# taz.de -- Zwei Politiker, ein Paar | |
> EINFLUSS Wenn Politiker Politiker lieben, trifft Gerd auf Doris, Sahra | |
> auf Oskar, und Gefühl auf Geschäft. Alle schauen hin: Klüngeln die? | |
> Protegieren die sich? Zwei Spitzengrüne erhalten ihre Beziehung mit | |
> Abkommen und Tabus | |
VON PAUL WRUSCH (TEXT) UND BERND ARNOLD (FOTOS) | |
Wenn man die Grünen in politische Lager teilt, dann ist Sven Lehmann ein | |
Fundi und Arndt Klocke ein Realo. Lehmann ist gegen schwarz-grüne | |
Gedankenspiele, Klocke ist dafür offen. Lehmann kann sich die Linkspartei | |
als Koalitionspartner vorstellen, Klocke nicht. Lehmann ist für ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen, Klocke dagegen. | |
Die beiden wären prädestiniert dafür, innerparteiliche Gegner zu sein. | |
Stattdessen sind sie seit fast zwölf Jahren ein Paar. | |
Und nicht irgendeines. Sie sind zwei zentrale politische Figuren im größten | |
Landesverband der Grünen, in Nordrhein-Westfalen. Sven Lehmann ist seit | |
2010 Parteichef, sein Partner Arndt Klocke war sein Vorgänger, dann | |
stellvertretender Fraktionsvorsitzender und ist heute ein Sprecher der | |
Fraktion. Maximale persönliche Nähe verbunden mit maximaler politischer | |
Distanz. Wie funktioniert das? | |
Die USA haben die Clintons, Argentinien hat die Kirchners. Frankreich hatte | |
Hollande und Royal. In Deutschland gibt es die Schröders, Oskar und Sahra. | |
Und eben: Sven Lehmann und Arndt Klocke. | |
Politikerpaare umgibt eine besondere Aura, dieses leicht Verruchte. | |
Gegenseitiges Protegieren, Machtkonzentration, Geklüngel. Politik am | |
Küchentisch, Abhängigkeit. | |
Dass sich Paare im Arbeitsumfeld finden, ist vielleicht nichts Besonderes. | |
Wir verbringen den Großteil unseres Tages mit Kollegen. Heiraten zwei | |
Bankangestellte, führen sie keine Bankerehe. Aus zwei Ingenieuren wird kein | |
Ingenieurspaar. Führen Politiker aber eine Beziehung, wird es interessant. | |
Dann trifft die stärkste menschliche Emotion auf das harte Geschäft der | |
Spitzenpolitik. Intrigen, Kämpfe, Strategien. Beäugt vom politischen | |
Gegner, vom innerparteilichen Feind, von den Medien. | |
Wie kann inmitten dieses manchmal skrupellosen Betriebs eine | |
Liebesbeziehung entstehen – und vor allem: Bestand haben? | |
März 2013, der Frühling tastet sich an diesem Wochenende an das Jahr heran, | |
bevor es wieder Winter wird. Sven Lehmann sitzt auf der Bühne der Mülheimer | |
Stadthalle. Im Ruhrpott, wo eine Stadt in die nächste fließt. Als | |
Parteichef gehört er aufs Podium. Arndt Klocke hat beim grünen Fußvolk im | |
Saal Platz genommen, vorne in der ersten Reihe. Fünf Meter trennen sie. | |
Aus Kreisverbänden, dem Landtag, dem Bundestag und Europaparlament sind die | |
100 Delegierten zum Grünen-Parteitag in Nordrhein-Westfalen diesen Sonntag | |
gekommen. Der Partei geht es gut. Die Umfragewerte sind stabil, die | |
Mitgliederzahlen steigen, und die Piraten liegen am Boden. Beim Parteitag | |
wird über ein neues Hochschulgesetz diskutiert, über Konsequenzen aus | |
verschiedenen Lebensmittelskandalen und eine grüne Haushalts- und | |
Finanzpolitik für das Land. | |
Alles eher unspektakulär. Man regiert seit drei Jahren mit der SPD das | |
bevölkerungsreichste Land, die Stimmung ist gelöst. Inhaltliche Konflikte | |
gibt es kaum, innerparteiliche spielen keine Rolle. Es ist einer der | |
seltenen Termine, bei denen das Paar Lehmann/Klocke gemeinsam erscheint. | |
Sonst ist ihre Arbeit in Partei und Fraktion völlig unterschiedlich. | |
Sven Lehmann redet etwas zu schnell. 33 ist er jetzt. Seine Aufgabe in | |
Mülheim: als Parteichef über das Große und Ganze sprechen. Die aktuelle | |
politische Lage analysieren, die Basis und das Spitzenpersonal begeistern. | |
In seiner Ansprache spannt er den Bogen von der Energiewende über soziale | |
Gerechtigkeit bis zur Wasserprivatisierung. Bei der Frage zur | |
Gleichstellung homosexueller Paare wird er leidenschaftlich. | |
„Der rosa Lack wird von der Union wieder abbröckeln.“ | |
„Vom Bundesverfassungsgericht fühle ich mich gut regiert.“ | |
Sätze, die sitzen. | |
Arndt Klocke ist oft der Erste, der mit dem Zwischenapplaus beginnt. | |
Sven Lehmann trägt Jeans, Turnschuhe, ein hellbraunes T-Shirt unterm | |
dunkelbraunen Jackett. Trotz seiner hohen Stirn sieht er nicht älter aus, | |
als er ist. Lehmann ist in wenigen Jahren weit gekommen, als Landeschef der | |
Grünen in NRW, dem größten und mächtigsten Verband der Partei, mischt er | |
sich auch bundespolitisch ein. Flirten die Realos mit den Schwarzen oder | |
begehren konservative Grüne gegen Parteibeschlüsse auf, ist Lehmann einer, | |
der von Journalisten gefragt wird. Und dann pointiert seine linke Meinung | |
kundtut, die Realos zurechtweist. Oft vertritt er Positionen des linken | |
Rands. Er brennt für das bedingungslose Grundeinkommen, für neue | |
Familienformen. Seine politische Zukunft liegt wohl außerhalb | |
Nordrhein-Westfalens. | |
Arndt Klocke, 42, hat dagegen eine längere Politikerkarriere hinter sich. | |
Er war vier Jahre Landeschef der Grünen in NRW, dann Fraktionsvize. Egal, | |
ob Koalitionsoptionen oder Steuerkonzepte, Krieg oder Frieden: Er ist | |
Pragmatiker. Tritt seriös auf, schwarzes Jackett, schwarze Schuhe. | |
Er brennt für den Radverkehrswegeplan, für Mobilitätskonzepte der Zukunft. | |
Für den Parteitag hat er an einem Gesetzentwurf für ein neues | |
Hochschulgesetz mitgearbeitet. Seine Aufgabe in Mülheim: Die Eckpunkte des | |
Gesetzes verständlich präsentieren, den politischen Gegner angreifen, | |
studentische Wähler fangen. Er redet engagiert, rhetorisch professionell | |
und klar. | |
Dass er und Lehmann ein Paar sind, man merkt es nicht auf dem Parteitag. | |
Während über Biobauernhöfe und Ökofonds diskutiert wird, gibt es da bloß | |
diese Blicke. Vom Podium in die erste Reihe und zurück. | |
Kurze Momente nur, ein Lächeln, wissend und vertraut. Arndt Klocke | |
echauffiert sich hinter dem Mikro über mangelnde Transparenz in den | |
Hochschulen, Sven Lehmann stützt den Kopf auf der Hand ab und blinkt nach | |
rechts, zu ihm. | |
## Schröder und Schröder-Köpf: der Promibonus | |
Jetzt steht sie im Rampenlicht, der Exkanzler ihr Wahlkampfhelfer. Gerd | |
Schröder und Doris Schröder-Köpf haben die Rollen getauscht. Er kümmert | |
sich um die Kinder, ordnet sich unter, so wirkt das wenigstens, und sie | |
macht politische Karriere. | |
Damals gab sie ihren Job als politische Journalistin auf, ihr Mann der neue | |
Kanzler. Sie galt als seine engste Vertraute, las seine Reden, entwickelte | |
Ideen mit. | |
Deshalb wird sie auch heute das Gerd-Etikett nicht los. Obwohl sie für die | |
SPD im Landtag von Niedersachsen sitzt, Integrationsbeauftragte ist: Kaum | |
ein Interview ohne die Frage nach dem Mann. Ohne den Promibonus wäre sie | |
nicht, wo sie ist. Eine Frau ohne eigene, direkte Politikerfahrung, ohne | |
Stallgeruch und Hausmacht, sie wäre nie in einem Wahlkreis aufgestellt | |
worden. Gerd ist Fluch und Segen, sie ohne ihn nicht denkbar. | |
Zwei Stunden nach dem Parteitag sitzen Lehmann und Klocke am Kölner | |
Rudolphplatz in der Brennerei Weiß, irgendetwas zwischen Brauhaus und | |
schwuler Szenekneipe. Es riecht nach getrocknetem Bier. Der hellgraue Boden | |
klebt noch, Reste des Karnevals, der hier vor vier Wochen tobte. | |
Wie sie sich kennengelernt haben? | |
„Ich war zum ersten Mal bei einem Treffen der Grünen Jugend NRW in Köln. | |
Thema Afghanistankrieg. 2001 war das. Arndt hatte man als erfahrenen Grünen | |
eingeladen, der die Sitzung leiten sollte.“ Wenn Lehmann erzählt, | |
fokussiert er sein Gegenüber. Er war 21, Arndt Klocke 30. | |
„Er ist mir aufgefallen. Er war jung, eloquent. Wir hatten schon einmal | |
Mails geschrieben vorher. Als er sich vorstellte, rutschte mir ein ,Ach, du | |
bist Sven Lehmann‘ raus.“ Wenn Klocke spricht, hält er Daumen und | |
Zeigefinger vor den Mund, als überlege er, was er als Nächstes sagt. Sein | |
Blick bleibt selten am Gesprächspartner hängen. | |
Aber sie lächeln, man meint jetzt zu merken: Die zwei da, einer links, | |
einer rechts, sind ein Paar. | |
Eine zweite Runde Kölsch. | |
Die Voraussetzungen damals sind schwierig, erzählen sie. Arndt Klocke hat | |
eine Beziehung in Münster, Sven Lehmann eine mit einer Frau. „Viele Freunde | |
dachten, wir bleiben für immer zusammen. Mit Haus auf dem Land, Kindern, | |
Garten, Auto.“ Da ist Lehmann noch nicht schwul. Bi vielleicht. | |
Theoretisch. | |
„Aus einer linken, queeren Haltung heraus habe ich solche Einordnungen | |
sowieso immer abgelehnt“. Bis Arndt Klocke plötzlich da ist. Sie schreiben | |
sich Dutzende Mails in den Wochen nach dem ersten Treffen. | |
Klocke sagt: „Er hatte Tiefgang, befasste sich mit Themen, die ungewöhnlich | |
waren für einen jungen Mann. Feminismus etwa. Wir diskutierten, ich fand | |
das spannend.“ | |
Lehmann sagt: „Ich kam aus dem Dorf, es war eng, katholisch. Er war so | |
frei, wohnte in Köln, war emanzipiert, geoutet. Ich fand ihn spannend.“ | |
Irgendwann, ein halbes Jahr, ein Jahr später, sehen sie sich in Berlin. | |
Eine Grünen-Veranstaltung. | |
Lehmann ist Sprecher der Grünen Jugend NRW, Klocke Beisitzer im | |
Landesvorstand der Altpartei. Beide sind Single. Nachts küssen sie sich. | |
Dass sie jetzt ein Paar sind, nimmt in der Partei kaum jemand wahr. Es | |
wissen nur enge Freunde davon. Nicht, weil sie aus sich ein Geheimnis | |
machen wollen. Einfach, weil es vorerst keine Rolle spielt. | |
Eine dritte Runde Kölsch. | |
Die persönliche Nähe nimmt zu, die politische Distanz auch. Lehmann ruft | |
zur Demo gegen die eingeführten Langzeitstudiengebühren auf. Er verteilt | |
Flugblätter gegen die damalige rot-grüne Landesregierung. Er rebelliert. | |
Das ist seine Aufgabe, seine Überzeugung. Nicht verbiegen lassen. Und Arndt | |
Klocke? Gehört zum grünen Establishment, gegen das es sich aufzulehnen | |
gilt. | |
„Ich fand den Protest damals falsch“, sagt Arndt Klocke heute, zehn Jahre | |
später. | |
„Es war wichtig und richtig“, sagt Sven Lehmann. | |
Daniel Wesener und Dirk Behrendt. Zwei Berliner Grüne, einer Parteichef, | |
einer Fraktionsmitglied, zusammen ein Paar. Beide im linken Flügel der | |
Partei. In der Partei wird über sie geredet, seit Jahren. 2011 will | |
Behrendt Fraktionschef Volker Ratzmann stürzen und selbst aufsteigen. Nach | |
dem enttäuschenden Wahlausgang zerstreiten sich die Berliner Grünen heftig. | |
Behrendt unterliegt Ratzmann knapp. | |
Wenig später tritt Ratzmann trotzdem zurück. Er faucht: „Wie konnte es | |
passieren, dass nicht mal problematisiert wurde, dass der Lebenspartner des | |
Landesvorsitzenden zum Fraktionsvorsitz greift, wenn die politisch | |
einflussreichsten Ämter familiär verbunden werden sollen?“ | |
Ein angegriffenes Powercouple, das den gleichen Typus Politiker verkörpert, | |
den gleichen Typus der Grünen. Links, Kreuzberg, schwul, jung. Gemeinsame | |
Themen, gemeinsames Auftreten, gemeinsame Ziele. | |
Darüber reden wollen sie nicht. Der Kampf ist entschieden, mit Wesener als | |
Landeschef und Behrendt als einfachem Fraktionsmitglied – gescheitert | |
aufgrund seines Privatlebens. | |
Klocke und Lehmann aber bleiben zusammen, sie reifen – und trennen sich. | |
Als Klocke 2006 Landeschef der Grünen wird, steigt Lehmann als Beisitzer in | |
den Landesvorstand auf. „Ich war da als Vertreter der Grünen Jugend der | |
Kandidat des Jugendverbands“, sagt er. Zum ersten Mal wird über sie | |
getuschelt, in den eigenen Reihen. „Ihr seid doch ein Paar!“ und: „Geht d… | |
denn?“ Dabei waren sie genau in diesen Monaten eine Weile getrennt. „Die | |
Skepsis gegen ein Paar im Vorstand war also unbegründet“, sagt Klocke. Sie | |
müssen nicht lügen. | |
Nicht zuletzt die gemeinsame Zeit im Landesvorstand, die montäglichen | |
Sitzungen bringen sie wieder zusammen. | |
Nie hatte es dabei so ausgesehen, als machten sie gemeinsame Sache. Im | |
Gegenteil. „Sven hat häufig Themen der Grünen Jugend eingebracht. Arndt hat | |
das wohl nicht immer gefallen“, sagt eine langjährige Weggefährtin der | |
beiden. „Aufgefallen ist mir die Beziehung lange Zeit nicht, erst durch den | |
Flurfunk habe ich das irgendwann 2008 erfahren“, sagt eine | |
Grünen-Politikerin. | |
„Wir wurden in diesen vier Jahre nie von Grünen auf unsere Beziehung | |
angesprochen“, sagt Lehmann. Gab es Gerede? „Nicht, dass wir wüssten.“ | |
## Hollande und Royal: keine Skandale. Bis 2005 | |
Egal wen man fragt, innerparteiliche Freunde oder Gegner, langjährige | |
politische oder private Weggefährten: Niemand kann auch nur eine Geschichte | |
erzählen, in der sich Lehmann und Klocke gegenseitig protegiert – oder | |
versucht haben, eine politische Agenda in der Partei durchzusetzen. | |
„Eigenständige politische Persönlichkeiten“, lautet die häufigste | |
Beschreibung. Der eine Realo, der andere Linker. | |
„Ich hatte nie das Gefühl, dass das, was ich dem einen anvertraue, | |
automatisch beim anderen ankommt“, sagt Daniela Schneckenburger. Sie war | |
vier Jahre an der Seite Arndt Klockes die Grünen-Chefin in NRW. „Es gab | |
keinen Anlass für den Vorwurf des Klüngels, der Politik am Küchentisch. | |
Durch die konkrete politische Arbeit und ihren Sachverstand in ihren | |
Politikfeldern kam erst gar kein Getuschel auf“, sagt Kai Gehring, grüner | |
Bundestagsabgeordneter aus NRW, der die beiden seit mehr als zehn Jahren | |
kennt. „Sie haben beide eine hohes Maß an Professionalität, es gab weder | |
Sippenhaft noch ein Akzeptanzproblem“, sagt Sylvia Löhrmann, lange Jahre | |
NRW-Fraktionschefin der Grünen. | |
Zum zweiten Mal wird 2010 getuschelt. Klocke kandidiert nicht mehr als | |
Landeschef, sondern tritt sein Landtagsmandat an. Und wird mit dem | |
landesweit besten Grünen-Ergebnis gewählt. Sven Lehmann wird Parteichef. | |
„Er war der natürliche Nachfolger, nach seiner Zeit im Landesvorstand. | |
Jung, links, beliebt und mit Sachverstand“, sagt Klocke. Trotzdem wird | |
geredet. Manche sagten, so erzählt er, das Amt werde in der Familie | |
vererbt. Offensiv allerdings verwendet keiner ihre private Beziehung gegen | |
sie. | |
„Wir wollten trotzdem in die Offensive gehen“, sagt Lehmann. „Wir wollten | |
verhindern, dass es zu Gerüchten und Gerede kommt. Also haben wir uns für | |
ein gemeinsames Porträt in der Rheinischen Post entschieden.“ | |
Ausgerechnet die Rheinische Post. Konservativ, schwarz. Aber Platzhirsch im | |
Land. „Homosexuelles Paar sorgt für Gesprächsstoff. Zwei Grüne, die Liebe | |
und die Politik“, heißt es im Text, der dennoch wohlwollend ist. Lehmann | |
sagt: „Wir haben damit Klarheit geschaffen, jeder wusste es jetzt. Und wir | |
haben darauf hingewiesen, dass es vor uns schon andere Paare mit Macht bei | |
den Grünen gab.“ | |
François Hollande und Ségolène Royal, das Paar der französischen | |
Sozialisten. Sie lernen sich Ende der siebziger Jahre kennen, werden ein | |
Paar, bekommen vier Kinder, heiraten nie. Bei den Sozialisten steigen sie | |
rasch auf. Royal schafft es in mehrere Regierungsämter, Hollande | |
schließlich zum Parteichef. Keine Skandale, keiner muss zurückstecken, | |
beide spielen in derselben Liga. | |
Bis er sich verliebt, 2005 etwa, in die Journalistin Valérie Trierweiler. | |
Sie verheimlichen ihre Affäre, die erst zwei Jahre später auffliegt. Zuvor | |
kommt die Frage auf, wer für die Sozialisten um die Präsidentschaft kämpfen | |
sollte. Hollande als Parteichef hätte das Zugriffsrecht. Er lässt Royale | |
den Vortritt. Ihre Beziehung ist da längst nur noch eine Farce. | |
Sie wird Frankreichs begehrteste Frau. Sie kämpft für den Sieg und verliert | |
gegen Nicolas Sarkozy. Einen Monat später, im Juni 2007, am Abend der | |
Parlamentswahlen, wirft Royal den heutigen französischen Präsidenten aus | |
dem Haus. Nach fast dreißig Jahren platzt die Beziehung. Während sich | |
Royale politisch nie wieder richtig fängt, wird er 2012 französischer | |
Präsident. | |
Sven Lehmann, Arndt Klocke, wie machen Sie das? | |
„Wir wissen, dass wir unterschiedliche Auffassungen haben, etwa beim Thema | |
Grundeinkommen. Und wir versuchen nicht, uns gegenseitig zu bekehren“, sagt | |
Lehmann. | |
Sie reden selten über Politik, sagen sie. Aber sie geben sich Tipps, vor | |
Reden, vor Interviews – und natürlich Feedback. Wie das Partner eben tun. | |
Gemeinsamkeiten fänden sie schon, neue Familienformen etwa sind für beide | |
in ihrer politischen Arbeit zentral. Der CSD, ein Pflichttermin, jedes | |
Jahr. Auch jetzt, Anfang Juli, sind sie bei der Kölner Parade der Schwule | |
und Lesben. | |
Trotzdem: Tabus müsse es auch geben. | |
Lehmann ist für Rot-Rot-Grün offen, Klocke eher für Schwarz-Grün. „Privat | |
klammern wir das aus“, sagt Klocke. | |
Flügeltreffen, Personalfragen, Strategien zwischen Fraktion und Partei. | |
„Privat klammern wir das aus“, sagt Lehmann. | |
Und sonst, wie klappt das – also jetzt mal: konkret? | |
Wahrscheinlich helfe, meinen sie, dass sie nicht zusammen wohnen. Zwei, | |
drei Treffen in der Woche. Richtige Dates seien das, geplante, private | |
Zeit. Alltagsvermeidung als Rezept für ein funktionierendes Politikerpaar. | |
„Wir sind sehr eng, sehr verbindlich, wenn wir zusammen sind. Aber | |
gleichzeitig mit vielen Freiräumen“. | |
Lehmann erzählt das in einem Berliner Café, sein Lächeln offen. Fragen Sie | |
weiter. | |
Freiräume? „Ja, Freiräume.“ Soll heißen: auch sexuelle Freiräume? | |
„Ja, auch sexuelle.“ | |
Dass sie keine monogame Beziehung führen, erzählen sie erst nach einer | |
Weile. Einiges bleibt auch dann vage. Zu intim. Es gebe aber kein „heute | |
hier, morgen dort“, sagt Lehmann. Die gemeinsame Zeit gehe immer vor. | |
Warum sprechen zwei Politiker so offen über so Persönliches? Ist das | |
vielleicht auch so eine Strategie? | |
Oder halten sie das für die Erklärung, warum ihre Beziehung sonst nicht so | |
gut funktionieren würde? Und wollen damit eine politische Botschaft | |
vermitteln: Es geht auch anders. „Es ist leichter, als Paar so zu leben, | |
wie wir es tun. Wenn wir als Paar unabhängig sind, ist es nur folgerichtig, | |
dass wir das auch in der Politik so leben“, sagt Lehmann. Ihr | |
Beziehungskonstrukt nenne sie ein „Frischhalteabkommen“. Man sollte nicht | |
„kernfusionieren“, sagt Klocke. | |
„In den meisten Beziehungen werden sich Freiheiten einfach genommen, wird | |
fremdgegangen, obwohl es verboten ist. Das ist ein einziges Lügengerüst, | |
warum tun sich das so viele Menschen an?“, fragt der eine. | |
„Wie halten sie diese Spannungen aus? Diese Enge, das Sich-Betrügen?“, | |
fragt der andere. „Dafür gibt es doch gar keine Notwendigkeit.“ | |
## Der Oskar und die Sahra: Mentor und Ziehkind | |
„Ein Partner soll heute so viel sein, so viele Anforderungen: bester | |
Freund, Urlaubsbegleitung, intellektueller Austausch, Sexualpartner, | |
Freizeitkumpel, Schulter zum Ausheulen. Über lange Zeit erfüllen das doch | |
nur fünf Prozent der Paare, die Kombination aus allem. Wenn aber mein | |
Partner einige der wichtigen Punkte erfüllt, ist das eine gute Grundlage | |
für eine Beziehung“, sagt der eine. „Beziehungen sind immer nur auf Zeit | |
angelegt, und mit ganz viel Glück auf ewig“, der andere. | |
Das Liebesbekenntnis des Oskar Lafontaine, des Übervaters der Linken im | |
Westen, war gänzlich unromantisch. „Ich lebe seit einiger Zeit getrennt und | |
bin seit einiger Zeit mit Sahra eng befreundet.“ Ende 2011 auf dem | |
Landesparteitag der Linkspartei im Saarland bringt er sie mit. Gerüchte | |
hatte es vorher gegeben, Ehepartner auch. Gewissheit erst dann. | |
Ihre Beziehung ist hochpolitisch. Lafontaine gilt lange als Mentor der | |
jungen Sahra Wagenknecht, der Linksaußen in der Linkspartei. Es heißt immer | |
wieder, er wolle einen Generationenwechsel in der Partei vorbereiten und | |
das Feld nicht den eher pragmatisch orientierten Ostlern überlassen. | |
Die oft als Betonlinke bezeichnete Wagenknecht, jung, unnahbar und hart in | |
ihren Ansichten, ist sein politisches Ziehkind. Sie steigt auf in der | |
Partei, in der Zeit, in der er sich langsam von den großen Ämtern | |
zurückzieht. Nicht zuletzt durch Wagenknecht bleibt Lafontaine immer | |
präsent und stiller Einflüsterer. | |
Berlin im Mai. Die Grünen verabschieden ihr Wahlprogramm. Tausende | |
Änderungsanträge in drei Tagen. Lehmann und Klocke sind getrennt zur | |
Veranstaltungshalle, ins Tempodrom angereist, beide mit der Bahn. Klocke | |
musste länger in der Fraktion arbeiten. Im NRW-Block sitzen sie weit | |
voneinander entfernt. | |
Eine Kernfrage des Wochenendes: Soll das Bekenntnis zum | |
SPD-Koalitionspartner in die Präambel des Wahlprogramms? Eine Frage entlang | |
der Flügel. Eine, die Lehmann und Klocke trennt. Die Linken sind dafür, die | |
Realos dagegen. Kurz vor der Abstimmung läuft Lehmann durch die Reihen und | |
versucht die Parteifreunde auf seinen linken Kurs zu bringen. Bloß dafür | |
stimmen, alles andere würde als Signal für Schwarz-Grün gedeutet. | |
Und es klappt, die NRW-Grünen stimmen mehrheitlich für die linke Linie, für | |
das SPD-Bekenntnis. Arndt Klocke sitzt da noch im Zug nach Berlin. Er hätte | |
dagegen gestimmt. | |
Die Flügel der Partei treffen sich, weit nach Mitternacht. Lehmann geht zu | |
den Linken, Klocke zu den Realos. Die Treffen dauern, aber die beiden haben | |
verabredet, früher zu gehen. Eine Nacht in der Stadt. Im Hotel. | |
Wie wird die Zukunft? | |
„Kein Reihenhaus im Grünen mit ein paar Zimmern, Küche, Bad“, sagt Klocke, | |
noch zwei Monate vor Berlin, und trinkt das vierte Bier am Kölner | |
Rudolfplatz. Er ist etwas linker geworden, Lehmann etwas pragmatischer. Und | |
die Beziehung verbindlicher. | |
Ist ihr Lebensmodell das Rezept für eine Politikerbeziehung, die läuft? | |
Gleiche Partei, aber unterschiedliche Strömungen, verschiedenen Themen, | |
aber gegensätzliche Ansichten? Eine getrennte Wohnung? Das Ausklammern des | |
Politischen? Freiräume im Sexuellen? Gemeinsame geplante Zeit? | |
„Vielleicht ist das so“, sagt Lehmann. „Wir könnten es uns anders nicht | |
vorstellen. Aber mit Politik allein hat das nichts zu tun. Hätte Arndt zum | |
Beispiel ein Kino und wäre ich etwa als Coach tätig, wir würden es genauso | |
machen.“ | |
Arndt Klocke drängelt. Er will nach Hause, „Lindenstraße“ gucken. Er stei… | |
in ein Taxi und fährt Richtung Osten. | |
Sven Lehmann verabschiedet sich. Er nimmt ein Taxi Richtung Westen. Nach | |
der „Lindenstraße“ werden sie telefonieren. | |
■ Paul Wrusch, 29, ist Chef vom Dienst für die taz und für taz.de. Sein | |
Freund macht nichts mit Medien | |
13 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
PAUL WRUSCH / BERND ARNOLD | |
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