# taz.de -- Israelischer Regisseur über Krieg: „Ich singe von der Kollaborat… | |
> Wie filmt man einen Kriegsverbrecher? Wie demonstriert man militärisches | |
> Denken? Der israelische Regisseur Avi Mograbi sucht darauf Antworten. | |
Bild: Dieser Mann tötete zwei Männer. Sein Gesicht zeigen will er nicht. Regi… | |
taz: Herr Mograbi, in Ihren Filmen spielt der Kampf zwischen Israelis und | |
Palästinensern eine zentrale Rolle. In „Z 32“ sieht man keine Waffen, | |
Panzer oder Uniformen. Stattdessen geht es um den Krieg im Kopf, darum, wie | |
das militärische Denken die privaten Beziehungen verändert: Kann man einem | |
Kriegsverbrecher vergeben, soll man das? Was gewinnen Sie mit diesem | |
Ansatz? | |
Avi Mograbi: Ich habe weder einen Ansatz noch eine Methode. Ich habe | |
Probleme, und die versuche ich zu lösen. Filme zu machen bedeutet vor | |
allem, einen Umgang mit Komplikationen zu finden. Bei „Z 32“ war es so: Ich | |
sitze seit zehn Jahren im Vorstand der Organisation „Breaking the Silence“. | |
2004 gegründet, sammelt sie Berichte von ehemaligen israelischen Soldaten, | |
die in den besetzten Gebieten eingesetzt wurden. Im Zuge dessen habe ich | |
mir viele Audioberichte angehört. Dabei stieß ich auf das Zeugnis eines | |
Elitesoldaten, der den Namenscode „Z 32“ bekommen hatte. Er erzählte, wie | |
er von seinem Kommandanten auf Rachefeldzug geschickt wurde und mitten in | |
der Nacht zwei palästinensische Polizisten erschoss. Jemand sollte einen | |
Film mit ihm machen, dachte ich. Einen ganz einfachen: einfach dieser junge | |
Mann vor einer Videokamera. | |
Dieser Jemand wurden Sie. | |
Ja. Damit hatte ich das erste Problem. Filmt man jemanden und trifft ihn | |
mehrere Male, baut man eine Beziehung zu ihm auf. Ich wollte aber keine | |
Beziehung zu einem Kriegsverbrecher. | |
Sie verwickeln sich immer persönlich mit Ihren Protagonisten. Das | |
berühmteste Beispiel ist Ihr Film „How I learned to overcome my fear and | |
love Arik Sharon“. Am Ende sieht man, wie Sie Ihrem politischen Gegner | |
zujubeln. | |
Deshalb habe ich ja so gezögert. Dann traf ich den Exsoldaten doch, er | |
kannte meine Filme und wollte gern mitmachen, aber sagte: „Du darfst mein | |
Gesicht nicht zeigen.“ Ich konnte ihn also nicht einfach vor eine Kamera | |
setzen, sondern musste Strategien finden, wie ich seine Gesichtszüge zeigen | |
kann, während er davon erzählt, wie er etwas Unmenschliches getan hat, und | |
das, ohne seine Identität preiszugeben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich | |
auf die Idee kam, ihm und auch seiner Freundin ein digitales Gesicht zu | |
geben. Das lässt Augen und Mund unverändert, schützt aber den Rest des | |
Gesichts wie eine Art Maske. Damit kam das nächste Problem, vielleicht das | |
größte. | |
Und das war? | |
Mit dem digitalen Gesicht hatte ich ihm ein Versteck gebaut. Das wollte ich | |
nun überhaupt nicht. Ich steckte also in einem Dilemma. Weshalb ich | |
beschloss, dieses zu kommentieren, und eine Art Musical entwickelte. | |
Der Soldat erzählt von seiner Vergangenheit, und Sie singen in Brecht’scher | |
Manier über Ihre Probleme, diese Geschichte zu dokumentieren. | |
Ich singe über das Problem der Kollaboration, genau. | |
Bei Ihren Filmen nehmen Sie stets verschiedene Rollen ein, sind Regisseur, | |
Protagonist und Kommentator – und auch Ehemann. Immer wieder setzen Sie | |
sich frontal vor die Kamera und erzählen etwa, dass Ihre Frau keine Lust | |
darauf habe, dass dieser Film in Ihrem Wohnzimmer gedreht werde oder Sie | |
wegen Ihrer Anhänglichkeit an Scharon verlassen habe. | |
Die Figur meiner Frau basiert zum Teil auf tatsächlichen Gesprächen. Aber | |
vor allem ist sie eine Möglichkeit, eine zweite Meinung in den Film zu | |
holen. Anstatt zu sagen „einerseits, andererseits“, habe ich einen | |
Charakter entworfen, mit dem ich vor der Kamera ein Zwiegespräch führen | |
kann. Die Ehefrau ist ja normalerweise das moralische Rückgrat, während der | |
Regisseur eher Schwäche verkörpert, da er sich vor allem um seine Karriere | |
sorgt. | |
Sie gelten als einer der umstrittensten Filmemacher in Israel. Provoziert | |
vor allem die Tatsache, dass Sie Kriegsverbrecher oder politische Gegner | |
wie Scharon in Ihr Wohnzimmer holen, also ins Private, und die | |
Verstrickungen jedes Einzelnen mit dem militärischen Denken thematisieren? | |
Die Aufregung um mich hat nichts mit meinen Filmen oder meiner Filmsprache | |
zu tun, sondern mit meiner politischen Haltung: Ich bin kein Zionist und | |
scharfer Kritiker der Regierung. Die wenigsten kennen meine Filme. | |
Dabei wurden sie alle im israelischen Fernsehen gezeigt. | |
Ja, aber die meisten liefen auf einem kleinen Kabelsender für | |
Dokumentarfilme. | |
Sie unterrichten Dokumentarfilm an der Kunsthochschule in Jerusalem und der | |
Universität in Tel Aviv. Was sind die wichtigsten Inhalte, die Sie | |
vermitteln wollen? | |
Jetzt nehmen Sie wieder an, ich verfolgte einen großen Plan. Aber ich | |
vertrete keine Schule oder Methode, sondern versuche nur, aus den | |
Studierenden herauszupressen, welche Erzählweise für sie die jeweils beste | |
ist. Das klappt aber nicht immer. | |
Die meisten Ihrer Filme drehen sich um die israelische Politik gegenüber | |
den Palästinensern. Interessiert dieses Thema die Studierenden oder | |
überhaupt die jüngeren Leute noch? | |
Eher nicht. Aber das ist kein Problem der Jüngeren, sondern der | |
israelischen Gesellschaft insgesamt. Der Regierung ist es über die Jahre | |
gelungen, die Besatzung unsichtbar zu machen. Die Leute sehen nicht mehr, | |
dass dreißig Kilometer von ihrer Wohnung entfernt 1,5 Millionen Menschen | |
unter israelischer Besatzung leben. Und die wenigen, die politisiert sind, | |
interessieren sich vor allem für soziale Fragen, etwa die Explosion der | |
Lebenshaltungskosten. Sie verstehen nicht, dass es in Israel keine soziale | |
Gerechtigkeit geben kann, solange das „Palästinaproblem“ nicht gelöst ist. | |
Und ignorieren, dass Israel zu den letzten Kolonialmächten gehört, | |
vielleicht sogar die letzte Kolonialmacht ist. | |
Wie gehen Sie als Filmemacher mit diesem „unsichtbaren“ Krieg in Israel um? | |
Die meiste Zeit habe ich den Eindruck, gegen eine Wand zu reden. | |
Hat die Ignoranz zugenommen? | |
Das Interesse an der israelischen Okkupation war immer begrenzt, aber kurz | |
nach den Friedensverhandlungen in Oslo 1993 hatte das Thema etwas mehr | |
Sexappeal als heute. Insgesamt aber verdrängen wir das Thema. Wir sind | |
Meister im Verdrängen. | |
Inzwischen gibt es einen neuen, eskalierenden Krieg in direkter | |
Nachbarschaft von Israel: Syrien. Ist das ein Thema? Immerhin könnte er | |
irgendwann auch für Israel gefährlich werden. | |
Nein, Syrien ist hier kein großes Thema. Aber: Kann es für uns überhaupt | |
noch gefährlicher werden? Ich habe keine Ahnung, wie das in Syrien | |
weitergehen wird. Das Regime stürzen zu wollen ist eine gute Sache. Aber so | |
alteingesessene Diktaturen wie Syrien kriegt man nicht so schnell los, das | |
ist ein langwieriger Prozess. Die Französische Revolution hat auch nicht | |
direkt zur Demokratie geführt. Es hat noch sehr lange gedauert, bis die | |
ersten Wahlen abgehalten wurden. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn | |
Israel die demokratischen Bewegungen in den Nachbarländern unterstützt | |
hätte. | |
Das war aber nicht der Fall. | |
Nein. Israel hat sämtliche Verbindungen zu seinen Nachbarn gekappt und sich | |
zu einer Insel in einem Ozean gemacht, in den niemand einen Fuß setzen | |
will. Aber ich habe überhaupt keine Lust, über Syrien in Begriffen wie | |
„mehr Gefahr für Israel“ nachzudenken. | |
Wie denken Sie über Syrien nach? | |
Ich beobachte, was dort passiert, die vielen, vielen Tote und Vertriebenen, | |
und es bricht mir das Herz. Ich hoffe inständig, dass es den Syrern | |
gelingt, eine Demokratie zu etablieren. | |
Für diese Hoffnung gibt es gerade wenig Nahrung. | |
Welche Option habe ich denn? Ich kann nicht aufhören, mir zu wünschen, dass | |
das, was moralisch richtig ist, was gerecht ist, auch passieren soll. Wie | |
Assad die Syrer abschlachtet, kann ich nicht akzeptieren, und ich will es | |
auch nicht ignorieren. Bei uns ist es doch das Gleiche! Bisher sind die | |
Bestrebungen der Palästinenser nach Freiheit gescheitert. Soll ich deswegen | |
aufhören, ihnen Freiheit zu wünschen? Auf keinen Fall. | |
20 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Israel | |
Krieg | |
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