# taz.de -- Besuch in der Bibliothek: Lebenshilfe in Quadratschrift | |
> Von Hannover aus versendet die Chinesische Leihbücherei ihre Medien | |
> deutschlandweit. Einen Lesesaal hat sie nicht, dafür berät sie die Leser | |
> auf Chinesisch. | |
Bild: Blickt ihren Lesern von Hannover aus auch mal in die Seele: Bibliotheksle… | |
HAMBURG taz | Auf der [1][Website] gibt es ein schlichtes PDF-Verzeichnis | |
auf Chinesisch: etwa 3.500 Titel; Bücher, Zeitschriften, DVDs und | |
Musik-CDs. Ähnlich schlicht ist das Waschbeton-Gebäude in der | |
Rotermundstraße in Hannover, in dem die Chinesische Leihbücherei sitzt. | |
Funktionelle Räume mit Teppichboden, eine zweireihige Regalflucht, | |
beidseitig mit Büchern bestückt. An der Tür steht „Freundeskreis für | |
Mission unter Chinesen in Deutschland“ (F.M.C.D.). Das ist der Trägerverein | |
der kleinen Bibliothek. | |
Wai Man Ho leitet die Versandbücherei. Aber damit ist ihre Arbeit nur | |
unzureichend beschrieben. Die persönliche Ansprache ist das Markenzeichen | |
der Bücherei. Die Kunden rufen bei Ho an, und dann geht es schnell um mehr | |
als nur Bücher. Ho kann etwa bei einer Wohnungssuche in einer neuen Stadt | |
helfen – oder sie hat, etwa bei privaten Problemen, eben ein passendes | |
Buch. | |
„Chinesen sind grundsätzlich sehr verschlossen und sprechen nicht über | |
private Probleme“, sagt Ho. „Ich merke aber, dass sie nach Antworten | |
suchen.“ Ho nimmt ein Buch über Kindererziehung in die Hand und lächelt. | |
„Ratgeber sind sehr gefragt“, sagt die 40-Jährige. „Die Erwachsenen von | |
heute wurden von einer Elterngeneration großgezogen, für die die Kinder | |
einfach da waren und aufwuchsen. Für sie ist es neu, mit Kindern mit viel | |
Geduld und Liebe umzugehen.“ | |
Viele der Ratgeber stammen aus dem christlichen Umfeld, aus einschlägigen | |
Verlagen in Taiwan oder Hongkong. Doch dieses Angebot interessiert auch | |
nicht- oder andersgläubige Chinesen, so Hos Erfahrung. „Da es in China | |
keine offizielle Religion gibt, sind Chinesen einfach sehr offen für | |
Wertvorstellungen jeder Art. Sie denken über den Sinn des Lebens nach“, | |
sagt sie. „Irgendwie vermitteln wir als christliche Organisation, dass sie | |
uns vertrauen können. Viele rufen wieder an.“ Ho beschreibt die | |
christlichen chinesischen Gemeinden in Deutschland als vergleichbar mit den | |
freikirchlichen. | |
Ho empfiehlt auch Bücher, die von typisch Europäischem handeln, wie etwa | |
von der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In „The hiding place“ zum Beispiel | |
erzählt ein Niederländisches Autorenpaar, wie sie Juden halfen und vor | |
Verfolgung retteten. „So eine Art Anne-Frank-Geschichte“, sagt Ho. | |
Sie hat Politikwissenschaften und Anglistik in Kiel studiert. Dass Ho das | |
kontrovers diskutierte Erziehungsbuch „Die Mutter des Erfolgs“ von Amy Chua | |
nicht kennt, ist sicher auch charakteristisch für diese Bibliothek, die von | |
praktizierenden Christen für ihre hier lebenden chinesischen Landsleute | |
konzipiert ist. Statt Chuas Rückbesinnung auf die vermeintlich gute | |
Tradition einer strengen Kindererziehung gibt es hier seelsorgerische | |
Erziehungsratgeber. Auch in der Paarbeziehung suchen viele Leser Hilfe. | |
Einen großen Teil der vorrätigen Titel gebe es nicht als E-Book, sagt Wai | |
Man Ho. Deshalb ist das physische Ausleihen oft die einzige Möglichkeit, | |
und die Nutzerzahlen bleiben über die Jahre konstant – etwa 5.000 | |
Haushalte. Das Gros der Leser ist zwischen 22 und 45 Jahre alt. | |
Der evangelische Pastor und Missionar Siegfried Glaw gründete die | |
Chinesische Versandbibliothek 1979 in Hamburg, wo er die Bücher zunächst in | |
seiner Wohnung unterbrachte. Anlass waren seine Kontakte zu den Boatpeople | |
der Cap Anamur. Als später die Flüchtlinge aus Vietnam, überwiegend | |
chinesischer Herkunft, über Deutschland verteilt wurden, wollte er ihnen | |
über muttersprachliche Bücher ein Stück Heimat vermitteln. | |
Heute arbeiten viele Leser in Restaurants. Darunter seien aber auch | |
Wissenschaftler und Mitarbeiter von Firmen, die mit deutschen Unternehmen | |
kooperieren, sagt Ho. Oder sie studieren in Deutschland, überwiegend | |
technische Fächer. Nicht zuletzt wegen der weiten Netzwerke, die sich durch | |
persönliche Kontakte ergeben, wird die Adresse der Chinesischen Bücherei | |
unter den Landsleuten weitergereicht. | |
Sobald die Leser eine Lesenummer haben, können sie bestellen. Die | |
Bibliothek verschickt die Bücher auf eigene Kosten, die Leihzeit beträgt | |
vier Wochen und kann dreimal verlängert werden. Dann schicken die Leser die | |
Bücher frankiert zurück. Ho bearbeitet mit zwei Helfern 80 bis 100 | |
Buchsendungen pro Woche. Der Finanzbedarf werde rein durch Spenden gedeckt | |
– von den Lesern selbst und aus der Community. Zum Budget will Ho nichts | |
Konkretes sagen. Man vertraue auf Gott, „dass er uns das irgendwie zukommen | |
lässt“. Für die Umstellung auf den Online-Verbund-Katalog (GBV) erhält die | |
Bücherei jetzt erstmals öffentliche Mittel. | |
Am Ausgang liegen Zeitschriften und Zeitungen, die sich mit farbigen | |
Cartoons an Erwachsene wenden. „Die Chinesen mögen es gerne etwas bunt und | |
kitschig. Nicht so ernsthaft wie die deutschen Zeitungen“, sagt Ho | |
schmunzelnd über das Blatt der europäischen chinesischen Christen. „Da | |
Chinesisch eine Quadratschrift ist, werden Zeitungsartikel bei uns außerdem | |
mal hoch, mal quer gesetzt. Je nachdem, wie es passt. Wir brauchen die | |
Zeitung zum Lesen nicht mal zudrehen.“ | |
14 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.chinese-library.de | |
## AUTOREN | |
Beate Barrein | |
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