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# taz.de -- Expedition durch Norwegisch-Lappland: So weit die Skier tragen
> Eine Reise in die Eiswüste: Den Schlitten muss man selbst ziehen,
> geschlafen wird im Zelt. Und beim Warten auf das Polarlicht gibt es
> Frostbeulen.
Bild: Ein Höhepunkt jeder Nord-Expedition: Farbenprächtige Polarlichter.
Erst haben sie nur wehgetan. Jetzt können die drei Arktis-Abenteurer ihre
Finger und Zehen kaum noch spüren. Wir, die Urlauber aus Deutschland und
der Schweiz, warten auf die Polarlichter.
Der norwegische Expeditionsleiter Thomas Nielson musste bereits die erste
Frostbeule an einem Finger mit Salbe versorgen. Hat gemahnt, jeder Einzelne
müsse jetzt wirklich auf sich aufpassen. Besonders Erfrierungen an Nase,
Wangen und Ohren spüre man oft kaum. Und hat seinen Schutzbefohlenen – wie
nebenbei – sein Operationsbesteck präsentiert. Die Not-OPs müsse er an Ort
und Stelle selbst durchführen, schließlich sei die kleine Gruppe von
jeglicher Kommunikation zur Außenwelt abgeschnitten.
Der Mann meint es ernst! In Afghanistan hat er Kampfeinsätze geleitet, in
der Arktis gar die US-Navy-Seals traininiert, sich irgendwann die Sinnfrage
gestellt und seinen Job bei der Armee an den Nagel gehängt und sich
selbstständig gemacht. Dabei fing doch alles so gemütlich an?
Die beiden Guides Thomas Nielson und Freundin Liv Engholm sitzen mit den
Teilnehmern in einer behaglichen Blockhütte im Städtchen Alta im äußersten
Norden von Norwegen. Von hier sind es nur noch 1.863 Kilometer bis zum
Nordpol.
Es duftet nach Rentiergulasch. Beim gemeinsamen Schlemmen lernen sich
Profi- und Hobbyabenteurer kennen. Und nicht zu vergessen Nemi und Biigha,
die American Huskies, die kurz zur Begrüßung ins warme Haus dürfen. Eine
vertrauensbildende Maßnahme. Schließlich wollen wir zusammen die
Überquerung des menschenleeren Finnmark Plateaus in Norwegisch-Lappland auf
Skiern wagen.
## Es geht los
Tag zwei, ausgiebiges Frühstück, Lebensmittel kaufen, die fünf
Hi-Tec-Schlitten beladen, Gurtzeug anlegen, Skier anschnallen und los
geht’s. Stunde um Stunde scheint jeder der 35-Kilo-Schlitten schwerer zu
werden. Wer das Tempo der Gruppe nicht mehr halten kann, bekommt
Unterstützung von Biigha oder Nemi. Dann werden die Huskies mit
eingespannt, was ihnen größte Freude zu bereiten scheint.
Es sind wahre Arbeitstiere, sie strotzen nur so vor Energie. Mit Einbruch
der Dunkelheit erreichen wir die Jotka-Lodge. Thomas meint, nun wäre es
langsam an der Zeit, sich an die arktischen Nächte im Zelt zu gewöhnen und
reißt die Fenster sperrangelweit auf. Die Urlauber verkrümeln sich
schlagartig komplett in ihre Mumienschlafsäcke.
Tag drei, es wird ernst. Wir verlassen das letze Refugium menschlicher
Zivilisation und folgen der historischen Postroute von Alta in Richtung
Samenhochburg Karasjok. Ab jetzt gibt es nicht einmal mehr Wege und es geht
nur noch bergauf. Der Baumbestand wird spärlicher, die Bäume mickriger, die
Schlitten schwerer. Ziel ist das Finnmark Plateau, wo sich nur noch Moose
und Flechten unter meterdickem Schnee verstecken.
## Baumefällen erlaubt
Der Anstieg ist hart, ohne Nemi und Biigha wäre er eine Tortur. Kurz vor
Einbruch der Dunkelheit schlagen wir erstmals die Zelte auf. Jeder
Handgriff fällt schwer. Beim Bäumefällen wird uns langsam wieder warm. 40
bis 50 Jahre sind die mannsgroßen und armdicken Birken alt. Der gesamte
Bestand gehört dem Staat Norwegen, und das Abholzen für den Eigenbedarf ist
allen Outdoor-Aktivisten ausdrücklich gestattet.
Mit den ersten Sonnenstrahlen wird es fast kuschlig warm im Zelt am Morgen
des vierten Tages. Die Temperatur klettert von minus 23 Grad auf minus 18.
Immerhin. Liv lockt mit frisch gebrühtem Kaffee und heißem Müsli. Tut das
gut! Beides muss jetzt ganz schnell weg, ansonsten friert nach wenigen
Minuten alles ein. Dann heißt es, völlig vereiste Zelte abbrechen. Die
Atemluft kondensiert nachts innen an den Wänden.
Nach fünf Stunden sachter Steigung sind wir endlich angekommen auf dem
Finnmark-Plateau – und in der Eiswüste. Kein Baum, kein Strauch, kein Tier,
nichts. Nur noch endloses Weiß unter stahlblauem Himmel. Und Stille.
Absolute, fast beunruhigende Stille. Wir laufen und laufen, Stunde um
Stunde. Nichts verändert sich. Unten weiß, oben blau, kein Ziel in Sicht.
Nur der Kompass weist den Weg. Kälte, Müdigkeit Monotonie.
## Warten auf das Polarlicht
Nach dem Abendessen warten alle mit schussbereiten Kameras auf „ihre“
Polarlichter. Kein Vergnügen bei frostigen 27 Grad unter null. Finger und
Zehen tun schon weh, die Batterien geben nach und nach auf. Sonst werden
sie eng am Körper getragen.
Wir sollten jetzt aufpassen, mahnt Thomas. Die erste Frostbeule an einer
Fingerkuppe musste er bereits verarzten. Keine Polarlichter heute Nacht.
Aber der Mond taucht die Eiswüste in ein kaltes magisches Licht. Irgendwann
verkriechen sich alle ins Zelt. Dort ist es jedoch auch nur genau ein Grad
wärmer als draußen.
Tag fünf. Nach dem Frühstück gehen die Männer auf dem Giellanjávrrit-See
Eisangeln. Um ehrlich zu sein, die Städter hätten nicht einmal erkannt,
dass sie an einem großen See gezeltet hatten. Wie ein weißes Kleid legt
sich der Schnee über die Landschaft, überdeckt jedes Detail. Nur der Berg
Vuorji durchbricht die flache Ebene.
## Kein Fisch zum Essen
Dabei kampieren wir Nacht für Nacht an einem anderen See. Dort gibt es
Wasser zum Trinken, für Kaffee, Tee, heiße Schokolade und die
gewöhnungsbedürftigen Trockengerichte. Aus der leckeren Fischmahlzeit wird
jedoch nichts. Kein einziger Arktischer Saibling scheint sich für die
Leckerbissen zu interessieren. Dann marschiert ein jeder wieder gegen die
Monotonie der Hochebene an. Es ist ein Kampf ohne Höhepunkte, der
Gleichmut, Ausdauer und Willensstärke verlangt. Nur Biigha und Nemi
scheinen in ihrem Element zu sein.
Tag sechs. Am Nachmittag wird die Landschaft wieder abwechslungsreicher.
Ein schmales Tal zerfurcht plötzlich die Ebene. Der Poastajohka, der
Postfluss, hat sich über Jahrtausende tief in den Stein geschnitten. Der
Abstieg ist hart. Jetzt schieben die Schlitten ihre Führer mit dem ganzen
Gewicht gnadenlos abwärts. Beim steilen Aufstieg danach geraten selbst Liv
und Thomas an ihre Grenzen.
## Eine Wohltat: Es geht bergab
Am siebten Tag endlich Erleichterung. Langsam, aber sicher geht’s bergab.
Die ersten vereinzelten Bäumchen schlagen sich wacker im Schnee. Plötzlich
brechen die beiden Huskies seitlich aus und jagen ein paar schneeweiße
Vögel in die Flucht, die für ungeübte Augen unsichtbar im Schnee saßen.
Zurück im Leben!
Die ersten Wildtiere nach einer Woche. Die Gruppe stößt auf Piera Johvna
Utsi. Rauch steigt aus dem Kanonenofen seines uralten Wohnanhängers. Der
71-jährige Same ist freudig überrascht über den unerwarteten Besuch. 1.200
Rentiere nennt er sein Eigen. Irgendwo hinter den sanften Hügeln sei seine
Herde. Zufüttern müsse er im Winter und die Tiere immer wieder
zusammentreiben.
Tag acht. Es geht nur noch sanft bergab durch sattgrüne, herrlich dichte
Nadelwälder. Am Abend hat uns die Zivilisation ieder. Wie komfortabel die
beheizten Blockhütten der Husky-Lodge von Livs Eltern doch sind. Und am
offenen Kamin lässt sich das arktische Abenteuer warm Revue passieren.
8 Feb 2015
## AUTOREN
Marc Vorsatz
## TAGS
Lappland
Reiseland Norwegen
Lappland
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