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# taz.de -- Die Sauna im europäischen Vergleich: Zieh! Dich! Aus!
> Besucher aus dem europäischen Ausland geraten in deutschen Saunen
> ordentlich ins Schwitzen. Der Grund? Sie müssen sich splitternackt
> ausziehen.
Bild: Zurückgelassenes Saunatuch – irgendwo läuft jemand unbeschurzt über …
Allen möglichen Nationen sagt man einen Hang zu Freizügigkeit und
Frivolität nach – aber den Deutschen? Die Franzosen, ja. Kaum dreht man
sich eine Minute weg, geht es los mit der Amour fou. Die Italiener, allzeit
bereit mit heißem Herzen. Und die Schweden an sich, sowieso liberal bis
aufs Mark.
In Wahrheit gehen diese Völker zwar nicht unbedingt zum Lachen in den
Keller, aber mit Badekleidung in die Sauna. Für Deutsche ist das so
unglaublich, dass sie sogar einen eigenen Begriff dafür erfunden haben:
Textilsauna. Wer eine solche besucht, ist entweder „Ausländer“ oder tickt
nicht ganz richtig. Weil er einfach „verklemmt“ ist, also aufgrund eines
überentwickelten Schamgefühls nicht in der Lage, die Standards der
deutschen Badekultur einzuhalten.
Während sich Amerikaner, die ohne Vorwarnung in eine gemischte deutsche
Sauna geraten, in einem Swinger-Club oder Nudisten-Camp wähnen, gilt es für
Deutsche als ausgesprochen unhygienisch und auch ungesund, in Badehose oder
Bikini zu schwitzen. Man nimmt hierzulande an, dass die Kleidung
blitzschnell zu einem Nährboden von Pilzen und Bakterien mutiert, die
anschließend die vom Schwitzen aufgeweichte Haut aufschürft.
Doch Moral- und Hygienediskurs verdrehen sich in der Frage des
Nackt-Saunierens wie zwei plitschnasse Handtücher, die man auszuwringen
versucht. Der moralische Aspekt ist religiös unterfüttert, geht es doch bei
der Bedeckung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale von Mann und
Weib vor allem um Sexualkontrolle, sowohl hetero- als auch homosexueller
Ausprägung. So sind zum Beispiel in einem ohnehin geschlechtergetrennten
Hamam auch die Männer gehalten, stets einen Lenden-Schurz zu tragen, damit
ein etwaiges Begehren gar nicht erst aufkeimen kann. Auch die Vertreter der
christlichen Sexualmoral haben sich stets bemüht, das Sodom & Gomorrha der
mittelalterlichen, öffentlichen Badestuben in den Griff zu bekommen und
Männlein und Weiblein im Bade und in der Sauna davon abzuhalten, in
Anbetracht ihres nackten Fleisches übereinander herzufallen.
## Feier des Körpers
Man könnte nun annehmen, dass die deutsche Nacktheit in der
GEMISCHTGESCHLECHTLICHEN Trockensauna womöglich dem Protestantismus zu
verdanken ist – doch schon das schwedische Textilgebot deutet an, dass man
hier auf dem Holzweg ist. Vielmehr fußt diese körperliche Ungeniertheit auf
der deutschen Lebensreformkultur, die in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts fröhliche Urstände feierte: Hinweg mit den Klamotten und hin
zu Licht und Luft. Eine Feier des Körpers, der Gesundheit und der
Naturverbundenheit, die von den Nazis pervertiert wurde, in der DDR als
Nacktbadestrand überwinterte und in Westdeutschland zumindest in Form der
gemischtgeschlechtlichen Nacktsauna.
Der ideologisch-revolutionäre, gar esoterische Unterbau dieser kulturellen
Praxis ist längst verschüttgegangen, an der Oberfläche gehalten hat sich
lediglich der hygienische Aspekt, den man etwa aus der „Sammeldusche“
deutscher Schwimmbäder kennt, ist doch hier das Ablegen der Badebekleidung
während des Duschens PFLICHT.
Besucher aus anderen europäischen Ländern sind trotzdem peinlich berührt,
wenn sie ein Fünf-Sterne-Wellness-Hotel besuchen und abends am Büfett die
Nackten aus der Dampfsauna vom Nachmittag treffen. Wie schaffen es diese
Deutschen, nicht vor Scham im Boden zu versinken? Ganz einfach: Indem sie
alles daran setzen, vordergründig Sexuelles aus den Nassbereichen zu
verbannen, als handle es sich um Fußpilzsporen. Offenkundiges Anstarren von
Brüsten oder Hoden ist TABU, ebenso jede Form von Berührung oder
Zärtlichkeit. In der Sauna wird sowieso geschwiegen, als sei man in einem
Gotteshaus. Und selbstverständlich wird in Saunen der Fitnessstudios
trotzdem gelinst, geschielt und unauffällig um die Ecke geguckt. Sei es zu
Zwecken der Anbahnung oder des bei Männern beliebten wertenden Vergleichs.
Wer sich nun allzu sehr darüber wundert, warum die Deutschen in dieser
Hinsicht so entspannt und liberal sind, sollte einfach mal probieren, die
Regeln zu brechen. Geht etwa ein junger Mann mit arabischem
Migrationshintergrund – Nacktheit gilt in arabischen Ländern als Schande –
mit Badehose in die Sauna, bricht gleich das Abendland zusammen:
Parallelgesellschaft! Aber auch ohne Hintergründe, seien sie religiös oder
kulturell, kann man sich in deutschen Saunalandschaften gratis eine
eiskalte Dusche abholen, wenn man sich nicht an das Gebot hält: Alle MÜSSEN
nackt sein.
21 May 2014
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Sauna
Moral
Protestantismus
Sommer
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