# taz.de -- Ukraine-Krise: Zwischen Angst und Hoffnung | |
> Der Maidan-Platz in Kiew ist weit weg, den Konflikt in ihrer Heimat | |
> erleben sie nur aus der Ferne. Doch viele in Hamburg lebende Ukrainer | |
> wollen nicht untätig bleiben. | |
Bild: Schätzen den Austausch, weil sie dann mit ihren Ängsten nicht so allein… | |
HAMBURG taz | Zuerst habe er seinen Augen nicht trauen wollen, sagt Maxim. | |
Maskierte, aufgebrachte Männer stürmen auf einen Bus voller Polizeibeamter | |
zu und versuchen, ihn zu kippen. „Das wäre fast eskaliert, doch dann gingen | |
andere Demonstranten dazwischen und verhinderten Schlimmeres“, sagt er. | |
Szenen wie diese beobachtete der 42-jährige Fotograf immer wieder – damals | |
im November, während der ersten pro-europäischen Proteste auf dem Maidan, | |
dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. | |
Seit 20 Jahren lebt Maxim in Deutschland, bei der Orangenen Revolution im | |
Jahr 2004 war er nicht dabei und habe dies später bereut, sagt er. Als sich | |
dann die Nachricht von den ersten Großdemonstrationen in seiner Heimatstadt | |
verbreitete, habe er keinen Moment gezögert: „Diesmal wollte ich dabei | |
sein. Ich bin hier zwar körperlich in Sicherheit – doch einfach herumsitzen | |
wäre unerträglich gewesen, mit dem Kopf bin ich immer in der Ukraine.“ | |
Maxim ist ein ruhiger Mann, der immer einen Moment nachdenkt, bevor er | |
spricht. Zehn Tage war er bei den Protesten dabei. Die maskierten Männer | |
hält er für bewusst eingesetzte Provokateure. „Dieses Maß an Gewalt war | |
unheimlich, wurde aber unter den Aktivisten sehr kritisch diskutiert“, sagt | |
er. | |
Neben Maxim sitzen Oksana, Lena und Wassil. Auch sie sind in der Ukraine | |
geboren und leben nun seit Jahren in Hamburg. Man kennt sich, in den | |
letzten Monaten sind sie einander oft begegnet, bei Protestveranstaltungen | |
und Mahnwachen haben sie über die politische Lage diskutiert, gestritten | |
und Berichte aus der Heimat ausgetauscht. | |
Oksana gestikuliert und schüttelt immer wieder wütend den Kopf, wenn sie | |
über die Lage in der Ukraine spricht. Die zierliche junge Frau ist Mitglied | |
beim Bund ukrainischer Studenten, gemeinsam mit anderen Aktivisten hat sie | |
die erste Solidariätsdemonstration in Hamburg organisiert. „Die emotionale | |
Belastung ist groß, da war es wichtig, sich auszutauschen, nicht allein zu | |
sein mit der Angst“, sagt sie. | |
Im Februar gehen sie zum ersten Mal auf die Straße, hunderte Ukrainer | |
ziehen in einem Trauermarsch mit einem improvisierten Sarg zum Rathaus, | |
singen Grabeslieder. „So fühlen wir uns, denn traumatische Erlebnisse | |
liegen hinter der Ukraine. Das ganze Land ist in Trauer und jeden Tag hören | |
wir neue Berichte, die uns Angst machen.“ Als die Proteste in Kiew | |
gewaltsamer wurden, stieg auch das Interesse deutscher Medien, erinnert | |
sich Oksana. Doch für die Berichterstattung findet sie keine guten Worte: | |
„Wir sollen immer etwas zu Klitschko oder Timoschenko sagen – dabei sind | |
sie nicht die großen Heldenfiguren oder Hoffnungsträger.“ Zu oft werde der | |
Fokus auf bestimmte Persönlichkeiten und geopolitische Großmächte gelegt, | |
anstatt über die Menschen in der Ukraine selbst zu sprechen, sagt Oksana. | |
Im März organisiert sie gemeinsam mit anderen Aktivisten eine | |
Fotoausstellung im Rathaus, denn einfache Gesichter aus dem Volk seien in | |
vielen Medienberichten nicht zu sehen, sagt sie. Das Vertrauen in die | |
Öffentlichkeit ist getrübt. Lena, die als Politologin arbeitet, informiert | |
sich nur noch über ausgewählte ukrainische Medien, soziale Netzwerke oder | |
durch Berichte vor Ort. „Westliche Medien und Politiker haben schließlich | |
jahrelang ignoriert, dass der Ex-Präsident Janukowitsch Menschenrechte | |
verletzt und schrittweise die Demokratie ausgehöhlt hat“, sagt sie, beugt | |
sich dabei noch ein Stück weiter vor. „Das ist doch unglaublich!“ | |
Und so gibt es zwei zentrale Gründe, warum die Ukrainer auch in ihrer | |
Wahlheimat Hamburg auf die Straße gehen: Sie wollen aufklären über die | |
Ursachen des Konflikts, die soziokulturellen Hintergründe im Land, den | |
Blick dabei auf die ukrainische Bevölkerung lenken. Und sie wollen einander | |
beistehen. Nach dem Trauermarsch im Februar, vor dem Eindruck der gewaltsam | |
niedergeschlagenen Proteste auf dem Maidan, seien sie gemeinsam in der | |
St.Petri-Kirche gewesen, berichtet Oksana – darunter viele Aktivisten, die | |
eigentlich gar nicht gläubig sind. „Das war ein kathartischer Moment“, sagt | |
die Studentin und klingt bei der Erinnerung selbst ein wenig erstaunt. | |
„Viele ältere Menschen haben geweint, wir haben gebetet, waren einander | |
sehr nahe“, sagt sie. | |
Auch außerhalb zentraler Sammelpunkte wie der Kirchengemeinde stehen die | |
Ukrainer in Kontakt: Per E-Mail werden neue Protestaktionen bekanntgegeben, | |
in einer Facebook-Gruppe namens „Euromaidan Hamburg“ werden Nachrichten zur | |
Lage in der Heimat verbreitet. Der Kontakt zu Verwandten und Freunden aus | |
der Ukraine ist heute besonders eng: In Telefonaten und E-Mails spürt sie | |
die von Angst und Einschüchterung geprägte Stimmung im Land, erzählt Lena, | |
die aus Luzk stammt, einer Stadt im Nordwesten der Ukraine. Vor ein paar | |
Tagen sei ihr Cousin zum Militär einberufen worden, nun warte er auf seinen | |
Einsatz. „Die Lage ist angespannt, alle befinden sich in Alarmstellung“, | |
sagt Lena. | |
Ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine stellt eine reale Bedrohung | |
dar, da sind sich alle am Tisch sicher: „Auf der Krim und an den Grenzen | |
wurden russische Spezialeinheiten stationiert, prorussische Rebellen wurden | |
gezielt mit Waffen ausgestattet, jetzt dringen ukrainische Truppen in den | |
Osten vor – natürlich können wir uns da einen Krieg vorstellen“, sagt Max… | |
und seufzt dabei leise auf. Kein Ukrainer, den er kenne, befürworte einen | |
Krieg: „Die Russen sind militärisch überlegen und ein Krieg würde das | |
Verhältnis zwischen den Nationen auf lange Sicht schwer beschädigen“, sagt | |
er und die anderen nicken. | |
Wassil sitzt ganz am Rande des Tischs und hat bisher wenig gesprochen. Der | |
junge Mann beobachtet die Runde mit einem Lächeln, sagt dann zögerlich: | |
„Ich komme aus Dnipropetrowsk, das liegt im zentralen Osten der Ukraine. | |
Dort ist die Stimmung etwas anders.“ Einen Krieg fürchten seine Freunde und | |
Familie nicht, sagt Wassil: „Die Russen würden sich doch sowieso schnell | |
durchsetzen.“ Wo er herkomme, sei Apathie und Politikverdrossenheit weit | |
verbreitet. Der Auszubildende ist 22 Jahre alt und hat erst vor Kurzem zum | |
ersten Mal Berührung mit einem West-Ukrainer gehabt – in der ukrainischen | |
Gemeinschaft in Hamburg. Die soziokulturelle Spaltung des Landes in Ost und | |
West sei für ihn deutlich spürbar. In der Schule lernte er aus sowjetischen | |
Büchern, hatte wenig Kontakt zum westlichen Teil des Landes. Eine direkte | |
Bahn- oder Busverbindung in den Hunderte Kilometer entfernten Westen gebe | |
es nicht, eine weite Reise sei für ihn, der aus einer einfachen | |
Arbeiterfamilie stamme, ohnehin zu teuer. „Was wir über den Westen wussten, | |
beruhte nur auf Gerüchten – etwa, dass jeder, der dort offen Russisch | |
spricht, verprügelt wird“, sagt Wassil und grinst wieder in sich hinein. | |
Dass er bei den West-Ukrainern in Hamburg nun nicht auf Ablehnung stößt, | |
habe ihn überrascht, sagt er. Unter seinen Freunden in der Heimat seien | |
heute einige prorussisch eingestellt, andere tendierten hingegen zur | |
Ukraine. „Aber den meisten ist alles egal – die Macht diktiert und das Volk | |
hat resigniert. Diese Einstellung bestimmt das Leben.“ | |
Spätestens durch die gemeinsamen Solidaritätsaktionen und Proteste kommen | |
sich Ukrainer aus allen Teilen ihres Landes nun näher. „Wir sind eine sehr | |
heterogene Gruppe“, sagt Oksana. „Wir verurteilen Korruption und | |
Repressionen, aber wenn wir weiter in die Tiefe gehen, sind wir doch | |
unterschiedlicher politischer Meinung“, sagt sie. So habe es schon hitzige | |
Diskussionen über die Verwendung des Schlachtrufs „Slawa Ukraini“ bei den | |
Protesten gegeben. Der von Nationalstolz durchdrungene Ausruf kann | |
übersetzt werden mit „Ruhm der Ukraine“ und ist unter den Aktivisten | |
umstritten. | |
Wenn Maxim an die Zukunft seines Heimatlandes denkt, schwankt er zwischen | |
Hoffnung und Resignation. „Mit den Paramilitärs im Osten wurden Kräfte | |
freigesetzt, die eine ganz eigene Dynamik entwickelt haben – da fällt es | |
mir schwer, optimistisch zu bleiben“, sagt er. Die Sorge um ihre | |
Verwandten, die Wut über die politischen Machtkämpfe im Land ist den | |
Aktivisten deutlich anzumerken. | |
Nicht selbst vor Ort sein zu können, ist für Lena eine Belastung: Seit zehn | |
Jahren lebt sie in Deutschland. Wenn sie heute mit ihrer Mutter | |
telefoniere, müsse sie sich rechtfertigen – weil die deutsche Politik aus | |
Sicht vieler Ukrainer nicht deutlich Stellung gegen Russland beziehe. „Dann | |
heißt es: Du und deine Merkel, ihr habt euch für billiges Gas verkauft und | |
wollt deshalb keine Sanktionen verhängen.“ Lena zuckt müde mit den | |
Schultern. „Also vermeide ich es, über Politik zu sprechen. Obwohl das | |
Thema allgegenwärtig ist.“ | |
27 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Annika Lasarzik | |
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