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# taz.de -- Jugendradio 50 Jahre DT64: Flotte Berichte und vor allem Beat
> Mehr als 20 Jahre nach seinem Ende reflektiert ein Festival im Kino
> Babylon die Geschichte des etwas anderen DDR-Staatssenders.
Bild: Subkulturelle Unterstützung hatte der Sender genug
Die Sommersaison steht bevor, also steigen sie bald wieder, die
Berliner-Rundfunk-, rs2- und RTL-Openair-Festivals mit vielen Stars
früherer Tage und ganz viel Musik zum Nostalgieren. Auch zum
Radio-Festival, das vom 8. bis 10. Mai im Kino Babylon stattfindet, kommen
etliche Bands, die ihre glorreichen Zeiten schon hinter sich haben.
Immerhin, sie existieren noch – anders als das Radio, das dem Festival
seinen Namen gibt: DT64.
Das ehemalige DDR-Jugendradio DT64 existiert seit über zwanzig Jahren nicht
mehr. Gleichwohl gibt es im Internet eine DT64- und eine Facebook-Seite,
und im Ostseestädtchen Wismar gibt es eine DT64-Kneipe. Und nun das
Festival. Scheint so, als würde da jemand richtig was vermissen.
In der Wismarer Kneipe war Marion Brasch zwar noch nie, die zierliche,
sympathische Frau hat aber von 1986 bis 1993 bei DT64 gearbeitet. Heute
gehört sie zu den Moderatorinnen des rbb-Senders Radio eins. Kurz bevor das
Jahr 2014 mit all seinen Jubiläen anbrach, war ihr aufgefallen, dass auch
ihr früherer, 1964 gegründeter Sender einen runden Geburtstag hat: „50
Jahre, hab ich gedacht, Mensch, da müsste man mal was machen.“
Mal was machen: Das war immer die große Stärke von DT64, vor allem in der
Wendezeit und je näher das Aus für den Sender rückte. Die Geschichte des
Senders ist nicht durchgehend spannend, interessant ist, wie sie anfing.
Und besonders, wie sie endete.
## Honecker tobte
Pfingsten 1964 wurde der Sender in Ostberlin aus der Taufe gehoben, um das
„Deutschlandtreffen der Jugend“ beider deutscher Staaten zu begleiten, mit
„99 Stunden flotter Berichte, Suchanzeigen und vor allem Beat“. Das machte
das Sonderstudio DT64 so gut, dass es kurz darauf als Jugendstudio DT64
fortgeführt wurde. Ein Jahr später folgte die Quittung: Auf dem
berüchtigten 11. Plenum der SED rügte Erich Honecker, dass der Sender
„einseitig die Beatmusik propagiert und in nicht vertretbarer Weise die
Fragen der allseitigen Bildung und des Wissens junger Menschen außer acht
gelassen“ habe. Die Beatmusik wurde zurückgefahren.
Jahre später wurden die Zügel wieder etwas gelockert, ab 1986 sendete DT64
rund um die Uhr. Bei der Hörerschaft hatte das Jugendradio einen guten Ruf:
Wer nicht schon rettungslos ans Westradio verloren war, ignorierte schlicht
jenen Teil der Wortschiene, in dem die sozialistische Jugend ebenso brav an
der Realität vorbeigelobt wurde wie bei der FDJ-Zeitung Junge Welt. Die
kleinen Sticheleien gegen die Heile-DDR-Welt wirkten im Vergleich zu den
sonstigen Medien zwar enorm, wirklich aufrührerisch aber war die nächtliche
Ruhestörung. Während die Oberzensoren schliefen, sendete man rebellische
Musik von den sogenannten Anderen Bands wie Feeling B oder AG Geige –
Undergroundbands, die sarkastisch die bleiernen Zustände attackierten, ohne
radikal gegen die DDR zu sein. DT64 war Ende der Achtziger ein Medium, das
die Zerrissenheit vor allem jener jungen Ostler widerspiegelte, die nicht
völlig DDR-kontra waren, sondern eine vage Hoffnung auf Veränderung hatten,
hin zu einer freien, offenen, irgendwie sozialistischen Gesellschaft.
Als es nicht mehr reichte, die Unzufriedenheit über die Verhältnisse nur
mit dem Senden rebellischer Musik auszudrücken, entschied sich auch Marion
Brasch, „einmal nicht feige zu sein“. Im September 1989 unterzeichnete sie
eine Resolution von Ostmusikern gegen die verknöcherte DDR-Politik – und
zog nicht zurück, als es ihr der Redaktionsleiter eindringlich nahelegte.
Es war ihr persönlicher Start in eine aufregende Umbruchzeit, an die sie
als Erstes denkt, wenn man sie heute nach DT64 fragt. „Als die Fenster in
der stickigen DDR aufgingen und man endlich Journalismus machen konnte, das
war toll. Und natürlich die Rettungsaktionen der Hörer.“
Die Bindung zwischen DT64-Machern und -Hörern war groß, auch weil aus der
zaghaften Zwischen-den-Zeilen-Aufmüpfigkeit kühner, euphorischer
Journalismus geworden war, der die Wortbeiträge über die Zustände in der
auslaufenden DDR oft aufregender machte als die damalige Musik. Im
Wendeherbst lud man als erstes Quasi-Staatsmedium die Bürgerrechtlerin
Bärbel Bohley zum Gespräch, kurz nach dem Mauerfall produzierte man mit SFB
2 die erste deutsche Radiogemeinschaftssendung.
## Tausende demonstrierten für den Erhalt des Senders
So langsam die Uhren vor 1989 tickten, so schnell lief DT64 ab 1990 die
Zeit davon. Früh zeichnete sich ab, dass der überregionale und noch dazu
vereinigungskritische Jugendsender bei der Neuordnung des Rundfunks durch
das Raster fallen würde. Dagegen formierte sich rasch eine breite
Protestbewegung mit kreativen Aktionen von Fans und Redakteuren. Im Herbst
1991 demonstrierten Zehntausende in ganz Ostdeutschland für den Erhalt von
DT64. Dessen Redakteur Knut Elstermann, heute Radio-eins-Kino-Moderator,
sagt: „Ich habe mich damals oft gefragt: Warum sind uns die Leute
eigentlich nicht in Scharen weggelaufen nach 1989? Wir waren ja Staatsfunk.
Aber die haben so um uns gekämpft, dass mir das manchmal peinlich war.“
Einige Demonstranten hätten zu jener Zeit schließlich selbst ihre
Arbeitsplätze verloren.
Sein damaliger DT64- und heutiger rbb-Kollege Andreas Ulrich erinnert sich
an die große Authentizität: „Es lag wohl daran, dass wir nicht sofort nach
der alten Wahrheit eilfertig die neuen Wahrheiten verkündet haben. Damit
waren wir sicher glaubhaft für die Hörer, die sich ja auch in einer völlig
neuen Welt zurechtfinden mussten.“
Im föderalen Rundfunksystem wurde DT64 trotzdem bald zerrieben. Der MDR
erklärte sich bereit, den Sender in Halle fortzuführen, benannte ihn aber
1993 in Sputnik um. Einige DT64-Leute gingen mit, andere wechselten zum
Brandenburger Rockradio B, aus dem später Fritz hervorging. Dass ein
bundesweites Jugendradio mit so viel Akzeptanz bei den Hörern nicht
weitergeführt wurde, das mache sie immer noch ein bisschen wütend, sagt
Marion Brasch heute.
Auch darüber soll nun im Babylon geredet werden, neben Dokumentationen,
alten DT64-Features zum Nachhören, einem Schnipselvortrag von Jürgen
Kuttner und Fragerunden zum Beispiel mit Ex-Rias-Moderator Olaf Leitner.
Und natürlich viel Musik von Bands, die mit DT64 und der Umbruchzeit
verbunden sind: Die Art, Sandow, Rainbirds, Bobo in White Wooden Houses.
Alle hätten sofort zugesagt, erzählt Marion Brasch, die sich vorwiegend um
die Programmgestaltung des Festivals kümmert. Die Kalkulation übernimmt
Heiko Hilker, der vor gut zwanzig Jahren als Student in Dresden die
landesweiten Protestaktionen der rund 80 DT64-Freundeskreise koordinierte
und heute in Dresden ein Institut für Medien, Bildung und Beratung
betreibt. Beide stemmen das Festival auf eigenes finanzielles Risiko.
Etliche Helfer arbeiten für lau, aus alter Sympathie. Erst wenn jeden Tag
mehr als 250 Leute ein Tagesticket fürs Festival kaufen, kriegen sie
Honorar.
## Soziale Netzwerke
Heiko Hilker ist zuversichtlich, dass genug Leute kommen. Das Risiko nimmt
der 47-Jährige in Kauf. Es gehe nicht um Nostalgie, sondern um die
Gegenwart: „Wenn heute von Radio als sozialem Netzwerk geredet wird und vom
Auftrag zur gesellschaftlichen Kommunikation für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk, muss man feststellen, dass DT64 1990 bis 1992 viel weiter war als
die heutigen Jugendsender.“ Die nutzten zwar alle Facebook und Twitter,
„aber da wird meist nur das Foto mit der Freundin auf der Motorhaube
gepostet“. Damals habe es bei DT64 Hörertreffen mit 500 Leuten gegeben, auf
denen übers Programm diskutiert und gestritten worden sei.
In diesem Mauerfalljubiläumsjahr werden wohl noch genug offizielle
Veranstaltungen stattfinden, bei denen die Wende vor allem als Schritt zur
Einheit gefeiert wird. Dass die auch den Rausch und die Träume der
Umbruchzeit jäh beendete – dafür ist DT64 ein hübsches Beispiel.
## ■ Programm:
7 May 2014
## AUTOREN
Gunnar Leue
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