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# taz.de -- Auszeichnung für Lyrikerin: „Verklammerung von Wort und Leben“
> Die in Kiel und Husum lebende Dichterin Therese Chromik bekommt den
> Andreas-Gryphius-Preis. Ein Gespräch über die Verteidigung der Sprache
Bild: Therese Chromik: "Wenn ich etwas im Radio höre oder in der Zeitung lese,…
taz: Frau Chromik, kann Lyrik heilen?
Therese Chromik: Indirekt, im Sinne des Zu-sich-selbst-Findens. Sie kann es
schaffen, dass man das abschüttelt, worunter man in dieser Zeit leiden
kann. Das hat dann eine stabilisierende Wirkung.
Worunter kann man heutzutage leiden?
Wir funktionieren nur noch, vieles läuft mechanistisch ab. Wer sich mit
Lyrik beschäftigt, ob als Leser oder Dichter, begegnet Erfahrungen,
begegnet dem Menschlichen. Deshalb ist Dichtung und besonders Lyrik als
komprimierteste, dichteste Form so wichtig. Lyrik ist eine psychologische
Notwendigkeit, um aller Entfremdung vom Menschlichen, aller mechanistischen
Außensteuerung entgegenzuarbeiten und sich selbst wiederzufinden. Heute
mehr denn je.
Inwiefern heute mehr als in der Vergangenheit?
Weil andere Bindungen heute weggefallen sind, die uns bei unserer
Selbstvergewisserung helfen könnten. Die Bindung an die Kirche ist geringer
geworden, ähnliches gilt für Familienbindung, es gibt, zum Glück, auch
keine von Autoritäten verordnete Weltanschauung mehr, die das Denken für
uns besorgt, obwohl die Medien diese Funktion einnehmen möchten. Aber umso
mehr sind wir auf uns selbst verwiesen, die wichtigste Instanz sind wir
selbst. Lyrik stärkt diese Instanz.
Was hat Sie dorthin geführt?
Da gab es drei Impulse. Meine Mutter hat, von meinem Vater am Klavier
begleitet, sogenannte Kunstlieder gesungen, von Bach, Schubert, Hugo Wolff.
Dadurch habe ich früh Rhythmus und Klang und Reim erlebt. Der zweite Impuls
war der Lateinunterricht, in dem ich Metrik kennenlernte, weil wir
Horaz-Gedichte ins Deutsche übersetzten und übertragen mussten. Aber die
Initialzündung zu dichten, war der Tod meines Mannes Christian, der 1979
sehr jung verstarb.
Sie führten bis zu diesem Punkt Tagebuch, womit Sie als Teenager begonnen
hatten, nachdem Ihr Vater gestorben war. Warum genau haben Sie aufgehört?
Nach dem Tod meines Mannes fand ich diese vielen Sätze lästig und
vollkommen überflüssig. Ich war wohl in der Trauer etwas „wortarm“,
misstraute dem Wortreichen, habe mehr über einzelne Worte und
Wortverbindungen meditiert. So entstand mein erstes und bekanntestes
Gedicht, „Christian“.
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nahm es in seine Anthologie auf.
Was empfanden Sie damals?
Freude, dass gerade dieses Gedicht so weit wandert, das erste Gedicht, das
Gedicht, in dem mein Mann weiterlebt. Es war ein Zeichen für die
Verklammerung von Wort und Leben.
Wie erklären Sie sich das geringe Interesse an Lyrik?
Viele haben eben noch nicht begriffen, dass es gut ist, sich auch mal aus
dem Getriebe herauszunehmen und sich auf sich selbst zu besinnen. Aber ich
glaube, dass man immer mehr dazu kommen wird, weil wir dem, was uns
zudeckt, was uns manipuliert, etwas entgegensetzen wollen. Junge Leute
haben für sich den Poetry Slam entdeckt. Es ist eine Mischkunst, bei der
die Darstellungsfähigkeit, andere anzusprechen, zu fesseln eine große Rolle
spielt, bei der viel mit Rhythmus und Wiederholungen gearbeitet wird. Es
ist auf jeden Fall auch ein Weg, sich mit dem „Un-Nützlichen“ zu
beschäftigen. Und letztlich, glaube ich, hat solch „Un-Nützliches“ in dem
Sinne, dass es keinen Profit bringt, diesen Effekt der Besinnung, der
Befreiung von Druck.
Wo finden Sie Ihre Themen?
Durch Beobachtungen im Alltag. Wenn ich etwas im Radio höre oder in der
Zeitung lese, kann es zu einem Gedicht führen. Aber ich brauche einen
Aufhänger, einen Impuls. Manchmal ist dieser Impuls eben die Verlogenheit
der Sprache in den Nachrichten, wenn Worte eine positive Vorstellung
transportieren, die etwas verschleiert. Der Impuls für das Gedicht „Im
Gaza-Streifen“ war eine Radiomitteilung darüber, dass sich einige
US-Politiker über die schlechte Tötungsmoral ihrer Soldaten Gedanken
machten und man daher vermehrt Priester einsetzen sollte, die ihnen vor
Augen führen sollten, dass es „Feinde“ seien. Jetzt fällt mir auf, dass i…
mich beim ersten Vers an Borchert erinnert fühle.
Warum gerade Borchert?
Sein Antikriegs-Aufruf-Gedicht mit der eindringlichen Anrede – „Du, Mann an
der Maschine (…) Sag nein!“ – war sicher unbewusst in meinem Ohr, als ich
diese Zeilen schrieb. Borchert hat mich schon als Schülerin beeindruckt.
Zur selben Zeit war es auch Kästner, dessen „Märchen von der Vernunft“ den
Krieg auf so verblüffende Weise ad absurdum führt.
Hat Lyrik eine Verantwortung?
Ja, die Wahrhaftigkeit der Sprache muss verteidigt werden: dass Wörter
meinen, was sie sagen, und sagen, was sie meinen. Ich habe es in dem
Gedicht „Ermittlungen“ versucht.
Gibt es neben Borchert weitere Literaten, die nie ein Interessensgefälle
bei Ihnen durchgemacht haben?
Abgesehen von Goethe, den Klassikern, den Dichtern der Romantik und Großen
wie Thomas Mann, begleiten mich – ich kann gar nicht alle nennen – Hilde
Domin und Rose Ausländer, Böll, Kafka, auch Siegfried Lenz halte ich die
Treue. Die „Deutschstunde“ ist ein fantastisches Buch.
Sind Lyriker verletzlicher als andere Autoren?
Man schreibt Lyrik, weil man verletzlich ist. Verletzlich vielleicht durch
den erdrückenden Betrieb dieser Welt, durch das Funktionieren, durch die
Bürokratie, durch die Medien, was immer uns manchmal zu viel wird. Wenn ich
das spüre, finde ich vielleicht im Schreiben ein Ventil, denke über das
Wort nach, wende es hin und her, mache Lyrik. Wenn ich nicht so
verletzlich, so empfindlich wäre, würde ich es vielleicht nicht tun. Aber
ich halte die Form nicht für intim.
Nein?
Die Klönschnacks bei meinem Schlachter um die Ecke, wenn Frauen über ihre
Ehemänner sprachen, waren intimer, weil sie direkt erzählten. Wenn ein
Gedicht gemacht wird, hat es schon einen Prozess der Distanzierung hinter
sich durch die Arbeit an der Verdichtung. Es ist das Substrat einer
Erfahrung, das, hoffentlich, den Leser anregt.
Was würden Sie tun, wenn Sie nicht mehr schreiben dürften?
Ich habe gemalt, bevor ich Lyrik schrieb. Das Schreiben war nicht nötig,
weil ich damals noch den Dialogaustausch mit meinem Mann hatte, dem ich
natürlich die Ohren vollgequatscht habe; Erlebtes oder Gefühltes hat man
sich, wenn es wichtig war, mitgeteilt. Zu zweit hat man andere Techniken
des Selbstvergewisserns und sich aus dieser Welt zurückzuziehen als
alleine.
Und die persönliche Folge der Schattenexistenz: Wie schwierig ist es, einen
Verlag zu finden?
Ich habe immer einen Verlag gehabt. Aber für Lyrik ist das nicht leicht.
Für die – mit Bodo Heimann herausgegebenen – „Euterpe“-Jahrbücher und
-Anthologien haben wir einen großen regionalen Verlag gefunden. Um größere
Verlage für meine Lyrik habe ich mich nicht bemüht.
Warum nicht?
Ich hörte, wie viele Manuskripte da täglich auf den Tischen landen. Ich bin
realistisch genug, zu sehen, dass man bei der Menge an Autoren jemanden
haben muss, der sich für einen einsetzt. Oder man muss einen sehr
bedeutenden Preis verliehen bekommen. Ich habe kleine Verlage für meine
Lyrik und in Helmut Braun einen guten Lektor, der auch Rose Ausländer
verlegt und herausgegeben hat.
Sie waren Lehrerin und Schulleiterin. Wie haben Ihre Schüler auf Lyrik
reagiert?
Ich habe ihnen Lyrik nie einfach so vor die Nase geknallt. Wenn ich an
Lyrik herangeführt habe, dann experimentell, produktionsorientiert. Wir
haben aus Prosasätzen Gedichte gemacht, mit unterschiedlichen Zeilenbrüchen
und beobachtet, wie dadurch eine Sinnverschiebung entsteht, wir haben
Antwortgedichte, Umdichtungen, Parodien gemacht.
Sie bekommen am heutigen Freitag in Düsseldorf den Andreas-Gryphius-Preis
überreicht. Was bedeutet Ihnen der?
Der Preis war mal mit 25.000 D-Mark dotiert, natürlich könnte ich die knapp
12.000 Euro gut gebrauchen – und einsetzen. Es ist aber auf jeden Fall für
die Verlagssuche immer eine gute Empfehlung, wenn man Preise hat.
Keine Genugtuung?
Die Freude verfliegt schnell. Man lebt ja vorwärts.
13 Jun 2014
## AUTOREN
E. F. Kaeding
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