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# taz.de -- Quartier gegen Abschiebung: Hände weg von meinem Nachbarn
> Zum vierten Mal versucht eine Osnabrücker Stadtteil-Initiative, die
> Abschiebung eines Flüchtlings zu verhindern.
Bild: Wird gefordert und von vielen Menschen auch gewährt: Solidarität gegen …
OSNABRÜCK taz | Ahmed dürfte nach europäischem Recht gar nicht mehr in
Deutschland sein. Dass der 26-Jährige trotzdem noch in Osnabrück lebt,
genauer gesagt im Flüchtlingsheim An der Petersburg, hat er seinen
NachbarInnen zu verdanken. Die haben am 23. Mai seine Abschiebung in die
Niederlande verhindert.
Dorthin war er vor fünf Jahren aus Somalia geflohen und dort droht ihm die
Abschiebung in sein vom Krieg ausgeblutetes Heimatland. Am Freitag wird es
wieder einen Versuch geben, Ahmed abzuschieben. „Auch den werden wir
hoffentlich verhindern können“, sagt Michael Grönefeld von der
„Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe im Rosenplatzquartier“.
Drei Abschiebungen haben die AktivistInnen seit März verhindert, indem sie
friedlich die Eingänge der Flüchtlingsunterkunft blockierten. An der
letzten Aktion am 10. Juni nahmen 120 Menschen teil: AktivistInnen der
Flüchtlingsinitiative „No Lager“, LokalpolitikerInnen,
KirchenvertreterInnen – und vor allem AnwohnerInnen des
„Rosenplatzquartiers“, zu dem auch die Straße An der Petersburg gehört.
Das nachbarschaftliche Engagement reicht zurück bis ins Jahr 2001. Damals
wurde der marode Stadtteil zum Sanierungsgebiet erklärt und der „Runde
Tisch Rosenplatz“ gegründet, ein Forum für Bürgerbeteiligung. „Als im
vergangenen Jahr auch hier Unterkünfte entstanden, haben Teilnehmer des
runden Tisches die Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe gegründet“, erzählt
Grönefeld.
Die habe sich anfangs um Spenden gekümmert, um Kleidung und Möbel, habe
Kontakte zu Vereinen geknüpft und Deutschunterricht angeboten. „Aber als
wir im Laufe der Zeit herausgefunden haben, dass sich die meisten der hier
Untergebrachten im Dublin-Verfahren befinden, wurde es langsam
politischer“, sagt Grönefeld.
Das Dublin-Verfahren sieht vor, dass Flüchtlinge nur in dem europäischen
Land Asyl beantragen dürfen, in das sie zuerst eingereist sind: „Bei Ahmed
waren das die Niederlande. Dort hat man nach drei Jahren seinen Asylantrag
abgelehnt, und danach war er wohnungslos“, berichtet der Rosenplatz- und
„No Lager“-Aktivist Philipp Stroehle.
In den Niederlanden sei es Praxis, geduldete Flüchtlinge ohne
Arbeitserlaubnis und ohne Sozialleistungen auf die Straße zu setzen. In
Italien und Frankreich sieht es ähnlich aus, in Ungarn können Flüchtlinge
bis zu neun Monate inhaftiert werden. „Wir waren entsetzt darüber, wie
Menschen in Europa behandelt werden“, sagt Grönefeld.
Seit Anfang dieses Jahres trifft sich die Arbeitsgemeinschaft nicht mehr
einmal im Monat, sondern wöchentlich: „Wir haben begonnen, uns über die
Hintergründe des Dublin-Verfahrens zu informieren und Hilfsmöglichkeiten
diskutiert.“
Eine davon ist das Kirchenasyl, die Zweite entstand im März ungeplant:
Damals versammelten sich rund 40 Menschen spontan vor der
Flüchtlingsunterkunft, um die Abschiebung eines Somaliers nach Frankreich
zu verhindern – mit Erfolg. Aus dieser Aktion entstand eine Telefonkette,
die mittlerweile über hundert Menschen umfasst: Sie werden per Anruf oder
SMS über einen bevorstehenden Abschiebungstermin informiert.
Auf diese Weise konnten bisher drei Abschiebungen verhindert werden. „Und
erfreulicherweise haben weder die Polizei noch die Ausländerbehörde Ärger
gemacht“, sagt Stroehle. Allein die Anwesenheit der AktivistInnen habe für
deren Rückzug gesorgt.
Dass eine Abschiebung damit nicht verhindert, sondern vorerst aufgeschoben
ist, ist den AktivistInnen bewusst: „Wir verlängern dadurch den Aufenthalt
des Geflüchteten in Deutschland, und das ist wichtig“, sagt Stroehle. Denn
im Dublin-Verfahren müssen Flüchtlinge spätestens nach sechs Monaten in das
Ersteinreiseland überstellt werden. Danach ist das Land, in dem sich der
Geflüchtete befindet, für den Asylantrag zuständig.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) habe durch Maßnahmen wie
die Dezentralisierung der Unterkünfte die Lage der Flüchtlinge zwar
verbessert, sagt Grönefeld, aber niemand fühle sich für das
Dublin-Verfahren verantwortlich. „Also versuchen wir selbst zu verhindern,
dass die Menschenrechte mit Füßen getreten werden“, sagt Grönefeld. So wie
am Freitagmorgen, wenn Ahmed zum zweiten Mal in die Niederlande abgeschoben
werden soll.
19 Jun 2014
## AUTOREN
Simone Schnase
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