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# taz.de -- Wahnsinn!: Wolles Wiederkehr
> Wolfgang Petry ist mit seinem neuen Album „Brandneu“ erfolgreich zurück
> in den Charts. Trotzdem bleibt er für die Öffentlichkeit abwesend.
Bild: Aus der kumpeligen Stimmungskanone mit Faschingskompetenz ist ein sensibl…
Wer’s genau wissen will: Wolfgang Petry „geht’s richtig gut“.
Das kann man ja auch verstehen. Schließlich ist das Comeback des
Schlagersängers ein durchschlagender Erfolg. Das neue Album „Brandneu“, das
erste mit neuen Liedern seit acht Jahren, ist aus dem Stand direkt auf den
ersten Platz der Charts geklettert und hat sich seitdem in den oberen
Regionen festgebissen. Dass es Petry gut geht, wird passgenau illustriert
durch die offiziellen Fotos, für die er sich äußerlich zwar sehr verändert,
aber dafür tiefenentspannt in Szene hat setzen lassen.
Wolfgang Petry, 63 Jahre alt, einst nicht nur die größte Nummer in der
Schlagerwelt mit mehr als 12 Millionen verkauften Platten, sondern unter
seinem Spitznamen „Wolle“ eine bundesdeutsche Marke, ist also zurück, und
es geht ihm gut. Dem Mir-geht’s-gut-Satz kann man derzeit kaum entkommen.
Denn er stammt aus einem sogenannten Generic Interview. So nennen
Werbeagenturen Gespräche, die sie mit ihren Kunden führen, um sie
anschließend ungefragt an Medien zu schicken, die damit kostengünstig
Seiten oder Sendezeit füllen können.
Das „Generic Interview“ mit Petry ist das einzige, das er im Rahmen seines
Comebacks gegeben hat. Deshalb kann man den Mir-geht’s-gut-Satz und weitere
ebenso spannende Aussagen („Das Ungewisse ist im Moment mein Ziel. Ich
lasse mich einfach treiben. Wichtig dabei ist, nie mittelmäßig zu werden.“)
nun in Illustrierten, Tageszeitungen und auf jeder Menge Websites
nachlesen. Mal als einzelnes Zitat, mal als ausführliches Interview, das
dem Leser bisweilen sogar mit dem adelnden Zusatz „exklusiv“ verkauft wird.
Auch der Versuch der taz, ein Interview mit Petry zu bekommen, wurde
beantwortet mit einem „Tut uns leid“ und der Zusendung des vorgefertigten
Zitate-Steinbruchs.
## Zurück, ohne anwesend zu sein
Andererseits: Wäre man Wolfgang Petry, kann man das gut verstehen.
Verweigert er doch nicht nur das Beantworten von Journalistenfragen,
sondern gibt sich auch sonst Mühe, nach seinem überraschenden Rückzug 2006
zwar wieder zurückzukommen, aber trotzdem nicht wirklich anwesend zu sein.
Die üblichen Mechanismen des Showgeschäfts, in dem Petry einst so
eindrucksvoll reüssierte, ignoriert er einfach. Er gibt nicht nur keine
Interviews, er gibt auch keine Konzerte, setzt sich nicht in Talkshows und
schreitet auch keine roten Teppiche ab. Wolfgang Petry, der abwesendste
Popstar der Geschichte. Ein Erfolgsrezept, das bislang nur von bereits
verstorbenen Interpreten so konsequent und trotzdem erfolgreich umgesetzt
werden konnte.
Aus seinem ersten, dem sehr viel lebendigeren Wolle-Leben, ist ein
dezidiertes Image überliefert. Auf den Alben war immer derselbe Wolle-Kopf
zu sehen, dasselbe Wolle-Lachen im Wolle-Gesicht mit dem Wolle-Bart,
umrahmt von der immer gleich langen Wolle-Lockenmähne. Das hygienisch
zweifelhafte Büschel Freundschaftsbänder, das mit den Jahren immer dicker
geworden war, war bereits 2002 zugunsten von Flutopfern versteigert worden.
## Radikale Imagekorrektur
Jetzt, auf dem neuen Album, ist der Künstler auf dem Cover nur noch von
hinten zu sehen, bewaffnet mit einer Malerrolle und gerade im Begriff, den
eigenen, abgeblätterten Namen neu zu streichen. Innen drin sind dann Fotos,
auf denen Wolfgang Petry zu sehen ist mit ergrautem Bartschatten, eine
Baseballkappe auf dem kurzgeschorenen Schädel, den Blick nachdenklich. Aus
der kumpeligen Stimmungskanone mit Faschingskompetenz ist ein sensibler
Lkw-Fahrer mit Kuschelpotenzial geworden. Man hat schon Imagekorrekturen
erlebt, die waren weniger radikal. Der Express aus Petrys Heimatstadt Köln
titelte, als er wieder die Nummer eins erobert hatte: „Mensch, Wolle!“
Nicht, dass Petry in der Zwischenzeit gar keine Musik gemacht hätte. Die
Petrys sind unterdessen zum Familienunternehmen gewachsen. Vater Wolfgang
förderte die Karriere seines Sohns Achim, schreibt zum Teil auch an dessen
Songs, singt für den Filius im Background, produziert dessen Alben, singt
mit ihm Duette. Einer von Achims größeren Hits heißt: „Deine Liebe ist der
Wahnsinn“, eine kaum verhohlene Anspielung auf „Wahnsinn“, den
erfolgreichsten Schlager des Vaters. Sohn Achim hat nun die Musiker
rekrutiert, die dem Papa einen neuen Sound verpassten. Synergieeffekte,
geschickt genutzt von einem mittelständigen Unternehmen aus der deutschen
Musikprovinz.
Vor allem aber ist er bodenständig, der deutsche Mittelstand, und weiß, was
er kann und was er nicht kann. Also konkurriert der neue Wolle musikalisch
nicht mit jenen, die mittlerweile seinen Platz eingenommen haben. „Warum
sollte ich den Fehler machen? / Immer weiter bis die Leute lachen / ich war
weg, ich war raus“, erklärt der gelernte Fernmeldemechaniker zwar nicht im
Interview, aber singt er doch wenigstens auf dem Album. Während seine
Nachfolgerinnen Andrea Berg und vor allem Helene Fischer dem Schlager mit
Zugeständnissen an moderne Clubästhetik neue, jüngere Konsumentenschichten
erschlossen haben, geht Petry den umgekehrten Weg in die Vergangenheit.
„Rock ’n’ Roll hat meine Jugend geprägt, das verliert man nicht“, erkl…
Petry im exklusiven „Generic Interview“.
## Mitklatschrock statt Mitklatschschlager
Dieser Rock ’n’ Roll kennt zwar elektrische Gitarren, aber eher die von der
gemütlichen Sorte. Auch Rhythmus und Tempo überfordern niemanden, während
man einen dieselbetriebenen Lastkraftwagen steuern muss. Für manchen
altgedienten Fan aber mag der Wandel vom Mitklatschschlagern zum
Mitklatschrock tatsächlich ein Wagnis darstellen.
Wenn die alten Fans schon eine musikalische Revolte zu verkraften haben,
sollen sie wenigstens inhaltlich nicht vor den Kopf gestoßen werden. In den
Songs werden konsequent bequeme Ressentiments bedient. Mal geht es gegen
B-Prominente, Reiche und Adelige („Spielerfrau“), mal gleich generell gegen
die modernen Zeiten („Epoche“). Petry singt ein Loblied aufs Lokale („Alt…
Eisen“) und stellt fest, dass man nicht immer so viel herumquatschen muss
(„Sich in den Arm zu nehmen“). In „Mission“ fragt Petry vollkommen
unironisch: „Gibst du für dein Land dein letztes Hemd?“ Und in „Fall mir…
den Rücken“ hält er die für sein Publikum wahrscheinlich schon feministisch
anmutende Erkenntnis bereit: „Hinter jedem gernegroßen Mann steht ’ne
wirklich große Frau.“
Wolfgang Petry ist übrigens seit mehr als 40 Jahren verheiratet. Scheint
ihm gut zu gehen.
12 Apr 2015
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Schlager
Gedöns
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