| # taz.de -- Polithistorische Radtour: Freiheitstrunken bei gutem Wein | |
| > Der Pfälzer Wald ist nicht nur für touristische Aktivitäten interessant: | |
| > Begegnungen mit Revolutionären und Friedensaktivisten in der Pfalz. | |
| Bild: Der Stein am Ortsrand von Rinnthal erinnert an eine Schlacht, die eher ei… | |
| Fischbach liegt in einem weitläufigen Tal, umgeben von baumbestandenen | |
| Hügeln. Die gehen bald in Berge über, etwa den Großen Eyberg im Nordosten | |
| oder südwestlich, jenseits der fünf Kilometer entfernten französischen | |
| Grenze, den Maimont. „Wandern, auf Felsen klettern, Burgen erkunden oder | |
| mit dem Fahrrad ins nahe Elsass. Wer die Natur liebt, wird vom Pfälzer Wald | |
| begeistert sein“, wirbt das Fremdenverkehrsamt. | |
| Mit knapp 180.000 Hektar ist er das größte zusammenhängende Waldgebiet | |
| Deutschlands. Seit Ende der 1950er Jahre Naturpark, wurde er 1992 von der | |
| Unesco als Biospährenreservat anerkannt. Er ist aber auch eine | |
| geschichtsträchtige Region: Hier soll der deutsche Teil der Französischen | |
| Revolution begonnen haben. | |
| „Am 29. Juli 1789 schlugen die Bauern symbolisch Holz im Wald, der nach | |
| Ansicht des Adels allein diesem gehörte“, berichtet Thomas Handrich. „Dann | |
| teilten sie Äcker und Wiesen untereinander auf und verjagten ihre | |
| Grundherren.“ Der 52-jährige Politikwissenschaftler führt uns, eine Gruppe | |
| Radfahrer, durch die Geschichte der demokratischen Aufstände, die seine | |
| Heimat im 18. und 19. Jahrhundert erschütterten. | |
| Handrichs Heimat ist die Pfalz, das Kernland des mittelalterlichen | |
| „Heiligen Römischen Reiches“. Der Name der Region geht zurück auf den Hü… | |
| Palatin, wo sich im antiken Rom der Kaiserpalast befand. Im Mittelalter war | |
| ein „Palatinat“ ein Verwaltungssitz, an dem die Kaiser Hof hielten, wenn | |
| sie durch ihre im heutigen Deutschland und Frankreich gelegenen Ländereien | |
| reisten. | |
| ## Die Not war groß | |
| „Dass der Aufstand gerade hier, im deutsch-französischen Grenzgebiet | |
| begann, ist kein Zufall“, sagt Handrich. „Die Not war groß in den Dörfer … | |
| und Paris war immer näher als München oder Berlin, schon im 17. Jahrhundert | |
| arbeiteten Tausende Pfälzer dort.“ Zudem war die mitten in der Pfalz | |
| gelegene Festung Landau seit dem Dreißigjährigen Krieg französische | |
| Exklave. Dort wurden 1789 zwei Jakobinerclubs gegründet: ein deutscher und | |
| ein französischer. | |
| In Fischbach – dem ersten revolutionären Dorf Deutschlands – stehen heute | |
| fast nur Häuser aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1930ern | |
| hatte Hitlers Wehrmacht hier, am „Westwall“, Bunker in die Berge gebohrt. | |
| Dorthin wurden die Fischbacher vor Kriegsende 1945 evakuiert. Als sie | |
| zurückkehrten, war der Ort, wo 1789 die Revolution begann, von alliierter | |
| Artillerie zerschossen worden. | |
| ## Stützpunkte fürs Militär | |
| Militär spielte auch nach Ende des Nazireichs eine große Rolle in der | |
| Pfalz. US-Truppen wurden dort stationiert, die Armee betrieb Kasernen, | |
| Flughäfen und Munitionsdepots. Im Wald bei Fischbach standen über 100 | |
| Bunker, in denen unter anderem Atomsprengköpfe gelagert wurden – und | |
| angeblich auch Giftgas. Auch wenn sich das im Nachhinein als falsch | |
| herausstellte: Die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben aktivierte | |
| Pfälzer wie Waltraud Bischoff. | |
| Seit den 1970ern organisierte die heute 78-Jährige mit den „Frauen für den | |
| Frieden“ Demos vor Militäreinrichtungen. „Zwar waren nach und nach immer | |
| mehr Einheimische friedensbewegt – aber die meisten glaubten bis zum | |
| Schluss, dass wir Arbeitsplätze verlieren, wenn die Lager aufgelöst werden, | |
| und verdrängten ihre Ängste.“ 150 Fischbacher arbeiteten offiziell für die | |
| „Army“. „Am Ende waren es zehn“, sagt Waltraud Bischoff, „der Rest wu… | |
| nach und nach entlassen, weil sie herumerzählten, was da so alles | |
| passierte“. | |
| Der erste Fischbacher Aufstand fand damals schnell Nachahmer. Nur sechs | |
| Wochen nach dem 29. Juli 1789 besetzten Bürger im 30 Kilometer entfernten | |
| Bad Bergzabern das Rathaus und vertrieben die adligen Gemeinderäte. Die | |
| versuchten in den kommenden Monaten immer wieder, die Macht zurückzuerobern | |
| – vergeblich. Dafür schlossen sich immer mehr Dörfer der „Republik Bad | |
| Bergzabern“ an, die am 12. November 1792 in Paris ihre Aufnahme in die | |
| „Fränkische Republik“ beantragte. Die Zustimmung kam am 28. März 1793, die | |
| nächste Offensive der alten Mächte begann im Sommer. Zwar gewannen die | |
| revolutionären, nun französischen 32 Pfälzer Landgemeinden die Oberhand, | |
| aber der Krieg machte den Einwohnern auch klar, dass aus Frankreich nicht | |
| nur Gutes kam. | |
| ## Besuch im Hambacher Schloss | |
| „Deutsche im Revolutionsheer wurden oft schlechter behandelt, als | |
| Franzosen“, erklärt Thomas Handrich. „Französische Soldaten plünderten in | |
| der Pfalz, französische Verwalter wirtschafteten in die eigene Tasche.“ | |
| Auch die Angst vor der im Volksmund „Hackmesser“ genannten Guillotine | |
| verdrängte den revolutionären Elan in der bis heute im Volksmund | |
| „Hackmesserseite“ genannten Region. Endgültig kippte die frankophile | |
| Stimmung in der Pfalz, als Napoléon Bonaparte 1809 Hunderttausende Pfälzer | |
| für seinen Russlandfeldzug zwangsrekrutieren ließ. Bis zur Niederlage des | |
| Korsen 1815 verblieb der mittlerweile nach dem Donnersberg – der mit 686 | |
| Metern höchsten Erhebung – „Département du Mont-Tonnerre“ benannte | |
| Landstrich bei Frankreich. Dann ging die Pfalz an das Königreich Bayern. | |
| Doch die republikanische Prägung blieb: „Es galt weiter der Code Napoléon, | |
| der Vorläufer des Bürgerlichen Gesetzbuchs“, erklärt Thomas Handrich, „es | |
| gab Geschworenengerichte und ein liberaleres Presse- und Versammlungsrecht | |
| als in den anderen Teilen Bayerns. Das spielte eine wichtige Rolle für die | |
| Revolution von 1848–49 und deren Vorspiel: das Hambacher Fest.“ | |
| Wir stellen die Räder ab und steigen – wie die Festbesucher im Frühjahr | |
| 1832 – an Weinbergen vorbei „hinauf, hinauf, zum Schloss, zum Schloss“. N… | |
| dass wir nicht 30.000 sind wie damals, als sich hier die Demokraten trafen, | |
| sondern zusammen mit den anderen Touristen vielleicht hundert Personen. Von | |
| der Vorburg aus genießen wir den Blick über die Rheinebene. Fast meint man, | |
| die Schornsteine der Fabriken von Mannheim und Ludwigshafen zu sehen. | |
| ## Wein und gute Laune | |
| Dorthin flohen die Revolutionäre 1849, nachdem eine weiterer Aufstand | |
| niedergeschlagen worden war – nur ein Jahr nachdem alles so ausgesehen | |
| hatte, als sei er erfolgreich gewesen. Im April lehnte der preußische König | |
| Friedrich Wilhelm IV. – Urheber des Satzes „Gegen Demokraten helfen nur | |
| Soldaten“ – die Kaiserkrone ab, die ihm die Nationalversammlung angetragen | |
| hatte. Die Aufständischen in der Pfalz beschlossen, zusammen mit dem | |
| benachbarten, ebenfalls revolutionären Baden, eine eigene Republik zu | |
| gründen. | |
| Der knapp 40-jährige Friedrich Engels, der die Revolution begeistert | |
| begleitet, schreibt später: „Wer die Pfalz gesehen hat, begreift, dass eine | |
| Bewegung in diesem weinreichen Lande einen höchst heiteren Charakter | |
| annehmen musste. Die Pfalz verwandelte sich in eine große Schenke, alle | |
| Klassen kamen in denselben Lokalen zusammen. Sozialistische Schwärmer | |
| hätten darin die Morgenröte der allgemeinen Brüderlichkeit sehen können.“ | |
| Doch Wein und gute Laune genügten nicht, um Freiheit, Gleichheit und | |
| Brüderlichkeit zu verteidigen. | |
| Wir stehen vor einem mit Efeu bedecktem Stein am Ortsrand von Rinnthal. | |
| „Hier starben am 17. Juni 1849 die Freischärler für Freiheit, Recht und | |
| Einheit“ steht darauf. „Niemand weiß, wer dieses Denkmal errichtet hat,“ | |
| erklärt Stadtarchivar Rolf Übel (55). „Er erinnert an eine Schlacht, die | |
| eher eine Scharmützel war.“ Eigentlich hatten die Demokraten geglaubt, dass | |
| sie mehrere Zehntausend Mann mobilisieren könnten. Doch viele Pfälzer | |
| verweigerten sich der Mobilisierung. „10.000 bis 12.000 Soldaten hatte die | |
| Revolution am Ende“, berichtet Übel, „aber es fehlten Waffen. Als der Feind | |
| im Juni 1849 in die Pfalz einmarschierte, stieß er kaum auf Widerstand.“ | |
| An einer schmalen Stelle des Tals – rechts und links erheben sich steile | |
| Berge – versuchten die Demokraten, die Preußen mit einer Barrikade | |
| aufzuhalten. Dabei vergaßen sie, die umliegenden Hügel zu sichern. Von dort | |
| aus nahmen die monarchistischen Truppen die Verteidiger der freien Pfalz | |
| unter Beschuss. Acht von ihnen starben im Kugelhagel. | |
| ## Die Migranten nach Amerika | |
| Die Gefallenen liegen auf dem Friedhof von Annweiler. Heute ist ihr Grabmal | |
| komplett von Gräbern aus den Kriegen von 1870/71, 1914–18 und 1939–45 | |
| umgeben. Es wurde 31 Jahre nach der Schlacht errichtet – und neun Jahre | |
| nach Gründung des autoritären deutschen Kaiserreichs. Auf der von einer | |
| Statue der Germania gekrönten Säule steht: „Auch sie starben für das | |
| Vaterland.“ Für mehr reichte es in Bismarcks Deutschland für Demokraten | |
| nicht. | |
| Was Wunder, dass in den Jahren nach 1849 Tausende Demokraten ihre Heimat | |
| verließen. Etwa die Schriftstellerin, Journalistin und Ordonnanzoffizierin | |
| der Pfälzer Volkswehr, Mathilde Franziska Anneke, die eine führende | |
| Persönlichkeit der US-Frauenbewegung wurde. Oder der Pfälzer Kaufmann | |
| Johann Gottfried Cullmann, der 1872 die Stadt Cullmann, Alabama gründete | |
| und nach dem heute der zentrale Platz des 900-Einwohner-Orts Frankweiler | |
| benannt ist. „Es ging nicht nur um Politik“, erklärt Andrea Kindelberger, | |
| „die Pfalz war immer arm, viele tausende Pfälzer zogen lange vor der | |
| Revolution in die USA.“ | |
| Kindelberger ist eine Verwandte des US-Flugzeugpioniers Howard James | |
| Kindelberger, genannt Dutch, des Entwicklers der „North American P-51 | |
| Mustang“, des wichtigsten US-Jagdflugzeugs des Zweiten Weltkrieges. Sie hat | |
| selbst lange jenseits des großen Teichs gelebt. „Dort habe ich oft | |
| ’Deitsch‘ gesprochen“, erinnert sie sich, „eine altmodische Art unseres | |
| Dialekts – aber gut zu verstehen.“ Vor zehn Jahren ist die Mittvierzigerin | |
| in ihr Heimatdorf Rumbach zurückgekehrt. Sie vermietet Ferienwohnungen, | |
| beschäftigt sich mit der Pfälzer Geschichte und betreut eine | |
| Laienschauspielertruppe, die für die Radfahrer ein Mundartstück vor der | |
| Fachwerkhauskulisse des 450-Einwohner-Dorfs vorführt. | |
| ## Die Gedanken sind frei | |
| Friedens-, Umwelt- und Alternativbewegung haben Spuren in der Pfalz | |
| hinterlassen. Seit dreißig Jahren veranstaltet auch Helmut Seebacher die | |
| „Queichhambacher Feste“. Den Anbau seines Elternhauses hat der Autor und | |
| Kleinverleger zur „Kulturscheune“ umgebaut: Unten liegt das Programm seines | |
| „Bachstelzen-Verlags“ aus, der sich lokaler Geschichte verschrieben hat. Im | |
| Raum darüber stehen Bierbänke und ein traditioneller Freiheitsbaum. | |
| Als die Gäste ein gut gefülltes Glas Wein vor sich stehen haben, hält | |
| Seebacher einen kurzen, geschichtsträchtigen Vortrag. Dann bitter er uns | |
| nach alter Demokratensitte – die Gedanken sind frei – unsere Wünsche und | |
| Beschwerden auf Papier zu schreiben und an den Baum zu heften. Einen | |
| dringlichen Wunsch haben wir: so schnell wie möglich zu den Grillwürsten zu | |
| kommen, deren Duft immer unwiderstehlicher über den Hof zu uns dringt. | |
| 22 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Rüdiger Rossig | |
| ## TAGS | |
| Revolutionäre | |
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