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# taz.de -- Erlebte Geschichte: „Nostalgie wäre mir sehr unlieb“
> Der Schauspieler Michael Weber zog es immer wieder nach St. Pauli. Nun
> schrieb er einen wundervollen Roman über die dortigen 1980er-Jahre.
Bild: Etwas anderes als Pinneberg: die Simon-von-Utrecht-Straße, Hamburg-St. P…
HAMBURG taz | Michael Weber geht heute Abend noch fechten. Also macht er
ein paar trippelnde Ausfallschritte, stößt mit einem imaginären Degen vor
und zurück, steckt ihn ihn wieder weg und schließt sein jahrzehntealtes
Herrenfahrrad ab. Er wird demnächst in „König Artus“ auftreten, einem
Kinderstück des Deutschen Schauspielhauses, zu dessen Ensemble er wieder
gehört.
Wieder – denn Michael Weber, Jahrgang 1958, der in Hamburg Schauspiel
studierte, ist immer wieder dorthin zurückgekehrt, sei es nach Engagements
am Wiener Burgtheater, am Bochumer Theater oder am Schauspiel Köln unter
Karin Baier. Seit dieser Spielzeit also ist er wieder am Schauspielhaus,
arbeitet aber auch weiterhin an eigenen Projekten. Zu denen zählt nun sein
erster Roman, „Martha“: ein Dokumentarroman, hier und dort durchaus
ausgesponnen, aber eben doch vor allem an Erlebtem gefestigt und gestärkt –
der Zeit, als der junge Michael Weber nach St. Pauli kam, Anfang der 80er.
Wo Martha schon viel länger wohnte.
Weber aber kommt aus Pinneberg, und wenn einer in Pinneberg aufwächst, dann
bleibt er entweder sein Leben lang dort. Oder er macht etwas ganz anderes.
Für Weber ist es bis heute das Theater, und es ist St. Pauli – und wenn
schon St. Pauli, dann muss es mittendrin sein, in der Davidstraße. Wo eben
damals auch Martha Ihde wohnte, ein paar Stockwerke über Webers
Wohngemeinschaft, mit ihrem Mann Ernst und ihrem Pudel Tarzan und einem
Affen, der wegmusste, als er Durchfall bekam – aber da sind wir jetzt schon
mitten im Stoff.
„Ich hatte nie Ambitionen zu schreiben“, erzählt Weber. Aber Theater und
Literatur, das liegt dann doch nahe beieinander. Was er spätestens merkte,
als er, als junger Schauspieler, Lesungen abhielt, mit Texten von Hubert
Fichte etwa, in der Buchhandlung „Männerschwarm“, die damals noch am
Pferdemarkt liegt, am Rand von St. Pauli. Und dann gibt es diesen Stoff,
weil es eine Heldin gibt: Martha. Nachbarin und wohl auch Freundin, so
unterschiedlich die Welten auch waren, in der beide lebten: Weber mit
wechselnden Freundinnen in einer anfangs fast leeren Wohnung, wo die
Matratzen auf dem Boden lagen. Martha in ihrer Wohnung mit Schrankwand,
groß wie ein Containerschiff, und rustikalem Ehebett und jeder Menge
bestickten Kissen (und dem Affen, der wegmusste, nicht zu vergessen).
Man kam gut miteinander aus, man feierte zusammen, so unterschiedlich auch
die Musik gewesen sein mag. Was verband: das Leben auf St. Pauli. Das
Gewerbe nebenan. Die Davidstraße, eine ganz schlechte Adresse: „Ein
Versandhandel, ich weiß nicht mehr, ob Neckermann oder Quelle, haben da
nicht ausgeliefert“, sagt Weber. „Das muss man sich mal vorstellen!“
Idealisieren will er all das weiß Gott nicht, aber man habe sich, sagt er,
eben in Ruhe gelassen, in der jeweiligen Art zu leben. „Jetzt zu sagen, St.
Pauli war dörflich, ist natürlich Quatsch. Aber man hat sich gegenseitig
geholfen und sei es, dass man sich gegenseitig bei den Kohlen ausgeholfen
hat.“ Das alles ist doch ein Stoff, aus dem man etwas machen kann!
Vielleicht sogar muss.
Und dann kam Weber in Kopenhagen ans Theater, das den Untertitel
„königliches“ trägt. „Ich habe einen Uraltfreund aus meiner Zeit des
Zivildienstes, den wir in Flensburg gemacht haben. Er ist dann weiter nach
Dänemark gegangen, hat dort Regie studiert, ist ein angesehener dänischer
Regisseur geworden, und er hat immer wieder davon gesprochen, dass ich mal
bei ihm spielen muss.“
In der Spielzeit 2006/2007 war es so weit: ein Stück, bei dem Weber auf der
Bühne Musik machen konnte und wo er textlich nur so viel gefordert war,
dass es reichte, Dänisch rein phonetisch zu sprechen. „Ich war dann ein
paar Monate in Kopenhagen“, erzählt Weber, „am Wochenende bin ich nach
Hamburg zu meiner Familie gefahren, aber ich hatte zwischendurch relativ
viel Zeit und ich wollte diese Zeit nutzen.“
Und zum anderen eben seine Erlebnisse auf St. Pauli, in den 80ern, mit
Martha: „Ich habe mich immer wieder gefragt: Warum machst du nichts draus?“
Ein Freund schließlich „hat gesagt: ’Mach’ es. Fang einfach an – wenn …
nichts taugt, wirst du das schon merken.‘“
In Kopenhagen entstand so etwas wie der Grundstock zum Roman: „Ich hatte
eine Art Recherche gemacht, eher eine Sammlung von Erinnerungen; dann habe
ich angefangen zu schreiben und es kam immer mehr dazu“, erzählt Weber.
„Ich habe mich gefragt, ob das genug Material ist … oder sind das nur
Anekdoten?“ Ist es am Ende vielleicht nur ein nostalgischer Blick zurück?
„Nostalgie“, sagt Weber und klingt sehr bestimmt dabei, „wäre mir sehr
unlieb.“
Doch was er geschrieben, überarbeitet und gestrafft hat, überzeugt ihn
immer noch, als er gut ein Jahr später wieder drauf schaute: „Man kennt das
ja, man schreibt etwas, findet das ganz toll und dann nach einer Zeit, wenn
der Text ein wenig lag und Abstand ist, denkt man: ’O Gott!‘. Hier aber
dachte ich: Ich würde das auch ganz gerne lesen.“
„Martha“erzählt nicht nur von Martha Ihden, ihrem Mann, Hund (und Affen).
Es erzählt, so nebenbei wie galant, auch von einem jungen Mann namens
Michael Weber, der als werdender Schauspieler seinen Weg finden muss,
während Martha sich die Treppen hochquält, am Ende doch arg vom
Raucherhusten geschüttelt und immer wieder mal leicht, mal auch schwerer
angetüdelt. Auch von Ernsts Tod, seiner bewegend-tristen Beerdigung erzählt
dieser Roman – und am Ende von Marthas eigenem Sterben, drüben auf der
anderen Elbseite, im Krankenhaus Harburg, ausgerechnet.
Wird auf „Martha“ mehr in Buchform folgen? Michael Weber ist da ganz
entspannt. Eine nächste Idee aber gibt es schon, die nebenher noch einmal
von seiner Leidenschaft für das Dokumentarische erzählt, so wie er auch
Jahre lang Mitglied der Geschichtswerkstatt St. Pauli geblieben ist, auch
wenn es ihn beruflich weit weg zog: „Ich habe einen Bruder“, sagt er, „der
hat 1977 eine Weltumsegelung gemacht und das damals gefilmt – mit Super-8,
also stumm und alles geht ganz langsam. Die Bilder sind heute verblasst,
aber wenn man da eine Tonspur drüberlegt …“
Das könnte was werden, wenn er mal wieder Zeit findet. Und wenn er jetzt
einen Rat geben soll, dann diesen: Leute, wenn euch etwas beschäftigt, wenn
etwas, das ihr erlebt habt, herausdrängt – dann macht! „Man braucht ja nur
einen Stift und ein wenig Zeit“, sagt Michael Weber, „und dann sieht man
schon ...“
## Michael Weber: „Martha“, Laika Verlag, 222 S., 18 Euro
7 Nov 2014
## AUTOREN
Frank Keil
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