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# taz.de -- Mission: McKlinsey
> Jürgen Klinsmann hat die Nationalmannschaft erfolgreich umgebaut. Aus
> einer laxen Versammlung der Fußballelite des Landes wurde ein
> neoliberales Trainingscamp für Hochambitionierte. So hat er völlig
> überraschend ein WM-Halbfinale erreicht
AUS DORTMUND MARKUS VÖLKER
Gefasst nennt man diese Gemütslage wohl, für die Jürgen Klinsmann sich nach
dem späten Kollaps des deutschen Teams entschieden hatte. Das Match war
verloren gegangen, die Spieler hatten Tränen vergossen und eine traurige
Ehrenrunde zur Melodie von „You’ll never walk alone“ im Dortmunder Stadion
gedreht. Der Bundestrainer hatte seinen müden Mannen in der Kabine Mut
gemacht. Nun wartete die Presse. „Wir hatten einen großen Traum“, sagte
Klinsmann nach dem Halbfinale, „leider wurde er nicht wahr. Es tut sehr
weh, wann man so kurz vor Schluss so einen K.o.-Stoß bekommt.“ Die
Enttäuschung nach der 0:2-Niederlage gegen die Italiener saß tief, das war
klar. Doch Klinsmann bemühte sich, trotz einer kurzzeitigen Schockstarre,
die ihn direkt nach dem Schlusspfiff erfasst hatte, und dem jähen Ende
seiner „Challenge 06“, besonnen zu wirken, einen fairen Sportsmann
abzugeben. „Die Italiener waren sehr kaltschnäuzig, dafür gebührt ihnen ein
Kompliment“, sagte er.
„Ich habe Marcello Lippi direkt nach dem Spiel gratuliert und ihm gesagt,
dass wir ihnen die Daumen im Finale drücken. Kann sein, dass die Italiener
am Ende den Tick cooler waren und deshalb ihre Chancen genutzt haben“,
sagte Klinsmann. Dann lobte er die eigene Mannschaft überschwänglich. Ein
großes Team habe er in diesem WM-Turnier gesehen: „Sie haben ein Land stolz
gemacht. Sie haben all ihr Herz und ihre Leidenschaft reingelegt.“ Die
65.000 Zuschauer schienen das zu honorieren. Sie feierten das DFB-Team
trotz des Ausscheidens im Halbfinale. Die Fahnen wurden nicht eingeholt,
sie wehten im warmen Juliwind. Und noch einmal wurden die bekannten
Fangesänge angestimmt, nur einer nicht: „Berlin, Berlin, wir fahren nach
Berlin.“ Die Klinsmannschaft, die nur noch vier Tage beisammen ist, spielt
am Samstag in Stuttgart um Platz drei. Man wolle auch da attraktiven,
offensiven Fußball zeigen, versprach Klinsmann, aber in seinem Inneren wird
er das Spiel in seiner schwäbischen Heimat verdammen. Es verlängert seine
Leidenszeit. Klinsmann wollte nicht nach Stuttgart. Er wollte am Sonntag
ins hauptstädtische Olympiastadion, um Weltmeister zu werden. Das hat er
nicht geschafft. Ist seine Mission damit gescheitert?
Auch wenn das deutsche Team in den vergangenen beiden Spielen gegen
Argentinien und Italien nicht fitter als der Gegner war und auch nicht
offensivstärker, so hat Klinsmann die Nationalmannschaft doch grundsätzlich
neu ausgerichtet. Aus einem laxen Treff der Fußballelite des Landes ist ein
Trainingscamp für Hochambitionierte geworden. Klinsmann hat den 23
Erwählten volitiven Fußball beigebracht: der Kick als Willensakt. Doch es
war nicht nur das Wollen, das die Klinsmänner in ihrem Fußballlaboratorium
mit den höchsten Zielen experimentieren ließ, der Trainerstab arbeitete
zudem mit gänzlich neuen Zutaten. Es wurden externe Experten zu Rate
gezogen und aktiv in die Arbeit der DFB-Auswahl eingebunden. Fitnesstrainer
aus den USA kamen zum Zug. Ein Scoutingspezialist aus der Schweiz. Ein
Psychologe. Eingeladen wurden Extremkletterer und Wirtschaftsweise. Selbst
ein Hockeytrainer hätte für Klinsmann arbeiten sollen, wenn der DFB
mitgemacht hätte.
Das Training, bis dato mehr Bewegungstherapie, wurde didaktischer und
zielorientierter. Regelmäßig mussten die Nationalspieler zu Leistungstests
antreten. Der Zufall wurde aus dem Konzept gestrichen und durch maximale
Planungssicherheit ersetzt. Die Nationalelf wurde unter Klinsmann zum
Zukunftsprojekt. Dass es den Siegel des früheren Stürmers trägt, ist
logisch. Daraus kann man Klinsmann keinen Vorwurf machen. Nur durch seine
Beharrlichkeit hat er sich in den zwei Jahren seiner Amtszeit behaupten
können. Weil er strikt zu Werke ging, manchmal auch unsouverän und
kompromisslos, hat er sich Feinde gemacht – im Deutschen Fußball-Bund (DFB)
und anderswo. Sie sind noch da, auch wenn sie sich derzeit nicht zu Wort
melden. Sie warten auf ihre Chance. Geht Klinsmann, was allgemein erwartet
wird, dürfte die Anti-Klinsmann-Fraktion wieder aktiv werden. Ihre
Fürsprecher und Lobbyisten werden Restauration betreiben wollen.
Man darf ja nicht vergessen, dass Jürgen Klinsmann mit dem alten DFB und
dessen Auswahl ein neoliberales Experiment durchgeführt hat. Er hat, auch
dank seines Kompagnons, des Teammanagers Oliver Bierhoff, die
Nationalmannschaft der Wirtschaft radikal geöffnet. Wenn man so will, haben
sich die Neocons einer Sparte der Old Economy bemächtigt. Das Nationalteam
hat sich unter den Neuen exzessiv verkauft. Es steht mehr denn je unter der
Diktatur der Firmen, Logos und Sponsoren. Zum Werbeträger taugt es freilich
nur, wenn die Leistung stimmt. Unter der Maßgabe der Effizienz hat
Klinsmann seinen „Inner Circle“, die Chefetage, bestückt, den Jargon einer
Unternehmensberatung etabliert und den Kader als „Portfolio“
zusammengestellt. Der Stern hat ihn deswegen als „McKlinsey“ bezeichnet.
Der Sprachduktus ähnelt tatsächlich eher dem Gebaren sektiererischer
Großunternehmen wie General Electric.
Das Unterfangen war klar: Einigkeit durch Geschlossenheit und maximale
Erträge durch visionäre Ergriffenheit sollten her. Einen Mangel an
Sendungsbewusstsein konnte man Klinsmann nie vorwerfen und auch nicht ein
Defizit an Durchschlagskraft. Seine Spieler, vor allem die jüngeren Profis
um Philipp Lahm, Per Mertesacker und Christoph Metzelder, hatten schnell
begriffen, dass die Aktien der Nationalmannschaft steigen, wenn sie dem
Schwabokalifornier, der fließend Englisch spricht, in Italien, Frankreich,
England und den USA gespielt hat, bedingungslos folgen. „Wir sind ständig
an die Grenze gegangen“, hat ihr Anführer nach dem 0:2 gesagt und damit
seine „Philosophie“ beschrieben: nichts unversucht lassen, alle Reserven
erschließen und Flexibilität als Karrierechance begreifen.
Die Grenzerfahrung mag Jürgen Klinsmann viel Kraft gekostet haben, mehr als
er zugeben will. Gut möglich, dass er nach dem Kraftakt, „der Welt ein
neues deutsches Gesicht“ gezeigt zu haben, Abstand braucht. „Die Bilanz
dieser WM kann in der nächsten Woche erfolgen – wer immer das auch machen
möchte“, sagte er Mittwochnacht. Es klang nicht so, als hätte der aktuelle
Bundestrainer noch Lust dazu, es selber zu machen.
6 Jul 2006
## AUTOREN
MARKUS VÖLKER
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