| # taz.de -- Film „Die Wolken von Sils Maria“: Sie spielen, dass sie spielen | |
| > In seinem Film über eine Schauspielerin und ihre Assistentin mischt | |
| > Olivier Assayas Stummfilmelemente mit Superheldenspektakel. | |
| Bild: Juliette Binoche als alternde Schauspielerin und Kristen Stewart als ihre… | |
| Die Malojaschlange ist ein Wetterphänomen, das im Engadin bei Sils-Maria | |
| auftreten kann. Majestätisch und ganz ohne Eile ziehen dann die Wolkenbänke | |
| in Gestalt einer langgezogenen Boa constrictor talauswärts dahin. Was die | |
| Engadiner sagen, „La serp de Malögia porta plövgia“ („Die Malojaschlange | |
| bringt Regen“), reimt sich zwar, stimmt aber nicht. | |
| Die Malojaschlange ist atemberaubend anzusehen, kümmert sich nicht um | |
| Schlecht- oder Schönwetterlagen und auch um alles Menschliche wenig. Zu | |
| Zank, Streit, Ambition, Eifersucht, Zickenkrieg, Hass bildet sie wie das in | |
| erhabeneren Dimensionen denkende Engadin selbst einen großen Kontrast. | |
| Maria Enders ist eine erfolgreiche Schauspielerin, ihre Assistentin | |
| Valentine sortiert ihr das Leben. Maria ist 50, Valentine Mitte 20, am | |
| Alter hängt viel in Olivier Assayas’ „Die Wolken von Sils Maria“, wenn | |
| nicht alles. | |
| Es beginnt damit, dass ein alter Mann stirbt, in den Bergen, aus eigenem | |
| Willen, er hatte genug. Maria telefoniert im Zug, Valentine schreibt auf | |
| einen Zettel: „Wilhelm ist tot.“ Wilhelm Melchior, der ein großer | |
| Dramatiker war, schrieb jenes Stück, „Die Malojaschlange“, das Maria als | |
| junge Frau berühmt gemacht hat. Sie ist mit Valentine auf dem Weg zu einer | |
| Ehrung für ihn. Er wäre ohnehin nicht gekommen, nun ist er tot, sie fährt | |
| trotzdem hin. | |
| Sie trifft auf alte Weggefährten, darunter der Schauspieler Henryk Wald | |
| (Hanns Zischler), den sie hasst. Ein junger deutscher Starregisseur namens | |
| Klaus Diesterweg (Lars Eidinger) will sie unbedingt haben für eine Londoner | |
| Neuinszenierung von Melchiors Stück. Der Clou dabei ist, dass sie die Rolle | |
| der älteren Frau spielen soll, die jener halb so alten Assistentin tödlich | |
| verfällt, als deren Darstellerin Maria Enders einst der Durchbruch gelang. | |
| Sie überlegt hin, sie überlegt her – und sagt zu. Die Rolle der | |
| Assistentin, die sie einst spielte, übernimmt ein skandalumwitterter junger | |
| Hollywoodstar mit Superheldenerfahrung namens Jo-Ann Ellis. Das ist der | |
| Plot, den Assayas schürzt. Jedoch wirkt er in ihn weitere Ebenen so | |
| zwanglos hinein, dass einem mit der Zeit aufs Angenehmste schwindlig wird. | |
| ## Die Besetzung ist die wahre Pointe | |
| Zum Beispiel mit der Besetzung. Dies ist ein Film, bei dem man davon nicht | |
| absehen kann, und nicht soll. Fast ist sie die wahre Pointe. Juliette | |
| Binoche spielt als Maria Enders nicht zuletzt auch sich selbst, eine | |
| erfolgreiche Schauspielerin in den mittleren Jahren. Ähnliches gilt für | |
| Hollywoodstar Kristen Stewart als Valentine, die zwar keine Schauspielerin | |
| spielt, aber als Probenpartnerin für Enders/Binoche halb dann doch an die | |
| Stelle der Assistentin im Melchior-Stück rückt. | |
| Den Text in der Hand spielen Maria und sie im Haus in den Bergen, auf | |
| Pfaden in schwindelnder Höhe, im Gras, auf der Couch, am Küchentisch und im | |
| Garten. Sie fallen aus der Rolle in den Text des eigenen Lebens und dann | |
| zurück ins Stück, bis man als Zuschauer kaum mehr weiß, wo das Stück endet, | |
| das Leben beginnt, zumal die Konstellation von Stück und Film sich immer | |
| ähnlicher werden, ohne sich je ganz zu gleichen. Spielen sie, oder spielen | |
| sie, dass sie spielen? Wissen sie in jedem Moment selbst, wer sie sind, was | |
| sie tun? Oder ist gerade das Verwischen des Unterschieds der entscheidende | |
| Punkt? | |
| Klingt kompliziert, ist aber noch komplizierter. Denn in den amourösen | |
| Konflikt im Stück weben sich die Konflikte zwischen Valentine und Maria – | |
| die persönliche, aber auch ästhetische sind. Valentine ist im Internet | |
| unterwegs, stets auf dem Laufenden über den neuesten Tratsch, ist ein Fan | |
| von Superhelden und Blockbustern und bietet Maria, der französischen | |
| Kunstliebhaberin und Internetskeptikerin (ein iPad hat sie aber sehr wohl), | |
| immer wieder Paroli. | |
| ## Arthouse und Actionformate | |
| Das ist der Riss, der auch durch Assayas’ eigene ästhetische Biografie | |
| geht, die Liebe einerseits zu literarischen Formen, zu Arthouse und Kunst; | |
| andererseits die große Lust an der Aneignung von Genre-, Action- und | |
| Thrillerformaten. „Die Wolken von Sils Maria“ ist nun selbst in seinem | |
| filmischen Anspielungsreichtum und seiner literarischen Metaebenenlust ganz | |
| klar ein Werk aus der Abteilung Kino als Kunst. Nur hier aber, das ist die | |
| These, lässt sich der ewige Doppelcharakter des Kinos zwischen Anspruch und | |
| Kommerz verhandeln, wenngleich ganz gewiss nicht versöhnen. | |
| Die andere Seite kommt allerdings ebenfalls vor: als | |
| Sci-Fi-Superhelden-Spektakel-Zitat, das Assayas höchstpersönlich gedreht | |
| hat. Sein Kino, so womöglich die Behauptung, kann alles, sich selbst, aber | |
| auch das andere seiner selbst, inkorporieren. | |
| Und auch das Theater. Auf der Bühne endet der Film. Über den Epilog, der | |
| mit einem harten Schnitt alles noch einmal in ein anderes Licht setzt, wäre | |
| viel zu sagen, aber man müsste dafür zu viel verraten. Und natürlich hat | |
| Assayas auch die Rolle der Jo-Ann Ellis, die dann im Theater ihr wahres | |
| Gesicht zeigt, mit dem Hollywood-Nachwuchsstar Chloë Grace Moretz | |
| superclever besetzt. Es sind darüber hinaus an vielen Stellen weitere | |
| Spiegelverhältnisse in den Film eingezogen. Hier aber genug mit den | |
| Komplikationen. | |
| Stattdessen ist etwas sehr Erstaunliches zu berichten: Alles, was ich | |
| bisher über den Film schrieb, klingt eigentlich so, als wäre er sagenhaft | |
| smart und außerordentlich meta, aber doch auch schrecklich angestrengt und | |
| nur für Insider zu genießen. | |
| ## Fast ein klassisches Werk | |
| Das aber ist gar nicht der Fall. Assayas versteckt seine Kunst nicht, aber | |
| er stellt sie auch keineswegs aus. Die Zutaten sind allesamt hohe | |
| (Post-)Moderne, aber im Ergebnis ist „Die Wolken von Sils Maria“ fast ein | |
| klassisches Werk. Dabei bindet Assayas die sich gegenseitig reflektierenden | |
| Elemente nicht mühsam zusammen, sondern bringt sie mit Witz, Geduld, Sinn | |
| für Intensitätsaufbau und Ellipsen zum Schweben. | |
| Ein sehr erwachsenes Kino von enormer Großzügigkeit: Es bereitet den | |
| hinreißenden Darstellerinnen die Bühne und nimmt zugleich Material | |
| unterschiedlichster Art in sich auf; einen Stummfilm mit Aufnahmen der | |
| Malojaschlange, von Arnold Fanck von 1924 ebenso wie haarsträubend | |
| authentisch aussehende Online-Clips von Jo-Ann Ellis, aber dann eben auch | |
| das selbstgedrehte Superheldenspektakel, in dem Nora von Waldstätten im | |
| Duell mit Chloë Grace Moretz in tausend Teile zerstäubt. | |
| Nostalgie und Neugier auf Gegenwart sind in Dialog und Bild ausbalanciert; | |
| die Ästhetikdiskurse werden mit den Proben und der immer tiefer | |
| ambivalenten Beziehung von Valentine und Maria auf so ingeniöse wie | |
| unaufdringliche Weise verschränkt. Das Stückmaterial wird zur Waffe, der | |
| Text ist mal Zitat, mal anverwandelt, und manchmal ist vollkommen unklar, | |
| wie gemeint ist, was eine der beiden mit Melchiors Worten sagt. Man kann | |
| nur staunen, wie das ein organisches Ganzes ergibt, das sich manchmal | |
| geradezu freihändig hingetuscht anfühlt. | |
| Es hat auch mit der schieren Schönheit zu tun, der Schönheit des Engadin, | |
| seiner Berge und natürlich der Boa constrictor aus Wolken. Darunter und | |
| dahinter legt Assayas herrliche Musik vor allem von Pachelbel und Händel, | |
| die mit der Natur und nicht mit dem so aufreibenden wie aufregenden Streit | |
| der Schauspielerinnen im Bund zu sein scheint. Diese Musik ist nicht als | |
| emotionale Untermalung gemeint; eher ist sie Olivier Assayas’ gelassener | |
| Hinweis darauf, dass auch in einem so dialogreichen Film nicht die Sprache | |
| das letzte Wort haben muss. | |
| 18 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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