| # taz.de -- Glühwein mit Schuss, damit ist Schluss! | |
| > PUNK Mabuse, das letzte Hamburger Original vom Bauwagenplatz, feiert | |
| > dieses Jahr in der Mietwohnung | |
| VON MARTIN SONNLEITNER | |
| Dieses Jahr feiert Mabuse Weihnachten am Stadtrand Hamburgs, ganz ruhig mit | |
| einem Freund in dessen Wohnung. Der ist Gladbach-Fan, weshalb grüne Kugeln | |
| der Borussia am Weihnachtsbaum hängen. Mabuse will noch welche von Altona | |
| 93 besorgen. | |
| Er mag Weihnachten eigentlich nicht. Mabuse ist Punk der ersten Stunde, das | |
| extreme Gegenmodell zum Christentum mit seinen spießbürgerlichen Festen. | |
| Doch jetzt lebt er in einem modernen Wohnkomplex am Wasser bei Plön. Ein | |
| wenig spießig, dafür mit Gesprächs- und Ergotherapie und freut sich drauf, | |
| wenn er an Heiligabend eine kleine Tour zu seinem Kumpel machen kann, weit | |
| weg von der Piste und vom illustren Treiben, denn Mabuse macht | |
| Langzeittherapie. Beinahe wäre er draufgegangen wegen des Suffs. Er hat | |
| bereits drei Entgiftungen und zwei Vorsorgetherapien hinter sich. Nach dem | |
| letzten Entzug ist er wieder rückfällig geworden. Seit Januar trinkt er | |
| nichts mehr, die Zeiten der rauschenden Feste sind vorbei. „Glühwein mit | |
| Schuss, damit ist Schluss“, schmeißt er einen kleinen Adventsreim in den | |
| Ring. | |
| Mabuse, der eigentlich Thorsten H. heißt, wuchs in einer Kleinfamilie mit | |
| zwei Geschwistern im vorstädtischen Bramfeld auf. 1977, als die Hamburger | |
| Punkband Coroners mit „Ihr Kinderlein kommet“ einen kleinen Hit landete, | |
| zog der heute 54-Jährige in die Stadt. Kiez, Hafen, Mitte der Siebziger | |
| wurde die Elbmetropole zum Mekka für Punks. Es war vor allem auch die | |
| Musik, die, maßgeblich aus London kommend, das Subversive auf den Straßen | |
| vorantrieb. Mabuse erinnert sich gerne an die Textzeile: „Herr Jesus, die | |
| Drecksau, ist heute geboren …“ In dieser Zeit ging seine bürgerliche | |
| Identität irgendwie verloren, als er in einer Band spielte, die Punkenstein | |
| hieß und sein Nom de Guerre plötzlich Mabuse war. Auch in der Stehkurve | |
| beim Fußball fand er seinen Platz als Konterpart zum Establishment und | |
| tumben Rechten. | |
| Dieses Weihnachten ist das erste Mal seit Langem, dass er nicht bei den | |
| alten Kumpels auf dem Bauwagenplatz verweilt. „Ich habe 30 Jahre gesoffen, | |
| möchte die Partys nicht missen. Bei aller Sauferei, auch zu Weihnachten, | |
| denkt dran: Die Rechnung kommt früher oder später“, sagt er. Die Folgen | |
| seines exzessiven Lebens: Organe kaputt, Wasserablagerungen. Wenn Mabuse | |
| heute seine Ruhe haben will, legt er sich hin und hört Entspannungsmusik. | |
| Sogar in die Bibel hat er dieses Jahr schon reingeschaut. „Die war hier im | |
| Schrank“, erzählt er, „da habe ich sie auch schnell wieder | |
| reingeschmissen.“ | |
| „Ich habe mich als Kind und Jugendlicher viel mit Kirche und Glaube | |
| beschäftigt“, sagt er rückblickend. Getauft sei er nicht, später in der | |
| Jugendweihe gewesen. „Das war nichts für mich“, so der alte Kämpe. Dennoch | |
| glaubt er auch heute noch, „dass es eine Macht gibt. Einen Geist, der | |
| eventuell die Erde beschützten will“. Auch Familie sei als | |
| Solidaritätsprinzip wichtig. Sein Ideal sei mittlerweile „alternatives | |
| Leben mit ein bisschen Anarchie. So ein Mischmasch“. Mabuse braucht immer | |
| ein paar Stichworte, um beim Erzählen in Fahrt zu kommen. Dann kommen die | |
| Worte nicht sprudelnd, sondern in einer gewissen Tiefe grabend. „Eigentlich | |
| ist die Besinnlichkeit scheinheilig“, brummt er mit seiner Raucherstimme. | |
| „Es ist kein Frieden in diesen Tagen auf der Welt“ und ergänzt: „Feiert | |
| ruhig Weihnachten. Vergesst aber die Leute nicht, die nichts oder wenig | |
| haben.“ Mabuse ist kein Moralapostel oder Gutmensch. Seine Ehrlichkeit und | |
| Beseeltheit sind von 1.000 Konzerten inspiriert und an Kämpfen um besetzte | |
| Häuser erprobt. | |
| Es ging hart zur Sache, er zog in die Hafenstraße, Haus 126, eines jener | |
| Häuser, um die zehn Jahre gekämpft wurde. Mabuse war dabei. Es ging darum | |
| das Gewaltmonopol des Staates zu knacken und um einen alternativen | |
| Lebensentwurf. Vor allem ging es auch um Geselligkeit. Es waren große | |
| Häuser, viele Wohnungen und Unmengen an Protagonisten und Leuten | |
| verschiedenster Couleur. „Gefeiert wurde dauernd“, sagt Mabuse, „aber nic… | |
| unbedingt nur zu Weihnachten.“ Da habe man einen besonders fetten Joint | |
| geraucht und „den lieben Gott einen schlechten Mann sein lassen“. | |
| ## Kartoffelstampf mit Vorschlaghammer | |
| Er erinnert sich gerne an die Küchenhexe, einen mit Holz befeuerten Herd in | |
| seiner Bude, die er mit zwei Leuten teilte. „Wir haben mit dem Ofen | |
| geheizt, gekocht, gebacken“, erzählt er. Es gab „Braten in der Röhre, ein… | |
| Pott Glühwein mit Rum und war urgemütlich“. Wenn Mabuse dort für seine | |
| Hausbesetzergenossen Labskaus kochte, zerstampfte er die Kartoffeln mit dem | |
| Vorschlaghammer. | |
| Zum Helden der Gegenkultur wurde Mabuse, als er auf dem Weg zum Millerntor, | |
| Heimstätte des Fußballklubs FC St. Pauli, auf dem Hamburger Dom eine | |
| Totenkopfflagge kaufte, an einen Besenstiel tackerte und mit ins Stadion | |
| schleppte. Das war 1981. Wenn er sich dann mit seinen Kumpels auf den Weg | |
| machte vom Hafen ans Millerntor, bebten die Pflastersteine. Heute ist der | |
| Totenkopf millionenschwerer Marketingschlager des Vereins, es gibt ihn als | |
| Konterfei auf Unterwäsche und als iPhone-Schale. Die Story ist vielfach | |
| erzählt worden, selbst der Spiegel besuchte Mabuse auf dem Bauwagenplatz. | |
| Mit dem Kiezklub, der in seinen Augen zu spießig und bürgerlich geworden | |
| ist, hat dieser aber längst gebrochen | |
| In den 90ern zog Mabuse auf den bekannten Bauwagenplatz in der Gaußstraße – | |
| dem größten der Republik. Bis zu 200 Outlaws tummelten sich dort zu | |
| Stoßzeiten in Zelten und Bauwagen. Es wurde gekifft, gesoffen, gelacht. Man | |
| errichtete Barrikaden gegen die Bullen, ließ sich andrerseits auf eine | |
| Duldung des Bezirks ein. Wegen all des Zoffs und Zinnobers nach außen und | |
| manchmal auch nach innen, wurde die Brüderschaft des harten Kerns immer | |
| wichtiger. Überall prangten Totenköpfe, es roch nach rußigem Feuerholz, | |
| Kohle und Schnaps. Mekka der selbsternannten Freiheit war die Kneipe El | |
| Dorado, ein selbst gezimmerter Holzverschlag. Die Springer-Presse hetzte: | |
| „Lichtscheues Gesindel“, die linke Lokalpostille konterte mit | |
| Sozialromantik. | |
| Mabuse sinniert über das heilige Fest: „Okay, wir hatten Kerzen und | |
| Tannenzweige, legten Apfelsinenschalen auf die Öfen, sodass es duftete.“ | |
| Herbe gesoffen und tagelang gefeiert wurde aber eher an den Geburtstagen. | |
| Mabuses Eltern sind seit 18 Jahren tot, zu seinen Geschwistern hat er auch | |
| keinen Kontakt. Ob er Kirchenglocken möge? „Wirklich nicht“, raunzt er. | |
| Nun bereitet sich Mabuse auf sein Leben danach vor. Eine neue Identität. | |
| Nächstes Jahr soll er in ein Wohnprojekt, ein Praktikum gehört auch dazu, | |
| irgendwann steht dann auch eine eigene Wohnung auf dem Programm. Er möchte | |
| etwas mit Kinderbetreuung machen. Zuletzt, als er noch Bauwagenbewohner | |
| war, hat Mabuse in einem Supermarkt malocht, Einkaufswagen | |
| zusammengeschoben. Manchmal ist er dann zu spät zu seinem geliebten AFC | |
| gekommen, auf den „Zeckenhügel“, zu den anderen. | |
| Zu den Heimspielen kommt er auch jetzt noch recht regelmäßig. Nur das laute | |
| Röhren ist ein wenig schwächer geworden. Dafür ist er jederzeit ansprechbar | |
| geworden. Er ruft verlässlich zurück, wenn man was will. Das mit den | |
| Kindern kann man sich gut vorstellen. | |
| Diesmal wird er sich Heiligabend in den Zug setzen und vom Schellhorn am | |
| Scharsee in den Norden Hamburgs fahren. Geschenke gibt es nicht, dafür hat | |
| ihm ein Bekannter ein Klebebild-Sammelalbum von Altona 93 geschickt. Mabuse | |
| freut sich schon aufs Bilder tauschen. Beim Umsteigen wird er sich dann | |
| eine Zigarette drehen und auf das Essen in der Mietwohnung freuen. | |
| Irgendwas mit Fleisch. Den wilden Westen hat er hinter sich gelassen. | |
| ■ Martin Sonnleitner, 46, erinnert sich an eine Ritterburg, einen roten | |
| Trainingsanzug und die LP „The Final Cut“ von Pink Floyd, die sein Vater | |
| ihm 18-jährig schenkte. Heute feiert er unchristlich mit Freundin und Katze | |
| im Hamburger Westen. | |
| 24 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| MARTIN SONNLEITNER | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |