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# taz.de -- Der Künstler als Kollaborateur: Die Kraft subtiler Manipulation
> Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus zeigt den Bildhauer Charles Despiau, der
> zwar ein wegweisender Bildhauer, aber auch ein Kollaborateur der
> Nazi-Deutschen war.
Bild: Auf der Suche nach einer prägnanten Form: links Charles Despiaus Bronzep…
Man kann es sich einfach machen, so wie auch die Bild, und sagen: Charles
Despiau, das war doch ein „Nazi-Künstler“. Und die im Bremer
Gerhard-Marcks-Haus, dem „Bildhauermuseum des Nordens“ – die rehabilitier…
ihn jetzt auch noch! Aber das ist es nicht. Obwohl, das sagt auch Direktor
Arie Hartog: „Ziemlich doof“ war er schon, also, rein politisch gesehen.
Aber eben auch ein ziemlich guter Bildhauer, ganz künstlerisch betrachtet.
Irgendwo dazwischen nun bewegt sich diese Ausstellung, die in Kooperation
mit dem Museum Beelden aan Zee in Den Haag entstand. „Sculpteur mal-aimé –
ungeliebter Bildhauer“ ist der Untertitel dieser Retrospektive, die nichts
weniger als eine „Wiederentdeckung“ Despiaus einleiten soll. Ein großer,
ein gewagter Anspruch. Schließlich war der Mann, mindestens seit den
Siebzigerjahren, völlig vergessen. Wenigstens als Bildhauer.
## Vor dem Propagandakarren
Das wiederum liegt vor allem daran, das der Franzose Charles Despiau
(1874–1946) sich in den Zeiten der deutschen Besatzung Frankreichs „willig
vor den deutschen Propagandakarren spannen“ ließ, wie Hartog sagt. Despiau
profitierte von den Zwangsausgrenzungen im Kunstleben, von der Verfolgung
jüdischer Künstler, vom Verschwinden des Avantgardistischen aus der
Öffentlichkeit. Dazu passte seine etwas klassische Bildsprache auch den
Besatzern ganz gut ins Konzept. Einer propagandistischen, 1942 erschienen
Monografie über Arno Breker (1900–91) lieh er seinen Namen. Und der war
eben nicht nur sein Schüler, sondern auch der Starbildhauer der Nazis.
Lange Jahre nach seinem Tod blieb Despiau vor allem als einer im
Gedächtnis, der ein „Kollaborateur der Deutschen“ war. Dass er auch
faschistoid dachte, ist nicht überliefert: Die Zeitzeugen berichten von
einem „tiefen Desinteresse“ an Politik, an allem, was nicht mit der
Bildhauerei zu tun hatte. Aber er habe sich, sagt Hartog, eben zu sehr mit
den deutschen Besatzern eingelassen. Das ist die eine Seite von Charles
Despiau.
Aber was war denn vorher? Vorher war er ein „bedeutender Bildhauer der
Moderne“, behauptet die Ausstellung. Eine Aussage, die heute – anders als
früher – zu beweisen ist. 45 Skulpturen und 20 Zeichnungen versammelt sie
zu diesem Zwecke, und das ist schon ein Gutteil des Gesamtwerks, das mit
150 Arbeiten eher überschaubar ist. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren
war Despiau, zusammen mit Aristide Maillol (1861–1944), einer der
tonangebenden Bildhauer Frankreichs. Also in der Zeit nach dem Tode Auguste
Rodins – dessen Schüler Despiau war. 1927 wird er in Amerika entdeckt,
stellt mit Erfolg in New York aus, bekommt fortan Ausstellungen von Prag
bis Chicago und allerlei Aufträge für Porträtbüsten reicher
AmerikanerInnen. Erst jetzt kann er von seiner Kunst wirklich leben.
Umso seltener, umso präziser, umso brillanter ist dafür dieses Werk! Da
kann es schon mal hundert Sitzungen und mehr dauern, ehe so eine kleine
Porträtbüste einer heute völlig vergessenen Person fertig ist. Die
Ausstellung versammelt zahlreiche von ihnen, dicht an dicht, im zentralen
Saal des Gerhard-Marcks-Hauses, während oben, im Eingang, eine etwas
mittelmäßigere, gewöhnlichere, dafür umso monumentalere Statue prangt, die
an Rodins berühmten Denker erinnert, ein heroisches Menschenbild pflegt und
mal dem Grab eines Stahlmagnaten zugedacht war. Welch Gegensatz.
## Präzise modelliert
Doch zurück zu den Porträts. Wobei – das führt ein wenig in die irre. Denn
hier geht es gar nicht um ein möglichst authentisches Abbild. Die Werke,
sie wirken nur so! Dabei manipuliert Despiau sehr bewusst – aber subtil.
Skizzenhaftes, fast malerisches wechselt mit sehr präzise
Durchmodelliertem. Immer wieder ist er auf der Suche nach einer prägnanten
plastischen Form, verleiht er seinen Figuren, bei aller Statik, eine enorme
Dynamik, in den Raum hinein. Gucken Sie sich allein mal die Ohren an! Und
die Augen, wie sie variieren.
„Despiau hat viele bildhauerische Mittel entwickelt, die heute
selbstverständlich sind“, sagt Hartog. Monatelang arbeitet er sich manchmal
an einem Tonklumpen ab, nur um dann noch mal von vorn anzufangen. Seine
Arbeiten zeugen von immenser Anstrengung und entfalten zugleich eine
gewisse Leichtigkeit, sie verleugnen nicht die verschiedenen Phasen ihres
Entstehens und bilden doch eine Einheit. Von den (über-)lebensgroßen
Figuren gibt es bei Despiau dagegen nur wenige, und sie sind alle hier zu
sehen. Das ist umso bemerkenswerter, als seine Stärke die kleinen Porträts
und nicht große Plastiken sind. Ähnliches gilt übrigens für seine
Aktzeichnungen, die auch hier zu sehen sind; für Despiau waren sie eher von
wirtschaftlichem Interesse. Insofern ist die Ausstellung keineswegs eine
Huldigung. Sondern eine ehrliche Werkschau.
## Bis 1. Juni. Zur Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog erschienen:
224 Seiten, 25 Euro
20 Feb 2014
## AUTOREN
Jan Zier
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