# taz.de -- Ausgerechnet die ekligste Rolle | |
> DARSTELLUNG Mehr als die Arbeit mit behinderten Schauspielern verbindet | |
> „Ganesh Versus the Third Reich“ vom Back to Back Theatre mit dem Stück | |
> „Disabled Theatre“ im HAU. Sie haben den kritischen Blick auf die eigene | |
> Kunstform gemeinsam – zum Beispiel auf die Anmutung des Echten | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Wer muss denn nun den Hitler spielen? Die Entscheidung zerreißt fasst die | |
Truppe von vier behinderten Schauspielern und ihrem Regisseur, die „Ganesh | |
Versus the Third Reich“ inszenieren wollen. Der Schauspieler Simon, | |
spindeldürr und von einem Gang, als ob sich bei jedem Schritt die Knochen | |
schmerzhaft stoßen würden, hat ja nun schon die Juden allein übernommen. Er | |
ist besorgt, dass Mark, der ziemlich behäbig in seiner Körperfülle ruht, | |
auch eine Rolle übernimmt. Wenn er, Simon, schon „all that Jewish stuff“ | |
allein zu stemmen hat, macht dann Mark wenigstens den Hitler? „Ich der | |
Gute, du der Böse?“ Mark knurrt . | |
Am Ende ist es Simon selbst, der vom Regisseur David mit dem Spruch „Denk | |
an Bruno Ganz“ bei seinem Schauspielerehrgeiz gepackt und in Hitlers Rolle | |
gedrängt wird. Ausgerechnet der Fürsorglichste und am meisten auf | |
Integration Bedachte kriegt die ekligste Rolle zugeschoben. Und steht nun | |
unglücklich in seiner gestrickten Uniform Ganesh gegenüber, dem | |
elefantenköpfigen Abgesandten der indischen Götter, der gekommen ist, um | |
von Hitler die geraubte Swastika, das Hakenkreuz, zurückzuverlangen. | |
Hitler, der im Moment dieser Begegnung schon Zyankali geschluckt hat, | |
triumphiert dennoch: Das Hakenkreuz wird sein Symbol bleiben. Sehr kläglich | |
spielt Simon diesen Triumph, der Schnurrbart rutscht. | |
„Ganesh Versus the Third Reich“ ist ein Stück im Stück, das die | |
australische Gruppe „Back to Back Theatre“ im Hebbeltheater zeigt. Es ist | |
ihr zweites Gastspiel in Berlin. Seit 25 Jahren existiert das Theater, das | |
mit einer Kerntruppe von sechs geistig behinderten Schauspielern arbeitet, | |
die sich andere, nicht behinderte Künstler dazugewählt haben. Wie Bruce | |
Gladwin, den Regisseur der Kolportage um Ganeshs Reise in den finstren | |
deutschen Wald. In den letzten fünf Jahren haben sie viele internationale | |
Einladungen bekommen. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass Integration mehr | |
und mehr öffentlich diskutiert wird. Kunst mit Gehandicapten erhält da | |
leicht einen Bonus. Aber das Back to Back Theatre überzeugt dann vor allem | |
durch die Reflexivität der Stücke. Die gilt gesellschaftlichen Normen und | |
Ausschlussmechanismen genauso wie den Ästhetiken der Repräsentation. Und | |
die betreffen die Kunst ebenso wie die Gesellschaft. | |
Wer wen darstellen kann, wer die Deutungshoheit über eine Erzählung hat, | |
wer in der Historie zum Subjekt wird und wer nicht – das ist der rote Faden | |
in „Ganesh Versus the Third Reich“. Zum Aufbrechen der Klammer von den | |
Opferrollen gehören auch die gemeinen Beschimpfungen der Schauspieler | |
untereinander. Scott will Simon und Mark ausschließen, weil sie nichts von | |
den ethischen Komplikationen des Stücks verstehen. Brian macht sich über | |
Scotts mühsame Sprechweise lustig, eine Demütigung, die Scott wegsteckt wie | |
nichts. Aber er rastet fast aus, als der Regisseur David ihn wieder und | |
wieder in eine Erschießungsszene zwingt, weil Scott immer auf die falsche | |
Seite fällt. David geht zu weit in seiner Autorität als Pädagoge und | |
Künstler. Das ist der Moment, wo man auch als Zuschauer das Unbehagen nicht | |
mehr aushält; obwohl man doch weiß, dass dies alles gespielte Rollen sind. | |
Die Schauspieler behalten ihre bürgerlichen Namen auf der Bühne und spielen | |
doch jederzeit mehr als nur sich selbst. Ihr Stück, von ihnen selbst | |
entwickelt, blickt immer wieder kritisch auf den Prozess der Kunstwerdung, | |
auf die Suche nach dem berührenden Moment, auf den Hunger nach | |
Authentizität, die Anmutung des Echten. Dabei entstehen solche Augenblicke | |
ja, oft gerade dann, wenn der Regisseur auf der Bühne aufgibt. Warum | |
bewundert man einen nichtbehinderten Schauspieler dafür, die Grenzen | |
zwischen Realität und Fiktion zu überwinden, kreidet dem behinderten | |
Schauspieler dies aber als Naivität an? Warum hält man das Moment der | |
Kontrolle für so wichtig? | |
Einen großen Teil dieser Fragen teilt das Back to Back Theatre mit dem | |
Stück „Disabled Theatre“ von Je- rome Bel, mit dem die HAU-Intendantin | |
Annemie Vanackere ihre erste Spielzeit eröffnete und das im Mai | |
wiederkommt: diesmal eingeladen zum Berliner Theatertreffen. Der | |
französische Choreograf und Regisseur Jérôme Bel ist seit mehr als zehn | |
Jahren daran interessiert, die Konstruktion von Identität auf der Bühne aus | |
einer größeren Distanz zu beobachten. Für unterschiedliche Künstler hat er | |
Solos entwickelt, in denen sie über ihre Biografien, ihre Rollen und die | |
unterschiedlichen Konzepte im Verhältnis von Kunst und Realität erzählen. | |
In „Disabled Theatre“ setzt er diese Arbeit fort, nun aber das erste Mal | |
mit einem professionellen Ensemble aus behinderten Schauspielern, dem Horta | |
Theater aus Zürich. | |
Sehr einfach scheint die Konstruktion des Stücks, fast provozierend | |
unterkomplex. Ein Übersetzer aus dem Schweizerdeutschen sagt die Aufgaben | |
an, die Bel zehn Darstellern gestellt hat: stumm ins Publikum schauen, | |
Namen, Beruf und Alter nennen, die Form der Behinderung nennen, einen | |
Solotanz aufführen, das Stück kommentieren. Bel versucht also demonstrativ | |
alles wegzulassen, was nach Fiktion aussieht, und beraubt die Schauspieler | |
damit gewissermaßen des sichernden Gerüsts von Rolle und Handlung. Nur sie | |
selbst zu sein, ist eine doppelte Anstrengung. Denn so entsteht einerseits | |
etwas, was das Schamgefühl verbietet – eine Ausstellung ihrer Schwächen. | |
Auf deren Hintergrund man dann andererseits aber um so mehr von der | |
Aufführung ihrer Stärken begreift, von der Lust an den eigenen Talenten, | |
auch gerade da, wo sie Überwindung kosten, und von der Freude über die | |
Bewunderung des Publikums. | |
Beim Theater Horta und beim Back to Back Theatre spielt das Genießen der | |
Aufmerksamkeit des Publikums eine wichtige Rolle. Man sollte das als | |
Theatergänger nicht unterschätzen, diese Adelung als Zuschauer. Es ist ein | |
unverdientes Geschenk, das man unbedingt annehmen sollte. | |
20 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
BETTINA MÜLLER | |
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