| # taz.de -- Die Wahrheit: Nach Haus telefonieren | |
| > Wenn die Eltern ins digitale Kommunikationszeitalter springen wollen, ist | |
| > das für die Kinder nicht unbedingt begrüßenswert. | |
| Die vernetzte Welt führt Familien zusammen. Zumindest in der Theorie. Der | |
| Sprung meiner Familie ins digitale Kommunikationszeitalter beginnt mit dem | |
| bevorstehenden Umzug meines Bruders ins Ausland. Er installiert Skype. | |
| Erste Konversationen proben Vater und Sohn aus der sicheren Distanz | |
| zwischen Wohn- und Schlafzimmer. Mein Vater sitzt angestrengt vorm Laptop. | |
| Er schreit den Bildschirm an, als müsse er die Entfernung ins Nebenzimmer | |
| allein durch sein Stimmvolumen überwinden. Mein Bruder am anderen Ende der | |
| Wohnwelt lächelt tapfer. Wie nett. | |
| Hätte ich ahnen können, dass sich die Technik gegen mich wenden wird? Und | |
| zwar mit dem elterlichen Beschluss, die Distanz zwischen der rheinischen | |
| Heimat und meiner Wohnung in Berlin sei ebenfalls groß genug, um sie mit | |
| einer Video-Schalte überbrücken zu müssen. | |
| Ein Sonntag später. Pünktlich erklingt das akustische Signal, das den | |
| virtuellen Besuch ankündigt. Das erste, was mir bei der exzentrischen | |
| Bildkomposition ins Auge fällt: Der Kopf meines Vaters nimmt ein Drittel | |
| des unteren Bildes ein, während sich die Schlafzimmerschrankwand bedrohlich | |
| bildfüllend über ihm auftürmt. | |
| „Papa, du musst den Bildschirm etwas runterklappen!“ – „Schätzchen? | |
| Schätzchen?“, fragt es konfus aus dem Skype-Kosmos. Wie die Hand Gottes | |
| strecken sich mir seine Finger entgegen. Plötzlich schwarze Stille. Eltern | |
| weg. | |
| Skype, zweiter Versuch. Während mein Vater mit der Kameraeinstellung | |
| kämpft, huscht eine schemenhafte Gestalt durchs Bild. Meine Mutter, | |
| gekleidet in einen mintfarbenen Nicki-Hausanzug. | |
| „Hallo! Mama?“ Verschwunden. Im Hintergrund ist lautes Rascheln zu hören. | |
| Immer wieder ragt meine Mutter kurz in den Bildrand, nur um sofort wieder | |
| zu verschwinden. Ihre Stimme wirkt dumpf. | |
| „Bin gleich da.“ Vater: „Ich habe das gestern mal gegoggelt und die | |
| Einstellungen am Gerät entsprechend optimiert.“ – „Es heißt googlen.“… | |
| „Goggeln – googlen. Sag mal, was ist das eigentlich für ein Balken? Der | |
| blinkt. Ich drück mal kurz …“ Finsternis. | |
| Nächste Runde. Ich befinde mich im fünften Kreis der Hölle. Meine Mutter | |
| schwebt wieder ins Bild. Sie trägt jetzt ein makelloses Twinset in rosé und | |
| strahlt: „Liebelein, schön dich zu sehen. Warst du gestern aus?“ Kreisch! | |
| „Verdrehst du die Augen?“ Verdammte Videotelefonie. Vater: „Der Balken | |
| zittert.“ – „Lass den bitte in Ruhe.“ Während mein Vater am Laptop | |
| rumfummelt, richtet Mutter noch schnell ihre Frisur. | |
| Klick. Das Bild ist plötzlich von Palmen und Wellen umrahmt. „Papa, lass | |
| das Programm in Ruhe.“ Klick. Die Palmen verschwinden, stattdessen glotzt | |
| er mich jetzt aus verzerrten Augen an. „Die Webcam hat Fun-Einstellungen. | |
| Deine auch?“ Bevor ich in Tränen ausbreche, übernimmt meine Mutter: | |
| „Schätzchen, wir müssen Schluss machen. Essen ist fertig. Aber das sollten | |
| wir unbedingt nächste Woche wiederholen!“ Nicht, wenn ich es verhindern | |
| kann. | |
| 2 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabrina Künz | |
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