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# taz.de -- Crossover: Düster gestimmt
> Bei der Kooperation des Hamburger Museums für Völkerkunde mit der
> Kunstsammlung von Rik Reinking geht es um Gefühle.
Bild: Wie ein toter Wal vor der Farbexplosion: "Irisches Ruderboot" und "DAIMwa…
HAMBURG taz | Wie ein toter Wal liegt kieloben ein großes, schwarz
geteertes Boot im Zentrum des dunkel gehaltenen Raumes, dahinter die
Farbexplosion eines meterlangen Großgraffitis des Hamburger Sprayers DAIM.
Und über allem erklingt getragen ein „Ave Maria“. Was für eine Art von
Ausstellung ist das denn? Ein altes irisches Ruderboot und Fragmente einer
neuen mongolischen Jurte, figürliche Gemälde von jungen Künstlern wie
Michael Schmeichel oder Dimitris Tzamouranis: Mit insgesamt nur 19 Objekten
und Bildern aus Kunst und Ethnologie wird hier der Anfang einer Reihe
gemacht, die zeitgenössische Kunst mit Museumsobjekten in den direkten
Dialog bringt.
Das Hamburger Museum für Völkerkunde geht das Risiko ein, sowohl seine auf
Exotisches abonnierte wie interkulturelle Begegnung erwartende
Stammkundschaft als auch die Kunstfans zu irritieren. Doch die
Verschiebungen des Blicks zwischen traditioneller und zeitgenössischer
Kunst aus aller Welt sind es wert! Die auf sieben Ausstellungen angelegte
Kooperation des traditionsreichen Museums mit der Sammlung Rik Reinking ist
mehr als ein Werbegag. Sie ist zwar in dieser dichten Form neu, nicht aber
im Prinzip. Denn schon lange gibt es die Auseinandersetzung, ob die Dinge
der Ethnologie eigenständige Kunstwerke oder vor allem didaktisch
aufzubereitendes Material sind.
Gerade hat auch die aktuelle Berlin-Biennale ihren Schwerpunkt in die
Berliner Ethnologische Sammlungen verlegt. Hier aber geht es nicht um die
Thematisierung von grenzenloser Kunst oder um Ausstellungsmethoden als
Metatext, hier geht es um den Zurückgewinn einer unmittelbaren Begegnung
mit dem Objekt, sei es das indische Hinterglasbild eines Prinzen oder ein
Schablonen-Graffiti von Street-Art Legende Banksy: Beide wirken
gleichermaßen melancholisch.
Es ist nicht leicht, gegenüber der ursprünglichen Kraft der Dinge und
Bilder die Offenheit zu bewahren, zu viele ästhetische und politische
Fachdiskurse überlagern die Kunst und die Museumsobjekte. Das gilt
besonders für die Völkerkunde, konzentriert sich dort doch die eigentlich
überall mitzudenkende Aufarbeitung des Kolonialen und eines in der
Kulturgeschichte wahrlich weitverbreiteten nicht friedlichen Erwerbs. Zu
kurz kommt also in den Völkerkundemuseen oft die Möglichkeit, einfach frei
auf Objekte blicken zu können.
Nun aber gingen in der Vorbereitung dieser Ausstellung die Ethnologen ohne
kuratorische Erklärungen durch eine Informel, Fluxus, Minimalismus,
Konzeptkunst, Urban-Art und aktuelle Malerei umfassende Kunstsammlung und
der Sammler und seine Kuratorin ohne wissenschaftliche Erläuterungen durch
das Museum und seine Archive. Um nicht in ihre spezifischen Denkweisen
zurückzufallen, versuchten sie, das Gefühl sprechen zu lassen: Ein nur
scheinbar naives Vorgehen, bei dem es keinen Fehler geben kann und
Missverständnisse produktiv werden.
Die erste so gewonnene Kombinationsschau ist der Melancholie gewidmet.
Zwischen Boxis nächtlich einsamen Haus am Meer und den bemalten
Totenschädeln aus Tirol ist sie erwartbar düster geraten. Auch eine
Paraphrase des berühmten Meisterstichs „Melencolia I“ von Albrecht Dürer
aus dem Jahre 1514 fehlt nicht: der Berliner „kritische Realist“ Wolfgang
Petrick aus der ehemaligen Ausstellungsgemeinschaft „Großgörschen 35“
zitiert die sinnend Sitzende in seinem Gemälde.
Doch trotz der vorherrschend schwarzen Farbe oder der grabsteinartigen
Installation der stets mit Erde arbeitenden Pfälzer Bildhauerin Madeleine
Dietz ist die Melancholie nicht nur negativ zu sehen. Seit der Renaissance
gilt die Melancholie als Grundvoraussetzung der Kreativität.
So sollen auch hier bei nur minimalen Texthinweisen die Besucher und
Besucherinnen den eigenen Gedanken nachspüren. Sie können die Stilisierung
der Figur bei dem bemalten Tanzmaskenanzug aus Baststoff aus dem Amazonas
mit der einer überdimensionalen Gitarre der Street-Art Zwillinge „Os
Gemeos“ aus Sao Paulo vergleichen oder den speziellen Kunstblick auf ein
vor dem Wandbild des einsamen Hauses ebenso erratisch stehenden alten
lehmigen Bienenstock aus der Lüneburger Heide richten.
Schon die bloße Nachbarschaft eines Tempeltors aus Rajasthan mit einer
Lichtinstallation des 1977 geborenen chinesisch-kanadischen Künstlers
Terence Koh kann viele assoziative Türen öffnen. Seine Stroboskoplichter
umzucken leere Glasvitrinen und das gerade hier seltsam disparat wirkende
„Ave Maria“ gehört trotz raumfüllender Präsenz nur zu dieser Installatio…
Aber manchen wird die ganze Ausstellungsinszenierung zu wenig Erklärung
bieten. Für die ist ein anderer Raum des Hauses zu empfehlen: In der Schau
„Unsichtbare Dinge“ werden noch viel weniger in einem Völkerkundemuseum zu
erwartende Objekte wie Plastiktüten und Spucknapf, das
Seepferdchen-Abzeichen oder eine Sanitär-Saugglocke und andere Alltagsdinge
aus Deutschland und China auf das Genaueste in all ihren verblüffenden
Bedeutungen textlich erläutert. Ob nun mit ganz viel Erklärung oder mit
einem möglichst unverbauten Blick: Beiden Ausstellungen geht es wesentlich
um die Schärfung der Wahrnehmung gegenüber den Dingen der Welt. Wo besser
ginge dies als in einem Museum, ist es doch genau der Ort, an dem die Dinge
in hegelschem Sinne aufgehoben sind, zugleich verwahrt und ihrer früheren
Bedeutung enthoben.
## Beyond Melancholia: Hamburg, Museum für Völkerkunde, bis 28. September
27 Jun 2014
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
taz.gazete
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