und Mimik umzuschalten. | |
Die größten Lacher bekommt Tyson aber, wenn er einfach nur er selbst ist. | |
In keinem Augenblick der Bühnenshow „The Undisputed Truth“ ist er so | |
lebendig, wie während der fast zehnminütigen Nacherzählung der | |
Straßenprügelei mit seinem Boxkollegen Mitch Green in Harlem 1988, bei der | |
sich Tyson die Hand brach und Green in einen verquollenen Brei verwandelte. | |
Noch heute ist Tyson stolz darauf, wie er es „diesem Gorilla“ besorgt hat. | |
Bei der satt mit Kraftausdrücken gepfefferten Rekonstruktion jener | |
Ghettobegegnung glühen Tysons Augen. | |
## Schamlosigkeit und Selbstironie | |
Das alles funktioniert innerhalb der Grenzen des Comedy-Genres wunderbar, | |
auch und gerade, wenn man die Grundzüge der Tyson-Tragödie kennt: seine | |
Kindheit in einem kaputten, von Drogen und Alkohol bestimmten Haushalt, den | |
rasanten Aufstieg zum Champion; die Vergewaltigungsklage, die Zeit im | |
Gefängnis, den Totalbankrott trotz einem geschätzten Verdienst von 400 | |
Millionen Dollar, das unrühmliche Karriereende mit dem Biss in das Ohr von | |
Evander Holyfield und schließlich die nicht enden wollende Drogenkarriere. | |
Als Bühnenspaßmacher kann Tyson all das mit genau der Mischung aus | |
Schamlosigkeit und Selbstironie zum Besten geben, die gute Comedy von Jerry | |
Seinfeld bis zu Louis C. K. nun einmal ausmacht. | |
Was all das nicht ist: die „Undisputed Truth“, die unbestrittene Wahrheit, | |
wie die Show ebenso wie das Buch, das Larry Sloman daraus gemacht hat, | |
heißt. Wer glaubt, dass er mithilfe der 580 Seiten eine der | |
kompliziertesten Sportlergestalten des letzten Jahrhunderts endlich zu | |
greifen bekommt, der wird eine massive Enttäuschung erleben. Was man da vor | |
sich hat, ist eine Karikatur, die „Replikation eines tragischen Lebens als | |
Farce“, wie die Schriftstellerin und Boxkennerin Joyce Carol Oates im New | |
York Review of Books, frei nach Karl Marx, treffend schrieb. | |
Die Inspiration zu dem Projekt kam Tyson, wie er sagt, als er in Las Vegas | |
den Bühnenmonolog des Schauspielers Chazz Palminteri sah. Palminteri wuchs | |
im Mafiamilieu der Bronx auf und ging wie Tyson durch die harte Schule der | |
Straße, bevor er es zu etwas brachte, ein Stoff, der Robert de Niro zu dem | |
Film „A Bronx Tale“ inspirierte. Tyson identifizierte sich mit Palminteri | |
und dachte gleichzeitig, „das kann ich auch.“ | |
## Von Vegas auf den Broadway zu HBO | |
Tyson setzte sich daran, seine eigene Show zu schreiben, und nur Monate | |
später stand er selbst in Vegas auf der Bühne. Mit gehörigem Erfolg – der | |
verarmte Boxer hatte offensichtliches Talent als Clown. Das kam Regisseur | |
Spike Lee zu Ohren, er setzte sich mit Tyson in Verbindung, spitze die Show | |
zu, trainierte den Boxer ein wenig für die neue Arena und brachte die | |
„Unbestreitbare Wahrheit“ an den Broadway. Zwölf Abende gab Tyson dort, | |
bevor er mit dem Stück auf Tournee ging und schließlich beim Bezahlsender | |
HBO landete, der hierzulande unter anderem die Exklusivrechte auf | |
Boxübertragungen hat. | |
Etwas wirklich Neues erfährt man von Tyson dabei freilich nicht. Außer | |
vielleicht das Ausmaß seiner Drogenprobleme. Drogen waren in Tysons | |
Elternhaus allgegenwärtig, und er hat sie während seiner gesamten Karriere | |
benutzt – angefangen im D’Amato Camp in den Catskills, aus dem er immer | |
wieder ausgebrochen ist. „Ich wusste ja nicht einmal, was das Wort | |
Abstinenz bedeutet“, witzelt Tyson, „wie sollte ich sie da praktizieren?“ | |
Und natürlich ist seine Drogenkarriere auch alles andere als vorbei, er | |
ringt noch immer mit seinen „Dämonen“, wie er sagt. | |
Einmal, vor nicht all zu langer Zeit, habe er seine Frau Kiki high gemacht, | |
nur indem er sie geküsst habe, weil er noch so viel Kokain auf der Zunge | |
hatte. Das ist witzig gemeint, und Tyson erntet bei der Bühnenshow auch die | |
entsprechenden Lacher. So richtig lustig ist das allerdings nur, wenn man | |
sich nicht die Mühe macht, darüber nachzudenken. | |
Das gilt letztlich für das gesamte Werk. Man erlebt einen zutiefst | |
verstörten Geist in Aktion. Tyson bleibt in eben jenem Spannungsfeld | |
gefangen, das ihn schon sein gesamtes Leben lang quält, jener „toxischen | |
Mischung aus Selbstüberhöhung und Selbsthass“, die er selbst als sein | |
Problem ausmacht, gegen die er aber machtlos bleibt. In einem Moment prahlt | |
er, wen er alles verprügelt hat, auf welchen Partys er war und wie viel | |
Kokain er geschnupft hat. Im nächsten Augenblick erkennt er sich selbst | |
„als arrogantes Arschloch“. Doch die Selbsterkenntnis hat keine Folgen, von | |
dem destruktiven Selbsthass vielleicht abgesehen, der ihn unter anderem | |
dazu geführt hat, sein Gesicht zu tätowieren: „Ich wollte wortwörtlich mein | |
Gesicht ausradieren.“ | |
## Am Ende bleibt Mitleid | |
Wie tief Tyson noch immer in seinen kaputten Mustern gefangen ist, wird | |
allein dadurch deutlich, wie viel Zeit er darauf verwendet, öffentlich alte | |
Rechnungen zu begleichen. Don King bekommt über Seiten und Seiten hinweg | |
als Bösewicht und Blutsauger sein Fett weg. Ebenso Tysons erste Ehefrau | |
Robin Givens, die ihn mit einer vorgetäuschten Schwangerschaft in die Ehe | |
gelockt hat, um Kontrolle über sein Vermögen zu bekommen. | |
Das Mitgefühl mit Tyson erreicht jedoch endgültig seine Grenze, wenn er | |
erneut seinen Vergewaltigungsfall aufrollt und seine Unschuld beteuert. Wie | |
Desiree Washington auf die Bühne gezerrt und als berechnende Verführerin | |
dargestellt wird, die den naiven, drogensüchtigen Champion ausnutzen | |
wollte, ist nur noch abstoßend. | |
Mitleid mit Tyson bleibt am Ende aber dennoch: Er ist ein trauriger Clown, | |
dem nichts mehr bleibt, als sich selbst zu karikieren. Einen Aufbruch in | |
eine neue Existenz als besserer Mensch, das wird hingegen in der | |
Performance und dem Buch deutlich, wird es so schnell nicht geben. | |
11 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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