# taz.de -- Kreuzfahrt mit dem Frachtschiff: Frachtschiff auf Abwegen | |
> Unterwegs in Französisch-Polynesien mit der „Aranui 3“ zu den | |
> Marquesas-Inseln. Eine Reise fast ganz ohne Südseekitsch, aber mit | |
> Fritten. | |
Bild: Vor den Marquesa-Inseln: Land in Sicht! | |
Es ist dunkel geworden, und ein Arbeitstag geht zu Ende. Da kann man schon | |
mal ein Bier aufmachen. Das denken sich auch Mahelo Pahuatini, Tino Tsien | |
Youn und ein halbes Dutzend ihrer Kollegen. Die knackbraunen und mit | |
Tattoos übersäten Seebären haben es sich zwischen Reling und | |
Neonbeleuchtung bequem gemacht und lassen es zischen. | |
„Willst du auch eins?“, fragt Tino, verantwortlich für die Fracht an Bord, | |
und reicht eine Dose Hinano-Bier rüber. Tino ist einer der Matrosen der | |
„Aranui 3“, eines Frachtschiffs, das zur Hälfte Gästeschiff ist, was für | |
sich gesehen in der Kreuzfahrtbranche schon exotisch ist. Noch exotischer | |
ist das Fahrgebiet des 117-Meter-Kahns mit den zwei gelben Liebherr-Kränen | |
an Deck. 6.000 Kilometer sind es bis Australien, 4.000 bis nach Hawaii. | |
Wir sind unterwegs in der Inselwelt der Marquesas, eines zu | |
Französisch-Polynesien gehörenden Archipels – selbst von Tahiti aus also | |
noch über zwei Flugstunden über das blaue Nichts des Pazifiks. Es ist die | |
am weitesten vom Festland liegende Inselgruppe der Welt, bewohnt von knapp | |
10.000 Menschen. Alle drei Wochen sticht die „Aranui 3“ für 14-tägige | |
Kreuzfahrten in Papeete, Tahitis Hauptstadt, in See – mit bis zu 180 | |
erlebnishungrigen Passagieren. | |
Sie können beobachten, wie an Bord des Frachters gearbeitet wird. Mancher | |
lugt durch das Bullauge seiner schlichten Kabine; andere stehen an der | |
Reling. Wenn das Schiff Häfen anläuft mit Namen wie Hakahau, Vaipaee oder | |
Taiohae und seinen Bauch öffnet, kraxelt Kranführer Mahelo in sein | |
Führerhaus in luftiger Höhe und hievt Gitterkästen, Container und Fässer an | |
Land. „Auch gebrauchte Autos nehmen wir mit“, sagt Cruise Director Vaihere | |
Vivish. Die „Aranui“ versorgt die Menschen auf den Inseln mit Waren, aber | |
auch mit Touristen, die aus einer ganz anderen Welt kommen. | |
## Die Fracht: Kartoffeln, Benzin, Zement | |
Während der Großteil der Crew von den Marquesas stammt, sind die meisten | |
Passagiere aus Europa, Nordamerika und Australien. Irgendwann nach dem | |
Frühstück im Bordrestaurant, was mit Bacon, Ei oder Würstchen eher als | |
global eingestuft werden muss – wenn nicht die zuckersüßen lokalen Melonen, | |
Bananen, Guaven oder Papaya wären –, gehen die meist betagten Gäste die | |
klapprige Gangway hinunter und nehmen die Ladung unter die Lupe. | |
Eine Frau mit Sonnenhut hat sich über einen der Gitterkästen gebeugt und | |
kann es nicht fassen: Dort liegen tiefgekühlte belgische Fritten, verpackt | |
in Kartons, die in der Hitze dampfen. Erst gestern habe sie frittierte | |
Brotfrucht gegessen. „Schmeckt fantastisch.“ Die Frau wundert sich über die | |
Lieferung aus der Alten Welt, zu der heute Chicken Wings, Hühnerbouillon, | |
Fertigkaffee, aber auch Kartoffeln, Benzin und Zement gehören. | |
Wenn die „Aranui“ am Horizont auftaucht, versetzt sie die Hafendörfer in | |
Aufruhr. Einheimische fahren mit ihren von Frankreich aus subventionierten | |
Pick-ups vor, Gabelstapler cruisen im Zickzack. Menschen hantieren mit | |
Zetteln und schwärmen mit voll beladenen Pritschen wieder auf die Inseln | |
aus. „Das Be- und Entladen stört nicht im Geringsten“, sagt Christa | |
Stelling aus Düsseldorf, die mit ihrem Lebenspartner reist. „Ganz im | |
Gegenteil.“ | |
Nach dem Logistikschauspiel à la Südseehafen erkunden die | |
„Aranui“-Passagiere die Inseln. Wie die Fracht landen sie im | |
Dreiwochenrhythmus auf jeder der sechs angesteuerten Eilande. Dabei hat das | |
7.300-Tonnen-Schiff eine Art touristisches Monopol: „2.000 der jährlich | |
rund 2.500 Besucher, die die Marquesas besuchen, erreichen sie mit uns“, | |
sagt Jörg Nitzsche aus Erfurt, der als Guide auf der „Aranui“ anheuerte. | |
## Auch eine Bildungsreise | |
Wenn das Schiff nicht an der Kaimauer anlegen kann, hebt Mahelo mit seinem | |
verlängerten Kranarm Beiboote ins Wasser, die die mit Sonnenschutz bleich | |
gecremten Besucher an Land bringen. Dort wartet dann ein Kulturprogramm, | |
denn eine Reise mit der „Aranui“ versteht sich als Bildungsreise. | |
Besucht werden alte Zeremonienplätze, die regelmäßig mit der Machete vom | |
Grün befreit werden, weil sonst der Dschungel sie einverleiben würde. Zum | |
Beispiel Paeke auf Nuku Hiva, dort, wo einst der mächtige Taipi-Stamm | |
herrschte und später um die Wende zum 20. Jahrhundert der deutsche | |
Ethnologe Karl von den Steinen forschte. Heute steht dort der „Gott des | |
Schattenvolkes“, eine dieser Steinfiguren, die den Ureinwohnern als | |
Repräsentanten der Ahnen dienten und die sie Tikis nannten. | |
Die Marquesas sind die Gipfel eines versunkenen Gebirges vulkanischen | |
Ursprungs. Ihre schroffen Klippen und felsigen Monolithen erheben sich | |
steil teils bis in Höhen von über 1.000 Metern, und meist nur dort tritt | |
der nackte Stein hervor. Ansonsten herrscht tropischer Bewuchs: Banyanbäume | |
mit ihrem Gestrüpp aus ellenlangen Luftwurzeln, in dem Ureinwohner einst | |
die Toten bestatteten, prächtig blühende Bougainvillea- und | |
Hibiskussträucher, luftige Palmenwälder. Mit dem Südseeklischee haben die | |
Inseln nichts zu tun: Strände und weißer Sand sind Mangelware, kein | |
Korallenriff schützt sie vor dem anbrandenden Ozean. | |
## Tanz das Schwein | |
Die „Aranui 3“ hat an der Pier von Hakahau auf Uo Pou angelegt. Im Dorf | |
findet gerade ein Schulfest statt, eine Art Tanzfestival, getrennt nach | |
Geschlechtern. Eine Jungengruppe, alle spärlich bekleidet, mit Palmblättern | |
dekoriert und folkloristisch bemalt, führt den Schweinetanz auf, der die | |
tägliche Arbeit wie das Öffnen von Kokosnüssen aufgreift. Laut brüllende | |
Heranwachsende mit Schweiß auf der Stirn, umringt von Zuschauern aus | |
anderen Erdteilen im besten Alter mit Fotoapparaten vor dem Bauch – größer | |
könnte der Kontrast nicht sein. | |
Vor Ort aber genügt sich die Inselwelt. Vom Dorf aus führt ein 16 Kilometer | |
langer Weg bis in die nächste Bucht. Wer möchte, kann marschieren, während | |
der Frachter den Weg übers Wasser nimmt – die massiven Felsgiganten immer | |
im Blick. | |
Ua Pou ist neben Ua Huka, das auch per Pferd erkundet werden kann, eine der | |
kargeren Marquesas. Die Tour führt durch Geröllfelder, über Felsplatten, | |
vorbei an steilen Abhängen, unten krachen die Wellen gegen das Land. Im | |
Inselinnern liegt der Urwald unter dichten Wolken, die den Himmel | |
entlangeilen. Neben einsamen Naturerlebnissen lernen „Aranui“-Kreuzfahrer | |
auch eine nahezu isolierte Kultur kennen, die sich derzeit neu erfindet. | |
Erst seit einigen Jahren gibt es Internetanschluss auf den Inseln. Und | |
unter den katholischen Missionaren war vieles verboten: Ihre Sprache | |
durften die Einheimischen nicht mehr sprechen -Französisch war verordnet. | |
Tänze und die Kunst des Tätowierens waren untersagt. Die Körperverzierung | |
diente einst als soziales Unterscheidungsmerkmal – je dichter die | |
Zeichnungen auf der Haut, desto reicher war man. | |
## Alte Tatoos wiederbelebt | |
Heute bieten kleine Tattoo-Läden ihre Dienste für wenig Geld an, manche | |
Touristen reisen mit einem neuen Muster auf der Haut wieder ab, und | |
Menschen wie Kranführer Mahelo arbeiten mit Stolz an dem Gesamtkunstwerk | |
„eigener Körper“. | |
Dass die Fertigkeit der Körperbemalung nicht vergessen wurde, ist Karl von | |
den Steinen zu verdanken. Er dokumentierte die Muster und Zeichen in Form | |
minutiöser Zeichnungen, die heute im Museum auf Ua Huka ausgestellt sind. | |
Auch alte Handwerkskunst lebt wieder auf, mit der einheimische Frauen ein | |
Zubrot verdienen, sobald die „Aranui 3“ mit ihren Gästen aufkreuzt. Auf | |
Fatu Hiva können die Touristen zusehen, wie Tapas gefertigt werden – Tapas | |
sind bemalter Wandschmuck aus Rindenbast im Posterformat. | |
Neben dem Erbe der Missionare können Touristen auf Marquesas auch auf | |
europäischen Spuren wandeln. Auf der Insel Hiva Oa fand 1976 der | |
schwerkranke belgische Chansonnier Jacques Brel einen Rückzugsort. Er | |
genoss es, dass ihn dort niemand kannte. „Mit seinem Flugzeug 'Jojo' | |
unterstützte er die Bevölkerung, machte Krankentransporte und nahm die Post | |
mit auf andere Inseln“, sagt Guide Bernard. Heute hängt seine Maschine | |
restauriert in einem Hangar im Dorf Atuona, der als kleines Brel-Museum | |
fungiert. | |
Rund 80 Jahre früher war schon einmal ein Europäer auf der Insel | |
gestrandet: der seiner französischen Heimat entfremdete Maler Paul Gauguin. | |
In sein Haus der Wonnen (Maison de Jouir) lud er einheimische Männer zu | |
Trinkgelagen ein, der Alkoholismus kam in deren Familien nicht gut an. | |
Umstritten war auch sein Versuch, die Inselbewohner gegen die katholische | |
Kirche aufzubringen. Nach Gauguins Tod 1903 brannten Einheimische die Hütte | |
ab. Er hinterließ eine Tochter, die er mit seiner 14-jährigen Freundin | |
gezeugt hatte. Die meisten seiner Nachfahren leben heute im Nachbarort | |
Puamau. | |
## Der Chansonier Brel fand hier Zuflucht | |
Erst Jahre später, als man begann, das Erbe des Postimpressionisten zu | |
pflegen, wurde das Maison de Jouir wiedererrichtet. Auch ein kleines Museum | |
entstand, in dem allerdings keine Originale, sondern nur Nachbildungen | |
einiger Werke Gauguins ausgestellt sind. Wo sein Leichnam begraben liegt, | |
weiß heute keiner genau. Es ist nicht gesichert, dass er unter dem | |
Grabstein mit seinem Namen auf dem Calvaire-Friedhof von Atuona liegt, auf | |
dem auf eigenen Wunsch 1978 auch Jacques Brel seine letzte Ruhestätte fand. | |
Nach sieben Tagen Cruise durch die Inselwelt der Marquesas sticht der | |
Frachter wieder in See Richtung Tahiti. Auf der Überfahrt wartet dann doch | |
noch ein Südseeklischee: Rangiroa, ein Atoll mit Laguna und zahlreichen | |
Motus, also kleinen Riffinseln mit wuscheligem Palmbewuchs. | |
Tino hat es sich mit den anderen Seebären wieder zwischen Reling und | |
Neonlicht bequem gemacht. Der Herr über die Fracht will bald zur langen | |
Fahrt nach Berlin aufbrechen. Wenn er 2015 nach fast 30 Jahren als Matrose | |
in den Ruhestand geht, plant er nach Deutschland auszuwandern, wo seine | |
Freundin lebt. „Ich habe sie hier auf der 'Aranui' kennengelernt“, sagt er. | |
Mit Tino wird auch die „Aranui 3“ gehen – für 2015 planen die Eigner eine | |
neue „Aranui“. Das luxuriösere Schiff, ausgelegt für 280 Passagiere, ist | |
bereits in Bau. | |
20 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Weissenborn | |
## TAGS | |
Frachtschiff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |