# taz.de -- "Imperium" im Thalia-Theater: Mangel unter Palmen | |
> Ein der Moderne feindlich gesinnter Vegetarier und Nudist in einem | |
> bizarren deutschen Südseeparadies: Christian Krachts „Imperium“ kommt in | |
> Hamburg auf die Bühne. | |
Bild: Kokosnüsse, nichts als Kokosnüsse braucht Krachts Protagonist, der Auss… | |
HAMBURG taz | Werden auf der Bühne Palmen stehen? Die Darsteller sich | |
räkeln in weißem, feinkörnigem Sand, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, | |
während Scheinwerfer eine unbarmherzige Sonne auf sie niederbrennen lassen? | |
Es geht schließlich in die Südsee in Christian Krachts „Imperium“ – und… | |
eine Zeit, als das Deutsche Reich dort eine Kolonie unterhielt: | |
Deutsch-Neuguinea. Sehnsuchtsort für einen historisch verbrieften | |
Aussteiger, einen Mann namens August Engelhardt, den Kracht 2012 zum Helden | |
eines bizarr-poetischen Südseeparadiesromans machte. Ein Nudist ist dieser | |
Engelhardt, rigoroser Vegetarier; einer, der mehr als froh ist, dem | |
damaligen Berliner Großstadtleben entkommen zu sein; einer, der weiß, was | |
man als Einziges zum Leben braucht: Kokosnüsse. Nichts als – Kokosnüsse. | |
Nun hat Theaterregisseur Jan Bosse aus dem vielschichtigen Roman eine gut | |
zweistündige Bühnenfassung gemacht. „Ich habe das Buch kurz nach dem | |
Erscheinen gelesen, mochte es“, sagt Bosse, „bin aber gar nicht auf die | |
Idee gekommen, daraus einen Bühnenstoff zu entwickeln – denn es ist absolut | |
untheatralisch.“ Der 1969 in Stuttgart geborene Bosse sieht sich selbst | |
eher als Regiespezialisten für moderne Fassungen klassischer Stoffe, hat | |
aber auch schon Romane wie Goethes „Werther“ oder Tolstois „Anna Karenina… | |
fürs Theater realisiert. | |
„Krachts Text ist episch, es gibt wenig Dialoge und wenn, dann werden diese | |
indirekt erzählt. Und es gibt zunächst wenige Situationen, die man | |
theatralisch umsetzen kann“, führt Bosse aus, was alles nicht direkt für | |
eine Inszenierung spricht. | |
Und doch ließ sich der Roman nicht unterkriegen: „Er tauchte bei Gesprächen | |
mit Dramaturgen und Intendanten immer wieder auf, meist als Referenz“, 2012 | |
zum Beispiel, als Bosse Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ in Wien auf die | |
Bühne brachte, auch so „eine Inselutopie, wo ein Mensch ein Reich neu | |
gründet und wo sich die Frage stellt: Wenn du die Welt noch mal neu | |
definieren kannst, was machst du dann damit?“ Als schließlich | |
Thalia-Intendant Joachim Lux die Rechte für Krachts Text erhielt, hat Bosse | |
„sofort gesagt: ’Ich mache das!‘ – noch ohne zu überprüfen, ob es geh… | |
wie es gehen könnte. Und: Es geht.“ | |
Eine bewusste Entscheidung ist dabei, „Imperium“ nicht auf der großen Büh… | |
zu präsentieren, sondern in der Gaußstraße mit ihrem Werkstattcharakter. | |
Bosse entwickelte die Stückfassung mit der Dramaturgin und den sechs | |
Darstellern: „Eine echte Ensemblearbeit.“ | |
Der Schauspieler Daniel Lommatzsch gibt unumwunden zu, den Stoff beim | |
ersten Lesen so spannend nicht gefunden zu haben. Aber die Sprache, die sei | |
„sehr virtuos. Kracht hat kraftvolle Sätze abgeliefert, die man als | |
Schauspieler gerne spricht.“ Andererseits stieß Lommatzsch auf einen | |
inneren „Widerstand, sich auf einen Text einzulassen, der sich fortlaufend | |
einer Eindeutigkeit zu entziehen sucht“. Von einer endlosen Erkundung, | |
spricht der Schauspieler und beinahe bricht es aus ihm heraus: Was etwa sei | |
„mit dieser Ironie? Ist sie zynisch, ist sie subversiv oder ist sie | |
opportunistisch?“ In Krachts Text fänden sich wohlkalkulierte | |
Skandalanteile wie das Spiel mit dem Vegetarier Engelhardt und dem | |
Vegetarier Hitler. Da müsse man sich „entscheiden, wie herum man es dreht | |
und wie man es bespielt – und das permanent und immer wieder neu.“ | |
Im Roman erreicht am Ende der in Europa ausgebrochene Erste Weltkrieg auch | |
das vermeintliche Inselparadies. Aussteiger Engelhardt, durch konsequente | |
Mangelernährung so dürr wie erschöpft wie vereinsamt, endet im Wahnsinn – | |
und verschwindet für Jahre, bis er noch ein Mal auftaucht. „Es ist von | |
Anfang an eine Krankengeschichte“, sagt Bosse, „das Projekt einer | |
Gesundung, wobei der Held immer kränker und kränker wird.“ | |
## ■ Premiere: So, 26. April, 19 Uhr, Hamburg, Thalia Gaußstraße | |
(ausverkauft). Weitere Vorstellungen: Mo, 27. April (ausverkauft); 7., 13., | |
14., 16., 21. + 22. Mai | |
25 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Schwerpunkt #metoo | |
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