# taz.de -- Hunger auf allen Ebenen | |
> MIMIKRY Die Performance-Künstlerin Mariola Brillowska hat ihren ersten | |
> Roman geschrieben. Er ist schonungslos, autobiografisch – und hat | |
> irgendwann gar zu viele Höhepunkte | |
VON PETRA SCHELLEN | |
Vielleicht sollte man die Sache karnevalistisch betrachten. Keine | |
Szene-Göttin aus ihr machen und theorielastig über Trash oder Nicht-Trash | |
räsonnieren, sondern einfach schauen: was die Künstlerin Mariola | |
Brillowska, die 1981, kurz vor Verhängung des Kriegszustands, aus Polen | |
nach Hamburg kam, eigentlich macht. Und was sie über sich erzählt. | |
Da wäre Lola, Brillowskas Alter Ego in ihrem Debütroman „Hausverbot“: Die | |
war schon immer anders als die anderen. Eckte ständig an, bei Vermietern, | |
Behörden, Künstlerkollegen und Lovern. Und hatte immer den Wunsch, sich | |
bedeutend anders zu kleiden als der Rest. | |
Auch Brillowska selbst verkleidet sich gern: In ihren Performances und | |
Theatershows tritt sie mal als Dornröschen auf, mal als Wunsch-Fee, mal als | |
Hexe. Sie moderiert, singt, schreit, lieber auf Deutsch als auf Polnisch. | |
Im ewigen Spiel verarbeitet sie ihren Sinn fürs Absurde und einen scharfen | |
Blick für das Unechte, sie imitiert und unterminiert damit die Mimikry der | |
Gesellschaft und all ihrer Parzellen. Dabei trennt sie ungern zwischen | |
Leben und Kunst, zwischen Kunst und Show. | |
## Unbescholtenheit und Grauen | |
Ihre Filme, für die sie 1991 bei den Oberhausener Kurzfilmtagen geehrt | |
wurde, sind ein Mix aus Grusel und Märchen. Sie vermengen gespielte | |
Naivität und Sarkasmus, Unbescholtenheit und Grauen. Da erfüllt ein | |
Türmonster Wünsche, aber es gibt auch Sex und Gewalt, Bedürfnisse, die | |
sofort erfüllt werden müssen, einen Hunger auf allen Ebenen. | |
Den faltet sie Brillowska auch in „Hausverbot“ detailliert auf. Und so | |
liest sich das autobiografisch gefärbte Buch wie das Tagebuch einer Frau, | |
die mal aufbrausend, mal burschikos kühl, mal sensibel ist. Die aber nie | |
lange verweilt – weder in Gefühlen noch an Orten. Ja, diese Lola da, die | |
sucht schon nach echter Liebe, aber bis dahin vertreibt sie sich mit | |
flüchtigen Beziehungen die Zeit. Und ja, sie will für ihr Kind da sein. | |
Aber mit dem zugehörigen Mann eng zusammenleben – lieber nicht. | |
Denn am wichtigsten ist ihr – und das passt zur Anarchie der als „Drama | |
Queen“ gleichermaßen gehypten wie verschrienen Mariola Brillowska – die | |
Suche nach Freiheit. Das war der Grund, mit 20 aus dem sozialistischen | |
Polen wegzugehen, wo die Häuser grau waren, die Waren knapp, und das Leben | |
ein schwer zu organisierendes. | |
Im Westen gab es dann Freiheit, aber Brillowska suchte mehr: die Schönheit | |
in der Kunst, ihre Unbedingtheit und Authentizität. Der Hamburger | |
Kunsthochschulbetrieb bot nichts von alldem: Lehrer wie Jörg Immendorff | |
verharrten in Populismen, fand sie, und dass die Mitstudenten sich mit | |
Mainstream-Provokation begnügten. | |
## Hinein in atemloses Immer-Mehr | |
Brillowska suchte andere Wege: Sie organisierte ein Künstlerhaus, erfand | |
durch ausgedehnte Diebestouren in Kaufhäusern nebenbei die „Criminal Art“. | |
In den 1990ern gründete sie in Berlin den „Club der Polnischen Versager“ | |
mit, der genau das war: eine öffentliche Zusammenkunft polnischer Slacker. | |
Ab 2005 war Brillowska Professorin für Zeichnen und Illustration in | |
Offenbach. Im Herbst dieses Jahres wird es in Peking eine Retrospektive | |
ihres Werks geben. | |
Vieles davon beschreibt ihr jetzt erschienener erster Roman, und das im | |
Turbo-Tempo. Das saugt einen erst mal ein, aber dann fängt man an zu | |
ertrinken in dieser Flut an Begegnungen, Dramen, Reflexionen. Man wird | |
hineingezogen in ein atemloses Immer-Mehr – bis man erschlafft. Und | |
irgendwann möchte man nicht mehr wissen, wie die Geschichte weitergeht: | |
Siebenunddreißig Höhepunkte hintereinander, das mündet definitiv in | |
Lethargie. | |
Das Buch führt fort, was die Autorin in ihren Kunstperformances tut: Es | |
entblößt alles und alle, ohne sie als Individuen hinter dem Wortvorhang | |
hervorlugen zu lassen. Es unterwandert den Betrieb, dessen Mechanismen es | |
nutzt. | |
Das ist nicht neu. Und es lindert nicht die Verzweiflung darüber, dass | |
zeitgenössische Kunst zweierlei kaum noch schafft: herauszuragen aus der | |
Masse und provokativ zu sein. Das mit der Provokation hat Brillowska sich | |
in gewisser Weise selbst verbaut, indem sie einen Roman schrieb, die | |
bürgerliche Form schlechthin. Das heißt, sich vom Betrieb vereinnahmen zu | |
lassen, mit einem Label „Schutzraum Kunst“ oben drauf. | |
■ Mariola Brillowska, „Hausverbot“, Langen Müller Verlag 2013, 320 Seite… | |
19,99 Euro. ■ Präsentation mit Musik: Do, 22. 8., 20 Uhr, Golem, Große | |
Elbstraße 14 | |
17 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
PETRA SCHELLEN | |
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