# taz.de -- Dichtersport | |
> Bertolt Brecht als Beobachter am Berliner Boxring, Pier Paolo Pasolini | |
> als Rechtsaußen in der römischen Vorstadt und Vicki Baum im Fitnessstudio | |
> der 20er Jahre: Die Ausstellung „SportsGeist – Dichter in Bewegung“ in | |
> Lübeck nimmt sich der ambivalenten Beziehung von Sport und Geist an | |
In der Diagnose schwingt ein wenig Verachtung mit. „Alle sporten sie jetzt, | |
Winters und Sommers in ihren Kostümen“, stellt Siegfried Kracauer 1927 in | |
einem Essay fest. „Sie sporten“, so heißt der Text, der den heutigen Leser | |
noch einmal darauf stößt, dass die Allgegenwart des Sports nichts | |
Gottgegebenes ist, sondern ein Phänomen unseres Jahrhunderts. Fußball, | |
Rudern, Turnen und Laufen, werden allmählich zu einem selbstverständlichen | |
Zeitvertreib und siehe da: auch die Intellektuellen, sie sporten. | |
„SportsGeist – Dichter in Bewegung“ heißt eine Ausstellung, die zeitglei… | |
in Lübeck und München dem ambivalenten Verhältnis von Dichtern und | |
Dichterinnen zum Sport nachgeht. | |
Die Kuratoren, Elisabeth Tworek und Michael Ott, sind von Fotos ausgegangen | |
und die erweisen sich, die Hörstationen und ausgestellten Sportgeräte in | |
Ehren, als das eigentlich Bemerkenswerte. Es sind Aufnahmen von nahezu | |
unschuldiger Privatheit. Natürlich lässt sich schon damals der Sport als | |
Teil der Selbstinszenierung nutzen und der Blick von Erika Mann am Steuer | |
ihres Sportwagens ist voll bewusster Genugtuung. Und Bertolt Brecht | |
verwertet die Bekanntschaft mit dem Boxer Paul Samson-Körner literarisch. | |
Doch das Foto, auf dem man den jungen Brecht mit dem Boxer sieht, wirkt wie | |
ein privates Freundesbild. Samson-Körner ballt die Rechte zur Faust, | |
während er mit der Linken Brechts geneigten Kopf umfasst, der lächelt wie | |
ein kleiner Junge, geschmeichelt von der Aufmerksamkeit eines Stärkeren. | |
Wenn die Kabarettistin Liesl Karlstadt vor ihren Ski posiert und Vicki Baum | |
im knappen Trikot vor dem Boxsack, dann wirken die Bilder wie Zeugnisse | |
privater Siege, die nicht auf ein breiteres Publikum gemünzt sind. | |
Es sind zumeist gelöste Gesichter, die man auf den Fotos sieht; viele der | |
Dichter und Dichterinnen haben in der Bewegung eine Bestätigung gefunden, | |
die sie für ihre Arbeit nutzten. Sei es Albert Camus, der, aus ärmsten | |
Verhältnissen stammend, beim Fußballspiel in Algier seiner Isolation entkam | |
und später über das Glück dieses Spiels schrieb: „wenn er mit dem Ball am | |
Fuß voranstürmte, um nacheinander einem Baum und einem Gegner auszuweichen, | |
fühlte er sich wie der König des Hofs und des Lebens“. Ähnliches bedeutete | |
für Vicki Baum das Fitnessstudio des Boxers Sabri Mahir im Berlin der 20er | |
Jahre, über den sie später schrieb: „Daß er mir eine Selbstsicherheit | |
einpflanzte, ganz, als könnte ich jeden Tag in die Lage kommen, kämpfen und | |
dann unter allen Umständen siegen zu müssen, und mich daran gewöhnte, nie | |
und nimmer aufzugeben, ist mir in jenen Jahren von großem Nutzen gewesen“. | |
In Ausnahmefällen diente der Sport auch als Brücke ins Milieu der | |
Nicht-Privilegierten, der Nicht-Schreibenden. Undenkbar bei Vladimir | |
Nabokov, dem russischen Aristokraten, den man mit Tennisschläger, neben | |
seiner Verlobten im weißen Musselinkleid, sieht. Doch Pier Paolo Pasolini | |
hat sich – lange vor der heutigen Fußballbegeisterung, die gern mal als | |
intellektuelle Pose daherkommt – leidenschaftlich mit dem Fußball der | |
Vorstädte beschäftigt: Als Thema seiner Texte und als Beschäftigung der | |
„schönsten Nachmittage“ seines Lebens. Mehrer Bilder zeigen ihn beim | |
Fußballspiel, im Anzug mit fliegendem Jackett, umgeben von Jugendlichen im | |
deutlich ärmlicheren T-Shirt auf einem Platz inmitten einer Hochhaus-Wüste. | |
Das ist die eine, die private Seite. In den Texten der Ausstellung zeigt | |
sich dann die andere, skeptische Sicht auf den Sport. Als Massenphänomen, | |
als puren Zeit-Vertreib wie ihn Kracauer mit Unverständnis betrachtet. „Was | |
haben die Menschen früher gemacht, ehe es einen Sport gab?“, fragt er. | |
„Seit sie alle sporten, möchten sie erfahren, warum“. Aber eine Antwort | |
sucht man, zumindest bei Kracauer, vergebens. Brecht beschäftigt sich – bei | |
aller Sympathie für das Sportpublikum, dem „klügsten und fairsten Publikum | |
der Welt“, das er dem „verderbten Theaterpublikum“ bei weitem vorzieht – | |
immer wieder mit der gesellschaftlichen Instrumentalisierung des Sports. Es | |
wirkt wie eine Vorwegnahme des gegenwärtigen Fitness-Imperativs, wenn | |
Brecht – der wegen chronischer Unterernährung und eines Herzfehlers selbst | |
nur Zuschauer war – mit schöner Gehässigkeit schreibt: „Ich muß zugeben, | |
daß ich die These, Körperkultur sei die Voraussetzung geistigen Schaffens, | |
nicht für sehr glücklich halte. Es gibt wirklich, allen Turnlehrern zum | |
Trotz, eine beachtliche Anzahl von Geistesprodukten, die von kränklichen | |
oder zumindest körperlich stark verwahrlosten Leuten hervorgebracht wurden, | |
von betrüblich aussehenden menschlichen Wracks, die gerade aus dem Kampf | |
mit einem widerstrebenden Körper einen ganzen Haufen Gesundheit in Form von | |
Musik, Philosophie oder Literatur gewonnen haben. Freilich wäre der größte | |
Teil der kulturellen Produktion der letzen Jahrzehnte durch einfaches | |
Turnen und zweckmäßige Bewegung im Freien mit großer Leichtigkeit zu | |
verhindern gewesen, zugegeben.“ | |
Friederike Gräff | |
Die Ausstellung „SportsGeist – Dichter in Bewegung“ ist bis zum 25. 6. im | |
Buddenbrookhaus Lübeck zu sehen. Unter gleichem Titel ist im Arche-Verlag | |
ein Buch zum Thema erschienen. | |
11 Apr 2006 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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