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# taz.de -- Erpresser „Dagobert“ zieht Bilanz: „Mit Hoeneß habe ich kein…
> Arno Funke wurde als Erpresser „Dagobert“ weltberühmt. Vor 20 Jahren
> endete der spektakuläre Fall mit seiner Festnahme. Funke über seine
> Kindheit, Reue und den Fall Hoeneß.
Bild: Sein alter ego Dagobert wird Arno Funke nicht mehr los.
taz: Herr Funke, das Knastleben fasziniert die Deutschen momentan sehr, dem
FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß sei Dank. Kommen da Ihnen, dem vor 20 Jahren
prominentesten Häftling der Republik, Erinnerungen hoch?
Arno Funke: Klar. Im Internet kann man beispielsweise lesen, was die Leute
so umtreibt. Dass es dem Hoeneß im Knast bestimmt zu gut gehen wird. Die
haben keine Ahnung. Die meisten Menschen glauben ja auch, dass der Entzug
der Freiheit die Strafe ist. Dabei ist es der tagtägliche Umgang mit
Beamten, dieses komplett Durchgeregelte von allem. Das wird auch einen Uli
Hoeneß treffen.
Höre ich da leichtes Mitgefühl?
Das habe ich überhaupt nicht. Was mich sehr verwundert, ist eher die
Haltung der Politik und die Anerkennung dafür, dass er das Gerichtsurteil
akzeptiert. Dabei hatte die Bundesregierung ja immer breit darauf
hingewiesen, wie schwerwiegend Steuerhinterziehung ist. Nun hat es einen
aus der gehobenen Gesellschaft erwischt – und dann wird dem noch Respekt
dafür gezollt, dass er für ein paar Monate ins Gefängnis geht. Absurd.
Natürlich muss man zwischen Straftat und Lebensleistung unterscheiden. Und
es mag ja sein, dass er seinen Verein wunderbar geführt hat. Aber das darf
man nicht vermischen: Ihm noch Kränze winden finde ich völlig daneben. Ich
hatte mein Urteil auch ohne Murren angenommen, und niemand hat mir dafür
hohen Respekt gezollt.
Mit Ihrer Verhaftung am 22. April 1994 endete der längste und aufwendigste
Erpressungsfall der deutschen Kriminalgeschichte. Der hat Ihnen damals
ebenfalls viele Fans beschert, sogar unter Polizisten, oder?
Das stimmt, aber es war mir manchmal auch suspekt. Ich wusste ja, was ich
angestellt hatte. Andererseits ist es natürlich angenehmer, Sympathien zu
bekommen, als von allen gehasst zu werden.
Woher kamen die Sympathien?
Ich denke, wenn sich etwas gegen den Staat richtet, ist das bei manchen
Menschen eher positiv besetzt. Schließlich hatte jeder selbst schon mal
Probleme mit der Polizei oder mit Behörden, ob Jobcenter oder Bauamt. Wenn
Beamte auch mal schlecht dastehen, kommt bei etlichen Leuten klammheimliche
Freude auf.
Ihre technisch ausgetüftelten Geldübergaben und Ihr „Dagobert“-Pseudonym,
das hatte einen fast altmodischen Charme.
Das spielte wohl ebenfalls eine Rolle. Aber sicher auch, dass zum Glück
keine Person körperlich zu Schaden kam.
Das Lächerlichmachen der Obrigkeit kommt in Berlin immer gut an, siehe
Hauptmann von Köpenick. Sahen Sie sich ein wenig in dieser Tradition?
Nein, so was plant man nicht. Dass da ein regelrechter Medienhype entstand,
konnte ich selbst kaum fassen. Irgendwann habe ich nur noch verwundert
festgestellt, dass sich da etwas entwickelt, worüber man keine Kontrolle
hat. Ich hatte übrigens auch nichts gegen die Beamten, keinen Hass auf die
Polizei oder die Obrigkeit.
Sie haben das gemacht, was viele Leute insgeheim wollen: einfach mal ein
Ding drehen?
Offenbar. Nach dem Gefängnis haben mir bei meinen Lesungen öfter Leute
erzählt, dass sie auch immer mal an so was gedacht hätten, weil sie zum
Beispiel als Bankangestellte die Möglichkeit zu einer ungesetzlichen Tat
hatten. Letztlich seien sie dann aber in ihrem Trott geblieben. Gerade
Männer haben oft den Wunsch, mal auszubrechen und sich zu befreien.
Dahinter steckt diese Sehnsucht nach Abenteuer, die eigentlich zurückreicht
bis zu den Primaten. Das ist auch auf unsere archaischen Verhaltensmuster
zurückzuführen.
Sie sind ein Mann mit überdurchschnittlichem IQ, haben die Schule aber
frühzeitig verlassen. Einige Prozessbeobachter sahen Sie damals sogar als
Beispiel für eine verfehlte Schulpolitik. Wollten oder konnten Sie das
Berliner Schulsystem nicht ertragen?
Es war ein Wechselspiel. Ich bin bis zum zehnten Lebensjahr in Rudow
aufgewachsen, auf einem großen Grundstück. Das war sehr ländlich. Weil sich
meine Eltern wenig kümmerten, hatte ich viele Freiheiten, vor allem für
Blödsinn. Ich konnte meine Abenteuerlust voll ausleben, Schule empfand ich
dagegen wie ein Gefängnis. Wir hatten ja noch alte Lehrer aus der Nazizeit,
die Schläge austeilten. Als Klassenclown habe ich die oft zur Weißglut
gebracht. Wenn mich etwas nicht interessierte, habe ich nichts gelernt. Was
mich interessierte, stand in der Grundschule nicht auf dem Plan: Chemie,
Astronomie, Physik, Elektronik. Also bin ich nach der Schule in die
Bücherei, wo ich mir Einsteins Relativitätstheorie rauszog und las. Ich
begann alles über Planeten zu lesen, legte mir Hefte an. Damit habe ich
mich intensiv beschäftigt und in der Schule darum nichts mitbekommen.
Sie kamen dann an die – viel später berühmt-berüchtigte – Rütli-Obersch…
Obwohl es Ihnen dort gut gefiel, hielten Sie es nicht lange aus.
Für mich war der Unterricht dort einfach pillepalle. Mathe, Physik – das
fiel mir total leicht. Deshalb hatte mich der Klassenlehrer auch gefragt,
ob ich nicht doch länger zur Schule gehen wolle. Mich lockte aber die
Freiheit. Ich wollte am liebsten Rockstar werden, Gitarre zu spielen hatte
ich ja begonnen. 1965 verließ ich die Schule, nach der 8. Klasse.
Statt Rockstar wurden Sie Bürokaufmann.
Ich saß den ganzen Tag an der Schreibmaschine und fühlte mich wieder
eingesperrt, es fehlten nur die Gitter. Nach meiner Lehre als Schilder- und
Lichtreklamehersteller bin ich dann schnell nach Westdeutschland abgehauen.
Während die Bundeswehr-Verweigerer nach Berlin kamen, lockte mich die
Freiheit jenseits dieser Stadt. Meinen Wohnsitz behielt ich aber hier,
sodass ich vor der Bundeswehr sicher war. Ich habe dann als DJ gejobbt, in
Starnberg, Meppen, Dortmund, querbeet, auch in einer Disco in
Alt-Tempelhof.
Welche Musik haben Sie aufgelegt?
Vor allem Motown, Aretha Franklin, Wilson Pickett. Auch als ich in
Bielefeld in der Werbeabteilung eines Cola-Konzerns als Kundenbetreuer
arbeitete, habe ich noch nachts in verschiedenen Discos aufgelegt.
Während viele Aussteiger aus Westdeutschland die Freiheit im eingemauerten
Westberlin suchten, haben Sie als Berliner die immer außerhalb gesucht.
Verfielen dem Mythos Westberlin nur Zugereiste?
Für mich war Westberlin kein Mythos. Ich wollte einfach raus, die Welt
erleben, was ausprobieren. Dieser innere Drang begleitete mich seit meiner
Pubertät. Kurze Zeit war ich auch in Norwegen, wo meine Mutter herstammte,
um dort als Bauhelfer zu jobben. Meine Freundin in Berlin hat mich jedoch
mit ihren Briefen weichgeklopft, sodass ich nach einem halben Jahr nach
Berlin zurückkehrte. Sie war sehr hartnäckig, sonst wäre ich vielleicht
immer noch dort.
Und den Berliner „Dagobert“ hätte es nie gegeben. Nicht Geldgier, wie bei
Dagobert Duck, soll Sie auf die kriminelle Bahn gebracht haben. Vielmehr
wollten Sie Ihr Leben zum Positiven verändern?
Das kann man so sagen. Die Lösungsmittel, die ich als Kunstlackierer in
einer Autowerkstatt jahrelang einatmen musste, hatten mein Gehirn
geschädigt. Das trug dazu bei, dass ich Depressionen bekam. Einmal stand
ich sogar kurz vorm Selbstmord. Ich hatte die Pistole schon an der Schläfe,
nur der Selbsterhaltungstrieb hinderte mich am Abdrücken. Anschließend ging
mir durch den Kopf: Wenn ich schon so weit bin, dann sollte ich irgendwas
probieren, was mich aufbaut. Egal was. Danach kann ich mich immer noch
umbringen. Ich wollte einen persönlichen Befreiungsschlag, ohne dass andere
Leute zu schaden kommen.
Statt Erpresser hätten Sie ja auch Entwicklungshelfer werden können, also
theoretisch.
Wenn du in der Tretmühle am Limit bist und das Ende vor Augen hast, kommst
du nicht auf so eine Idee. Da hast du einfach nicht die Kraft für eine
radikale Änderung deines Lebens, sondern musst zusehen, wie du schnell an
Geld kommst, um es zu bewältigen. Das war für mich wie ein kurzes
Aufbäumen. Ich wollte noch mal meine ganze Kraft für zwei, drei Monate
sammeln und mich auf eine Sache fixieren, die Geld bringt. Geld bedeutet
schließlich auch ein Stück weit Freiheit. Und es hatte ja schnell geklappt.
1988 haben Sie das Kaufhaus des Westens erfolgreich um eine halbe Million
Mark erpresst.
Trotzdem ging es mit meiner Gesundheit weiter bergab. Ich fühlte mich
genauso kraft- und freudlos wie vorher. Von dem erpressten Geld konnte ich
immerhin eine Weile leben und ein gewisses Maß an Freiheit genießen.
Als das Geld verbraucht war, haben Sie 1992 den Karstadt-Konzern erpresst
und in einigen Kaufhäusern Bomben hochgehen lassen. Hatten Sie das Gefühl,
ein Verbrecher zu sein?
Ich wollte nie jemandem körperlich schaden, und der Konzern war für mich
etwas völlig Unpersönliches. Ich dachte, wenn ich dem Geld abnehme, schade
ich doch keinem. Das wird den Angestellten ja nicht vom Lohn abgezogen. Der
Geldverlust wäre in die Konzernbilanz gekommen. Ausgeraubt haben Karstadt
nachher ganz andere.
Sie meinen: Was war schon Ihre Erpressung gegen die „Rettung“ des heute
stark angeschlagenen Konzerns auf Kosten der Mitarbeiter?
Dass der Konzern von anderen ausgeraubt wurde, hat der ehemalige Chef einer
Karstadt-Filiale in einem Fernsehstudio erzählt, als wir nach meiner
Entlassung gemeinsam zu meiner Geschichte befragt wurden. Vor laufender
Kamera hat er gesagt: „Was Herr Funke gemacht hat, ist eine Straftat, für
die er gebüßt hat. Aber die eigentlichen Verbrecher sind die, die Karstadt
in den Ruin getrieben haben. Gegen diese Ganoven ist Herr Funke ein kleiner
Fisch.“ Das haben sie dann rausgeschnitten.
Reue zeigen ist erste Täterpflicht. Können Sie ernsthaft Reue zeigen, wenn
Sie den sanktionierten Geldgierwahnsinn um sich herum beobachten?
Mit dem Moralbegriff von Reue wird ja viel Schindluder getrieben. Wenn
jemand langfristig und mit erheblicher krimineller Energie eine schwere
Straftat geplant hat und dann verhaftet wird, muss man von ihm nicht
ernsthaft Reue erwarten. Er hat getan, was er tun wollte, und ist dabei
erwischt worden.
Reue zeigen ist Quatsch?
Nein, es gibt auch bei mir Dinge, die ich bereue. Das sind Dinge, bei denen
man die Folgen des Handelns nicht absehen konnte und die sich zum Negativen
für einen selbst oder andere entwickelten. Das betrifft übrigens auch das
Nichthandeln. Aber wenn ein Bankräuber in eine Bank geht, um dort die Safes
aufzubrechen, und er wird verhaftet, kann er nicht hinterher sagen: „Tut
mir leid.“ Der ist eher frustriert, dass er erwischt wurde, während andere
damit durchgekommen sind. Und dann kommt ein Anwalt, der ihm vor dem
Gerichtsprozess sagt: „Wenn du jetzt schön bereust, dann kriegst du ein
Jahr weniger. Wenn du tätige Reue zeigst, also richtig zerknirscht bist und
sagst, dass die Schuld dein Leben belastet, dann kriegst du vielleicht
sogar zwei Jahre weniger.“
Darüber tauscht man im Knast Erfahrungen aus?
Natürlich. Was ich oft erlebt habe – und was manchmal als Reue
interpretiert wird –, ist Selbstmitleid: Scheiße, jetzt sitze ich hier im
Knast, warum ist das bloß schiefgegangen?!
Diese Diskussion, ob die Justiz zu lasch ist, gibt es ja auch in Berlin
ständig.
Das Problem ist doch, dass Gerechtigkeit zum Teil Illusion ist.
Gerechtigkeit ist erst mal ein Gefühl, und jeder fühlt eben anders. Man
kann auch nicht pauschal sagen, wann man einem Straftäter eine härtere oder
nicht so harte Strafe aufbrummen sollte, um letztlich eine Resozialisierung
zu erreichen. Bei mir hatte der Richter erkannt, dass ich aus einer
emotionalen Notlage heraus gehandelt hatte. Der ahnte, dass ich nach dem
Knast wahrscheinlich ein straffreies Leben führen würde.
Ihr Leben hat sich nach der Entlassung zum Guten gewendet?
Ich habe mein Leben ja wieder in den Griff bekommen. Ich kann jetzt kreativ
arbeiten und das tun, was mir Spaß macht. Karikaturen zeichnen, Satire
machen.
Das Leben ernst zu nehmen fällt Ihnen schwer?
Ich würde sagen, zu meinem Leben gehört Ironie. Ich möchte nicht arrogant
sein, aber vielleicht liegt es einfach daran, dass ich die Zusammenhänge im
Leben manchmal eher erkannt habe als andere, die einfach keine Lust hatten,
sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich habe mich ja von Kindesbeinen an
mit Naturwissenschaften beschäftigt, auch mit menschlichem Verhalten,
Psychologie, Evolutionsbiologie. Wenn man die Menschen beobachtet und
sieht, wie eingeengt sie in ihrer Sichtweise oftmals sind und die
Wirklichkeit und Zusammenhänge nicht erkennen können oder wollen, dann
gibt’s nur zwei Möglichkeiten: verzweifeln und sich erschießen, weil man
diese Blindheit nicht ertragen kann. Oder man fängt an, darüber zu lachen.
Letzteres finde ich die bessere Alternative. Ich hatte mich auch mit dem
Finanzthema auseinandergesetzt: Wie ist Geld entstanden, wie funktioniert
es? Wenn man bestimmte Mechanismen erkannt hat und sieht, was in der Welt
läuft, dann weiß man einfach, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann.
Sie haben Geld erpresst, glauben aber nicht an Geld?
Das Finanzsystem muss zusammenbrechen. Es kann nicht funktionieren, Geld
aus Geld zu generieren. Es haut nicht hin, dass jeder, vom Hedgefonds bis
zum Spekulanten, nur in die Finanzströme eingreifen und für sich was
abzweigen will. Wie bei einem Flusssystem ist irgendwann Schluss, wenn die
Quelle abgegraben wird. Man müsste das Finanzsystem radikal ändern, aber
das geht ja nicht so einfach. Also wurschteln sich alle durch: Jeder hofft,
dass es ihn nicht trifft, wenn alles zusammenbricht.
2008 hatten Sie einen bizarren Gastauftritt bei Ton Steine Scherben in
einem Kreuzberger Autohaus, 2012 gingen Sie ins RTL-Dschungelcamp. Ihre
Dagobert-Geschichte schlachten Sie schon aus, oder?
Ins Dschungelcamp ging ich vor allem aus Neugierde, sonst wäre ich nie nach
Australien gekommen. Aber was heißt „ausschlachten“?! Etwas Normales wie
das Mitsingen bei einer Band erscheint plötzlich in einem anderen Licht. In
gewisser Weise kann ich das sogar verstehen. Aber man kann es sowieso nicht
allen recht machen. Am meisten haben übrigens andere meine Geschichte
ausgeschlachtet. Es gab T-Shirts, CDs und ein Comicbuch über meine
Geschichte. Und ein Bild-Chefredakteur hat mal zu mir gesagt: „An Ihnen
haben wir sehr gut verdient.“ So viel zum Thema Geld und ob sich Verbrechen
lohnt.
19 Apr 2014
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
Interview
Erpressung
Uli Hoeneß
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