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# taz.de -- Gedenken: Die Mauer ist weg
> Viele Jugendliche können mit der jüngsten deutschen Vergangenheit nur
> wenig anfangen. Mit einer 10. Klasse aus Bayern unterwegs im Mauermuseum
> .
Bild: Für Jugendliche ganz lange her: Bild vom 10. November 1989.
In einem hellen Raum, einige Meter über dem einstigen Checkpoint Charlie,
hat sich eine Gruppe von Zehntklässlerinnen auf dem Boden niedergelassen.
Manche wirken gelangweilt, andere blicken gespannt nach vorn. Die grauen
Steine unter ihren Füßen bemerken sie erst, als Alexander Latotzky mit dem
Finger darauf zeigt. Unter einer Platte aus Glas zieht sich der schmale
Streifen durch den Raum. Es sind Überreste der Berliner Mauer.
„Keine Sorge, heute passiert euch hier nichts mehr“, sagt Latotzky. „Aber
wenn ihr euch vor 25 Jahren auf die Mauer gesetzt hättet, wärt ihr
erschossen worden.“ Einige Mädchen brechen in Gelächter aus, andere
wechseln verwirrte Blicke. So richtig vorstellen können sie sich nicht, was
an diesem Ort vor nur ein paar Jahrzehnten passiert ist.
Jeden Tag kommen Schulklassen aus aller Welt in das Mauermuseum am
Checkpoint Charlie, um etwas über die deutsch-deutsche Geschichte zu
erfahren. Manche von ihnen „wissen einfach gar nichts“, berichtet Tourguide
Latotzky. „Andere widersprechen mir, weil sie mehr wissen als ich.“ Jüngst
hat das Museum 50-jähriges Bestehen gefeiert: Am 14. Juni 1963 wurde es in
unmittelbarer Nähe zur Mauer vom Historiker Rainer Hildebrandt eröffnet.
Mit 850.000 Besuchern im Jahr zählt es zu den meistbesuchten Museen
Berlins.
Die heutigen Besucher sind aus Bayern angereist – von der Städtischen
Realschule für Mädchen in Rosenheim. Es ist die Abschlussfahrt der 10.
Klasse. Die Schülerinnen haben die DDR gerade im Geschichtsunterricht
behandelt. Trotzdem ist das Thema für viele weit weg. „Wir haben das Ganze
ja nicht mehr mitgekriegt. Deshalb sind wir eher distanziert“, sagt die
15-jährige Katharina. „Hier bekommen wir zumindest einen Einblick.
Schließlich ist das die Geschichte unseres Landes, das betrifft uns alle.“
Den Ausflug ins Mauermuseum haben sich die Mädchen selbst gewünscht. Jetzt
stehen sie gespannt im Halbkreis um einen alten blauen VW-Käfer. Latotzky
stützt sich lässig mit einem Arm an der aufgeklappten Motorhaube ab.
Darunter befindet sich nicht der Motor, sondern der Kofferraum und der
Tank. „Normalerweise passen da 40 Liter rein“, erklärt Latotzky. „Aber h…
wurde er ausgehöhlt, damit sich darunter ein Flüchtling verstecken kann.“
Einige hätten es auf diesem Weg in den Westen geschafft. Wer dagegen
erwischt wurde, wurde festgenommen und musste mit mehreren Jahren Gefängnis
rechnen.
## Sie nicken und schweigen
Die Schülerinnen nicken – und schweigen. Einige ziehen verwundert die
Augenbrauen nach oben. „Aber warum sind dann andere gleich erschossen
worden?“, fragt plötzlich ein Mädchen mit Perlenohrringen und Sonnenbrille
im Haar. Sie hat einen starken bayerischen Akzent. „Was?“, fragt der Guide
verwirrt. Er versteht sie nicht. Die Schülerin versucht es noch einmal:
„Ich habe das im Fernsehen gesehen.“ Die Klasse bricht in johlendes
Gelächter aus. „Da gibt es gar nichts zu Lachen“, ärgert sich Alexander
Latotzky, aber die Mädchen kichern weiter. Lehrerin Nina Lück muss
beschwichtigen: „Sie lachen nur, weil ihre Mitschülerin versucht hat,
Hochdeutsch zu sprechen.“ Latotzky wirkt nicht überzeugt, er schüttelt den
Kopf. „Manche Fluchten finden wir heute eben lustig, auch wenn sie es
damals nicht waren“, sagt er. Rausgeschmissen aber, sagt er später, habe er
bisher noch keine Klasse – egal wie sie reagiert haben.
Im nächsten Raum dringt er doch noch zu den meisten der Mädchen durch. Er
zeigt ihnen die Überbleibsel einer weiteren Flucht: Zwei Koffer, die in der
Mitte aufgeschnitten und ineinander geschoben wurden. Ein Mann aus
Westdeutschland hat darin seine Freundin über die Grenze geschmuggelt. Die
Mädchen starren fasziniert auf die Koffer, einigen stehen die Münder offen.
„Die hat sich da reingequetscht?“ ruft eine verwundert. Latotzky deutet auf
das Beweisfoto über dem Ausstellungsstück: Der Oberkörper der Frau steckt
in einem Koffer, der Unterkörper hat verdreht im zweiten Koffer Platz
gefunden. Kopfschütteln unter den Schülerinnen. „Ist das der echte Koffer
von damals?“, will ein Mädchen wissen. Latotzky nickt: „Alles Originale“.
Die 16-jährige Hannah ist beeindruckt vom großen Einfallsreichtum der
Flüchtlinge. „Es ist Wahnsinn zu sehen, auf was für Ideen man kommen kann,
wenn man verzweifelt ist“, sagt die Schülerin. Ihre Großeltern stammen aus
der DDR und mussten fliehen. Vielleicht findet sie deshalb vor allem eines
faszinierend: „Wie mutig man dabei sein muss.“
18 Apr 2014
## AUTOREN
Hannah König
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