# taz.de -- Reiseliteratur: Spott und Neugier | |
> Ein Hesse reiste im 18. Jahrhundert durch deutsche Lande und schrieb ein | |
> politisches Sittengemälde. | |
Bild: Ein Berliner Sittenbild. | |
Der Fürst hatte platterdings keinen Begriff von seinen Finanzen, sondern | |
gab sie seinen eigennützigen Bediensteten preis, und war zufrieden, wenn | |
seine kostbaren Jagden konnten bestritten werden“, schreibt Johann Kaspar | |
Riesbeck über das Kurfürstentum Bayern. Die „Briefe eines reisenden | |
Franzosen“ sind 1783 erstmals erschienen. Dabei gab sich der Hesse Riesbeck | |
als französischer „Weltbürger“ aus, der die kleinen Staaten rechts des | |
Rheins erkundet. Die Identität eines Franzosen verschaffte dem 1754 in | |
Frankfurt/Höchst geborene Riesbeck zumindest intellektuelle Distanz zum | |
eigenen, in Kurfürstentümer zersplitterten Land. Zwischen 1770 und 1780 | |
besuchte er Baden, Württemberg, Bayern, Salzburg, die habsburgischen Lande, | |
Sachsen, Preußen, Hamburg. | |
Riesbeck war ein Verfechter von Reformen, ein Aufgeklärter mit kritischem | |
Blick auf Deutschland, 60 Jahre bevor eine bürgerliche Opposition beim | |
Hambacher Fest auch hierzulande nationale Einheit, Rede- und Pressefreiheit | |
und Bürgerrechte forderte. Er reiste in der Kutsche oder zu Fuß: „Man muss | |
sich in alle Klassen des Volkes mischen, das man will kennen lernen. […] | |
Kurz, man muss ein studierender Reisender von Profession sein, um in das | |
Eigentümliche eines ganzen Volkes einzudringen.“ | |
Der Eigentümlichkeiten fand er viele: „Die Bayern sind mitunter die | |
drolligsten Figuren von der Welt, mit aufgedunsenen Wänsten, dicken | |
Stampffüßen und schmalen Schultern, worauf ein dicker, runder Kopf mit | |
kurzem Hals sehr seltsam sitzt.“ Auch Berliner Wirte beschreibt er als | |
eigenen Schlag: „Sie sind alle kriechend höflich, zudringlich bis zum Ekel, | |
grob, wenn sie einen finden, der sich nicht von ihnen beschneiden lässt, | |
[…] und wenn sie auch gleich kein Mädchen im Haus haben, so machen sie doch | |
kein Geheimnis daraus, dass sie den Fremden damit reichlich bedienen | |
können.“ Für König Friedrich II. hingegen ist er voller Lob: „In keinem | |
Staat werden die Gesetze der Vernunft, die Rechte der Natur und die | |
Verträge, Gebräuche und besonderen Statuten, die dem Wohle des Ganzen nicht | |
widersprechen, heiliger beobachten und geschützt als in den preußischen | |
Landen.“ | |
Riesbecks Reiseberichte sind lebendige Reportagen aus einem Land im | |
Umbruch. Sie sind unterhaltsames Sittengemälde, Landschaftsbeschreibung und | |
politischer Bericht. Riesbeck, der Sohn eines Schnupftuchfabrikanten, | |
sollte Verwaltungsbeamter werden, führte aber ein Leben als Schauspieler, | |
Übersetzer und Journalist. Mit 24 Jahren wurde er der erste und einzige | |
feste Redakteur der 1780 gegründeten Zürcher Zeitung. Seine „Spottlust“ | |
soll dieses Engagement frühzeitig beendet haben. Mit 32 Jahren starb | |
Riesbeck 1786 an Tuberkulose. Die „Briefe eines reisenden Franzosen“ wurden | |
damals ein Bestseller. Die Andere Bibliothek hat sie in einer | |
großformatigen Prachtausgabe neu aufgelegt. Neben den sinnlichen | |
Beschreibungen Riesbecks lassen alte Kupferstiche, Karten und Bilder das | |
18. Jahrhundert prall wiederaufleben. | |
■ Johann Kaspar Riesbeck: „Briefe eines reisenden Franzosen“. Hrsg. von | |
Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013, 681 | |
Seiten, 99 Euro | |
22 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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Journalist | |
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