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# taz.de -- Würdigung des Sportlers Robert Enke: Ein Meister auf der Linie
> Am Dienstagabend setzte der Nationaltorhüter Robert Enke seinem Leben ein
> Ende. Er wurde 32 Jahre alt. Eine Würdigung.
Bild: Geschulte Reflexe: Robert Enke.
Was für ein ungewöhnlicher Fußballer Robert Enke war, das konnte man vor
sechs Jahren sehen. Enke war zu Fenerbahce Istanbul in die türkische Liga
gewechselt. Er wollte Stammtorhüter werden, sich in die Herzen der Fans
spielen.
Doch daraus wurde nichts. Der Deutsche kündigte nach dem ersten Spiel.
Anhänger hatten ihn mit Flaschen und Feuerzeugen beworfen. Enke wollte sich
vor dem Fanatismus der Fenerbahce-Fans schützen. Er wusste, dass er in so
einem Umfeld nicht seine beste Leistung bringen kann. In der Fußballszene,
in der harte und auf ihren Vorteil bedachte Typen etwas gelten, wurde der
Entschluss Enkes milde belächelt. Manche sagten offen: "Der spinnt doch."
Enke ging in die Arbeitslosigkeit.
Fünf Monate durfte er wegen seiner Kündigung nach den Statuten des
Weltverbandes Fifa nicht spielen. Im Grunde hatte er damals seine Karriere
aufs Spiel gesetzt. Er hätte auch als Nummer zwei die Saison auf der
Ersatzbank von Fenerbahce verbringen und gutes Geld verdienen können. Das
wollte er nicht.
Er wollte konsequent sein, keine faulen Kompromisse machen. Robert Enke hat
seinen Vertrag ohne Kosten für den Klub aufgelöst und der Vereinsführung
die Möglichkeit geboten, noch vor Ende der Transferperiode einen
Ersatztorhüter zu verpflichten. Es war für ihn ein sauberer, geregelter
Abgang, ein Ende, bei dem kein böses Blut floss.
Enke war natürlich zu gut, als dass diese Episode das Ende seiner Laufbahn
markiert hätte. Er galt als ein Meister auf der Linie. Auf seine geschulten
Reflexe konnte sich seine Mannschaft verlassen. Enke war ein moderner
Keeper. Er spielte mit, schlüpfte, wenn Not am Mann war, in die Rolle des
Liberos und bolzte den Ball weg, bevor ihn der heranstürmende Angreifer auf
den Fuß bekam.
Seine Arbeit zwischen den Pfosten sah nicht besonders spektakulär aus.
Nüchtern verrichtete er seinen Dienst der Ballabwehr. Enke verzichtete auf
Aufmerksamkeit heischende Paraden. Andere leisteten sich Flugeinlagen, die
das Publikum aufjohlen ließen, er schnappte sich den Ball einfach. Andere
kullerten mit dem Ball wie aufgezogen im Strafraum herum, Enke machte
vielleicht eine Umdrehung, mehr nicht.
Er war ein pragmatischer Fänger. Ein Torhüter müsse ein Rückhalt für seine
Mannschaft sein, das sei das Wichtigste, sagte er, und ein Keeper müsse in
der Lage seine, Fehler sofort abzuhaken. Denn hinge er einem Patzer nach,
könne er sich nicht auf die nächste Spielsituation einstellen. Auf dem
Spielfeld gelang ihm die gedankliche Bewegung in der Gegenwart, im
Augenblick der Ereignisse, nahezu perfekt, im Leben, das neben dem Platz
stattfand, war das wohl anders. Dort hing er Ereignissen, wie aus seinem
Umfeld berichtet wird, oft lange nach.
Auf seine mit zwei Jahren verstorbene Tochter richteten sich seine
Gedanken, er trug das Bild der Tochter eintätowiert auf der Haut, auch
seine Frau hatte sich die Erinnerung in die Epidermis einschreiben lassen.
"Wir haben viele Bilder bei uns in der Wohnung von ihr, wir reden oft über
sie", hatte Enke im Vorjahr in einem Interview offenbart.
Er sprach offen über die Bewältigung der Trauer, wie immer sehr besonnen
und klug. "Schicksal ist mir ein zu großes Wort. Ich glaube, dass alles
seinen Sinn hat." Es gebe vielleicht jemanden, der das Leben lenke,
philosophierte er. "Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. (…)
Man muss sich damit abfinden, wenn man ein Spiel verliert, und man muss
sich damit abfinden, wenn man ein Kind bekommt, das schwer krank ist und
stirbt."
In der Welt des Fußballs haben deutsche Torhüter klingende Namen. Die Fans
in Rio oder Moskau kennen einen Toni Schumacher, Sepp Maier, Uli Stein oder
Olli Kahn, sämtlich Exzentriker und Großmäuler. Sie haben das Vorurteil
befeuert, zwischen den Pfosten stünden nur verrückte Hunde herum.
Allgemein gilt, dass Keeper eine Macke haben müssen: Wer schmeißt sich
schon mit vollem Einsatz ins Getümmel und riskiert, vom Stollen eines
Gegenspielers übel zugerichtet zu werden? Wer setzt sich schon der massiven
Kritik der Medien aus, wenn er nach einem Bock als Alleinschuldiger an der
Niederlage gilt?
Enke hatte im Lauf seiner Karriere Bewältigungsmechanismen gefunden,
jedenfalls machte er das glauben. Er wusste sehr genau um die
manisch-depressive Struktur der Medien, er wusste auch um deren
Kurzsichtigkeit. Wenn er alles herausfischte, war Enke der Held, wenn er
eine Gurke hereinließ, dann war er der Depp. Dazwischen gab es nichts.
So reflektiert wie Enke war, musste ihm diese Ausschließlichkeit in der
Bewertung von Torhütern lächerlich vorkommen. In diesem Auf und Ab schien
Enke sich als Musterbeispiel eines vernunftgesteuerten Torhüters zu
behaupten. Wenn er etwas sagte, dann hatte das Hand und Fuß. Wenn er ein
Interview gab, dann klang er so verdammt vernünftig, dass es fast schon
wieder langweilig war. Heute weiß man, dass da noch mehr war als nur der
Enkesche Logos.
Dieser ruhige, offensichtlich so durchdachte Typ hatte es an die Spitze der
Nationalmannschaft geschafft. In Deutschland, wo ein Überangebot an guten
Torhütern herrscht, hatte sich dieser Typ aus Thüringen, geboren in Jena,
als Nummer eins etabliert, kurz zwar nur, aber er war ganz oben.
Eine Krankheit, die eine bakterielle Infektion gewesen sein soll, hatte ihn
in den vergangenen Wochen aber wieder zurückgeworfen in seinem Plan, der
deutsche WM-Torhüter in Südafrika zu sein. Da nur ein Platz zu vergeben
ist, sind die Torhüterduelle traditionell von großer Brisanz. Da konnte es
schon mal mit harten Bandagen zur Sache gehen. Doch von Enke sind keine
Scharmützel bekannt, wie sie etwa ein Jens Lehmann regelmäßig geführt hat.
Das entsprach nicht seiner Art. Es war auch so, dass Enke lieber das
Vertraute bei seinem letzten Verein Hannover 96 gesucht hat als das
Engagement bei einem besseren Verein. Nach einer Tour durch halb Europa,
die ihn nach Portugal zu Benfica Lissabon, nach Spanien zum FC Barcelona
und CD Teneriffa und kurz zu Fenerbahce geführt hatte, war Enke in
Deutschland wieder angekommen, in Hannover, in einem Haus auf dem Land.
Am wohlsten hat Enke sich aber in seiner Zeit in Lusitanien gefühlt. Sie
sei unbeschwert gewesen, dort habe er Kraft für die vielen Rückschläge in
seinem Leben tanken können, hat er einmal gesagt. Dort hatte er ein Haus.
Er konnte sich vorstellen, zum Ausklang seiner Karriere zurückzukehren zu
den Roten von Benfica.
Von jeher stehen Torhüter im Mittelpunkt. Auf sie richtet sich das
Schlaglicht. Enke war eigentlich gar kein Mann für die öffentliche Bühne,
trotzdem spielte er mit in der großen Fußball-Soap-Opera, die in endlosen
Folgen im Lande läuft. Die Fans nehmen teil am Leben ihrer Stars, sie
glauben sie zu kennen wie ein Familienmitglied. Das führt einerseits zu
einer unglaublichen Vereinnahmung, andererseits liefert es auch die
Erklärung dafür, warum die Fußballfans, vor allem die von Hannover 96, nun
eine so tiefe Trauer empfinden.
Der Freitod des Unternehmers Adolf Merckle, der auch auf Schienen den Tod
suchte, hat Deutschland weniger berührt, eben weil Merckle nicht Teil des
öffentlichen Diskurses war. Enke, sagen sie, war einer von uns, nicht
abgehoben und entrückt. Ein Sympathieträger. Er war einer, der manchmal mit
dem Regionalzug zum Training gefahren ist, einer zum Identifizieren für den
Fan um die Ecke.
Klickt man jetzt auf die Internetseite von Hannover 96, dann sieht man dort
kein buntes Geflirre mehr wie üblich, sondern nur eine schwarze Seite.
In weißer Schrift steht der Name des Toten geschrieben, "wir trauern um
Robert Enke", dazu die Daten: geboren am 24. August 1977, gestorben am 10.
November 2009. Die Bundesliga hat am Dienstagabend auf den Gleisen bei
Neustadt-Eilvese einen Großen aus der Zunft der Ballfänger verloren.
12 Nov 2009
## AUTOREN
Markus Völker
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