| # taz.de -- Spardruck für Behinderte: Streit um den Millionentopf | |
| > Schleswig-Holstein will die Hilfen für Menschen mit Behinderung, so | |
| > genannte Eingliederungshilfen, neu regeln, weil diese kontinuierlich | |
| > steigen. Die Kommunen protestieren. | |
| Bild: Ohne Geld wird die Behinderung größer | |
| KIEL taz | Peter Sörensen* ist ein hochgewachsener Mann mit Brille und den | |
| kräftigen Händen eines Handwerkers. Doch auf dem ersten Arbeitsmarkt hat er | |
| nur wenige Jahre gearbeitet: 1982 wurde der Mittfünfziger mit einer | |
| psychischen Störung in die Psychiatrie eingewiesen, danach kehrte die | |
| Krankheit mehrmals wieder. | |
| Sörensen arbeitet heute in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, | |
| Geld zum Leben kommt aus einer Arbeitsunfähigkeitsrente und der so | |
| genannten Eingliederungshilfe, die ihm alljährlich neu bewilligt werden | |
| muss. „Eben ist der Bescheid wieder durch“, freut er sich. | |
| Doch über die Eingliederungshilfe, den größten Einzelposten im Haushalt des | |
| Landes, gibt es politischen Streit. Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) | |
| will die Verteilung der Mittel neu regeln. Die Kreise und kreisfreien | |
| Städte im Land protestieren: Sie würden dabei Geld verlieren, obwohl der | |
| Bund die Kommunen eigentlich entlasten will. Einig sind sich beide Seiten | |
| nur darin, dass die Hilfen für Behinderte immer teurer werden. Land und | |
| Kommunen gehen von 2,5 Prozent aus – pro Jahr. | |
| Obwohl die Gesamtsumme steige, gebe es auch immer mehr Berechtigte, damit | |
| „entsteht bei uns Spardruck“, sagte Reinhard Sager, Landrat des Kreises | |
| Ostholstein und Sprecher der Landkreise. Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe | |
| machte für die vier kreisfreien Städte klar, wohin dieser Druck | |
| weitergegeben werde: Eine „rigide Bewilligungspraxis“ werde die Menschen | |
| mit Behinderung treffen, wenn der Gesetzentwurf nicht geändert werde. | |
| Schließlich könnten auch Rechtsansprüche „unterschiedlich gestaltet“ | |
| werden. | |
| „Das macht mir Angst “, sagt Peter Sörensen. Er selbst ist zurzeit | |
| psychisch stabil – viele andere Kranke würden aber durch solche | |
| Drohkulissen verunsichert: „Da sind schlechte Tage vorprogrammiert“, ahnt | |
| Sörensen, der Betroffene berät und in einer Beschwerdestelle tätig ist. | |
| Im Sozialministerium schütteln sie die Köpfe über die Kampfansage der | |
| Kommunen. Denn die vergeben seit einigen Jahren die Eingliederungshilfe in | |
| eigener Regie. Staatssekretärin Anette Langner verwahrte sich gegen die | |
| „irreführenden Aussagen“ und ging zum Gegenangriff über: Es sei ja | |
| „nachvollziehbar, dass die Kommunen eine Regelung vorziehen, bei der das | |
| Land Mehrausgaben zahlt und eingesparte Summen bei den Kommunen | |
| verbleiben“. Begründen ließe sich so ein Verfahren aber weder aus Sicht von | |
| Menschen mit Behinderungen noch aus Steuerzahler-Sicht. | |
| Hintergrund ist die bisherige Praxis, nach der das Land für stationäre | |
| Kosten wie Wohnheime zahlt und die Kommunen ambulante Dienste übernehmen. | |
| Um einen Anreiz für mehr ambulante Angebote zu schaffen, führte | |
| Sozialminister Heiner Garg (FDP) ein Budgetsystem ein. Seither beteiligt | |
| sich das Land auch an ambulanten Hilfen. Künftig sollen nun alle Kosten | |
| geteilt werden: 78 Prozent zahlt das Land, 22 Prozent die Kommunen. | |
| Zusatz-Zahlungen des Landes entfallen. | |
| „Das System ist in Ordnung, nur die Basiszahl falsch“, sagt Jan-Christian | |
| Erps vom Landkreistag. Denn das Land lege nur einen Teil der Kosten | |
| zugrunde und spare so 37 Millionen Euro pro Jahr. Angesichts dieser | |
| „Politik mit goldenem Zügel“ könne das Land die Regie über die | |
| Eingliederungshilfe wieder zurück haben: „Es ist Landessache, keine | |
| kommunale Aufgabe.“ | |
| Darauf ging das Sozialministerium am Donnerstag nicht ein. Die Kommunen | |
| hatten früher stets gefordert, ihnen den Millionentopf zu übertragen. Die | |
| Kreise haben mit der „Koordinierungsstelle für soziale Hilfen“ sogar eine | |
| eigene Behörde für Verhandlungen mit Behinderten-Einrichtungen geschaffen. | |
| Auch künftig bleibt die Finanzierungspflicht des Landes bestehen, betonte | |
| Langner. Allerdings sollten zunächst die Kreise und Städte ihre Über- und | |
| Unterschüsse aufteilen. Wider besseres Wissen werde suggeriert, dass eine | |
| Konsolidierung auf Kosten von Menschen mit Behinderungen betrieben würde. | |
| „Dafür habe ich kein Verständnis“, sagte die Staatssekretärin. | |
| Wohlfahrtsverbände kritisieren beide Seiten: Statt über Geld solle über die | |
| „fachliche und strukturelle Weiterentwicklung“ der Eingliederungshilfe | |
| gesprochen werden, sagt Jörg Adler vom Paritätischen. | |
| * Name geändert | |
| 31 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geisslinger | |
| ## TAGS | |
| Behinderte | |
| Menschen mit Behinderung | |
| Eingliederungshilfe | |
| Leben mit Behinderung | |
| Leben mit Behinderung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |