# taz.de -- Autostopp? Autopop! | |
> Den stinkenden Dino Pkw loszuwerden wird schwierig – er beherrscht die | |
> Träume von Millionen | |
Zeugen gab es keine. Und so musste die Polizei mühsam zusammenpuzzeln, was | |
sich auf der Chaussee zwischen Marwitz und Henningsdorf zugetragen hatte: | |
Der Berliner Juwelier Rudolf Plunz war mitsamt Ehefrau und halbwüchsigen | |
Kindern in seinem Automobil mit etwa 40 Stundenkilometern unterwegs. | |
Offenbar konnte er nicht oder nur zu spät erkennen, dass zwischen den | |
Bäumen ein drei Millimeter starkes Drahtseil gespannt worden war. Mit dem | |
wurden alle vorne sitzenden Fahrzeuginsassen geköpft, sodass das Automobil, | |
nunmehr kopflos, gegen einen Baum krachte. Die ältere Tochter kam schwer | |
verletzt davon, die jüngere hatte sich gerade gebückt, um etwas aufzuheben. | |
So berichtete die Presse im März 1913. | |
Hass und Unverständnis gegenüber dem Auto – fast zeitgleich mit dem Fahrrad | |
erfunden – sind keine neue Eigenart einer für Entschleunigung wetternden | |
Front, sondern es gab das schon kurz vor Beginn der großen Materialschlacht | |
1914–18. Jedoch sind im Kampf gegen den Personenkraftwagen ein paar | |
Argumente hinzugekommen: Umweltzerstörung, Ölknappheit, Platzmangel. | |
Denkt man an abgefackelte Autos, lässt sich konstatieren: Selbst in einer | |
Gegenwart, in der Mobiltelefonie und Informationssuperhighways für mehr | |
Rasanz sorgen als die Kicks auf der Route 66, macht das Auto als | |
Statussymbol noch einiges her. Laut einer Umfrage von McKinsey sind knapp | |
80 Prozent der Deutschen davon überzeugt, „dass ihnen das Auto im Vergleich | |
zu anderen Luxusgütern auch in Zukunft die größte Wertschätzung einbringt�… | |
Nebenbei: Man muss es gar nicht fahren. In Japan kommen 500 bis 600 | |
Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner, viele verlassen nur selten die Garage. So | |
gesehen steht der Wagen besser da als der Glimmstängel, der nicht mehr | |
ungefragt für cool steht. Besser auch als der Verzehr von totgequälten | |
Tieren und als andere Gewissheiten, die in den letzten Jahren ins | |
Schleudern geraten sind. | |
Wie geht das? Wie kann das sein? Opel, überhaupt das Auto und Teile seiner | |
Industrie, sind doch in der Krise! Wie also bewegen wir uns in Zukunft? | |
Vernünftig, indem nicht jeder ein – zumeist parkendes – Auto besitzt, | |
sondern rund um die Uhr mit Carsharing nur die nötigen Wege motorisiert | |
erfährt? Umweltschonend, also nicht mehr fossile Rohstoffe abfackelnd? | |
Verknappt, mit E-Mobilen, die man nur ausleiht, wenn keine Bahn mehr fährt? | |
Schwierig, nein, ja, möglicherweise und je nach dem. Vor allem nicht naiv | |
draufloswandernd. Denn die Autoindustrie ist, genauso wie der Thrill von | |
Speed und Indivudualmobilität, viel zu groß und zu mächtig, als dass man | |
schwach informiert drauflospolemisieren sollte. | |
Bevor wir einen Nachruf auf das Auto vorbereiten, sollten wir uns ein paar | |
unverrückbare Tatsachen kurz im Rückspiegel vergegenwärtigen. Oder sogar | |
rechts ranfahren und uns ganz uneilig einigen Überlegungen hingeben. Wenn | |
man da so steht, merkt man: Jedes Muttchen und jedes Kind weiß, wie ein | |
Auto aussieht, kann einen Käfer von einem Landrover unterscheiden, eine | |
Ente von einem Porsche. Tatsächlich ist unser – oberflächliches – Wissen | |
über das Auto wesentlich differenzierter als das über die meisten in der | |
Schule vermittelten Kenntnisse. | |
Es ist wie Pop: Alltag, Wegwerfprodukt, Distinktionsobjekt, ein Medium | |
irrsinnigster Projektionen. Weltweit – wie wir aus China und Indien hören – | |
assoziieren Menschen Wohlstand und Flexibilität, auch soziales Vorankommen | |
in der Gesellschaft mit dem Automobil. Ganz besonders gern made in Germany. | |
Zu Recht oder Unrecht. Falls Letzteres, dann viel Spaß beim Umerziehen von | |
mehr als einer Milliarde Autofahrern zwischen Taunus und Bel Air, der Tatra | |
und dem Golf. | |
In Deutschland ist das Auto wie der Wald und Fußball eine heilige Kuh. | |
Wirtschaftlich, politisch, mächtig – also verdächtig. Dabei gibt es eine | |
Handvoll Besonderheiten. Es geht nicht um Ölwechsel oder | |
Nockenwellenlagerungen, auch nicht um CO2-Werte oder die StVO, sondern | |
darum: Die allermeisten Autos weltweit werden von einem Dutzend Konzernen | |
hergestellt. Deren Kernkompetenz ist der mit Diesel oder Benzin betriebene | |
Motor. | |
In jedem dieser Konzerne – Mitarbeiterzahlen weit über denen der Bewohner | |
einer Großstadt – ziehen nicht immer alle an einem Strang, wiewohl alle ein | |
Ziel gemeinsam haben: Sie wollen nicht arm oder arbeitslos werden. Wie es | |
weitergeht, weiß niemand. Jedoch ist Daimler an Alternativen beteiligt (wie | |
dem von Dotcom-Milliardären angeschobenen E-Auto von Tesla), zugleich | |
besitzen Erdöl- und Erdgasmultis aus Abu Dhabi und Katar große | |
Aktienanteile an Porsche. | |
Zweiter Gang: Öl wird rarer, vermutlich schneller als mancher – Multi – | |
vorgibt, doch es ist immer noch spottbillig: Ein Liter Sprit, um die halbe | |
Welt gereist und von Rohöl raffiniert, kostet in vielen Ländern weniger als | |
ein Liter Trinkwasser. Weil die Förderung von Öl umständlicher, damit | |
teurer wird, setzen Regierungen und Energiekonzerne – oder auch das | |
Fraunhofer-Institut – auf erneuerbare Energien. Sonnenlicht und Wind gibt | |
es in Mengen, ihre Umwandlung in Energie wird Machtverhältnisse weltweit | |
grundlegend verändern. Die Energieriesen wissen das. Vielleicht werden | |
unsere Nachfahren insofern vorfahren, als dass jeder mit dem Fahrrad und | |
mit in der Kleidung integrierten Fotovoltaikzellen sein eigener | |
Energieprovider wird, der überschüssigen Strom in seinem Pkw parkt und je | |
nach Bedarf zum Fahren oder Kochen – oder Weiterverkaufen – nutzt. | |
Hochschalten: Um sich von A nach B zu bewegen, waren immer schon andere | |
Verkehrsmittel vernünftiger. Aber Vernunft ist nicht das Einzige, was | |
Menschen bewegt. Die Idee der Unabhängigkeit, auch wenn sie zwischen | |
Leitplanken gesperrt wird, ist enorm mächtig. Schrittweise scheint sich das | |
Individuum daran zu gewöhnen, die jahrzehntealte Vision des autonom | |
fahrenden Autos (wie beispielsweise nun die E-Klasse von Mercedes) | |
anzunehmen. Die Kartografierung der Welt durch Google und Navi und der mit | |
Handy gläserne Hightechnomade steigen anscheinend voll ein in das smarte | |
Auto, das vernünftiger zu bremsen und zu rasen imstande ist. | |
Vierter Gang: Will man sich mit Gepäck oder Kindern, auch in der Stadt, zu | |
allen erdenklichen Tageszeiten unabhängig bewegen, so ist das mit dem Auto | |
bequemer als mit den angebotenen Alternativen. Angebote wie Carsharing | |
lösen nicht das Problem der vollgestopften Innenstädte. Zu erwarten ist, | |
dass Autostraßen weiterhin mehr Raum einnehmen als Trottoirs oder | |
Rennspuren für Bürger, die mit dem Mountainbike Omas umnieten. | |
Das Auto also ist in unseren Breiten ein bisschen angedellt. Aber schon das | |
Gefühl von Freiheit (auch für den und die, die so Dorf und Familie hinter | |
sich lassen und auch zu jeder Zeit ein Rendezvous verlassen können) ist | |
nicht zu unterschätzen; ebenso der Appeal von entfesseltem Speed und | |
Grenzüberschreitung. Deswegen lieben wir den Mini Cooper – zusammen mit den | |
Beatles, Brigitte Bardot und der Queen. Denn das Auto transportiert mehr | |
als Menschen oder Maschinengewehre. Weil aber parallel zur Perfektionierung | |
das heutige Massenauto ein bisschen fad und langweilig geworden ist, muss | |
umgedacht werden. | |
Die Überlebenschancen konventioneller netter Hersteller wie Opel, Ford, | |
Peugeot et al. sind schlecht, denn in Postindustrienationen will keiner | |
dieselben alten zusammengemorphten Dinger. Schon heute wird jedes vierte | |
Auto in China gebaut, und wenn Statuskarossen in die Boommärkte exportiert | |
werden, sind es tatsächlich die aus Deutschland (weltweit als | |
Autohersteller an dritter Stelle, hinter Japan und vor Südkorea). | |
Das Auto wird sich in den nächsten Jahren extrem verändern. Wer zu langsam | |
und schwerfällig agiert, bleibt auf der Strecke. Das ist das Verrückte an | |
der Mobilmachung der letzten hundert Jahre: Räumlich gibt es kein Entkommen | |
mehr, nonphysisch umso mehr, wie in jedem Café zu beobachten ist. Verläuft | |
das Date ungünstig, taucht man/frau einfach ins Smartphone ab. Drahtlos. | |
2 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Penzel | |
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