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# taz.de -- Im Nebel verschwinden
> Die Zeit, in der sie ihr Haar aufsteckt: Bei dem Choreografen Emanuel
> Gatt aus Tel Aviv, der mit einem klassischen Triptychon zum „Tanz im
> August“ kam, berührt gerade die kleine Geste, auch wenn man darauf warten
> muss
Emanuel Gat kommt aus Tel Aviv. Bevor er Tänzer und Choreograf wurde und
2004 seine eigene Compagnie gründete, hat er Musik studiert und wollte
Dirigent werden. Wie sehr ihm die Interpretation der Musik am Herzen liegt,
das spürt man in dem Triptychon zu Kompositionen von Schubert, Bach und
Strawinsky, mit dem er zu „Tanz im August“ eingeladen ist. So viel Emotion,
so viel Pathos ist selten.
Zwischen den drei Choreografien besteht ein innerer, nicht ohne weiteres zu
entschlüsselnder Zusammenhang. Die Stimmung im HAU ist an diesem Abend
ungewöhnlich feierlich – man hat das Gefühl, einem Ritual beizuwohnen, das
so fremd wie faszinierend ist.
In „Winter Voyage“ tanzen Emanuel Gat und Roy Assaf zu Franz Schuberts
„Winterreise“: Zwei androgyne, fast depersonalisierte Wesen mit geschorenen
Köpfen bewegen sich traumtänzerisch in grau glänzenden Kleidern umeinander
her und auf einer unsichtbaren Spiegelachse, die sich um ihr Zentrum dreht.
Zu Schuberts schwermütigen Liedern wirken sie wie verlorene Königskinder in
einer Schneelandschaft.
„Drüben hinterm Dorfe“ erzählt von einem armen Leierkastenmann, von Gat u…
Assaf als ein Blinder dargestellt, der vielleicht auch nichts mehr sehen
will, so verzweifelt, wie er die Hände vors Gesicht schlägt. Doch im Dialog
von Tanz und Musik entstehen nicht immer und nicht zwangsläufig
Geschichten; oft laufen die musikalisch evozierten Szenen unabhängig vom
Bühnengeschehen ab. Sie verselbstständigen sich sogar, lassen den Tanz kurz
vergessen, so präsent ist die Stimme des Interpreten Dietrich
Fischer-Dieskau.
Wie beim ersten Teil ist die Bühne auch bei „We came for the wings and
stayed because we couldn’t fly“ in weiß, grau und schwarz gehalten. Zu
Musik von Johann Sebastian Bach beschreiben Roy Assaf und Moran Zilberberg
synchrone Bewegungen, und durch die Überlagerung zweier Körper entstehen
mehrarmige Fantasiegestalten. Wie Korkenzieher bohren sie sich in Nebel und
Nichts, worin sie am Ende auch so gravitätisch wie unspektakulär
verschwinden.
Obschon das Zusammenspiel, der Wechsel absoluter Nähe und größtmöglicher
Distanz für beide Kurzchoreografien charakterisierend ist, berühren sich
die Körper der Tänzer nicht ein einziges Mal. Das ist das Entscheidende:
Diese unausgesprochene Nähe tut beinahe weh. Aber sie unterstützt auch die
einzigartige Wirkung: Zeuge einer vom Subjekt losgelösten, schwerelosen
Schönheit zu sein.
Den Höhepunkt des Abends stellt zweifelsohne die Interpretation von Igor
Stravinskys „The Rite of Spring“ dar. Zwischen entrückter
Selbstvergessenheit und heller Panik tanzen zwei Männer und drei Frauen,
als stünde ihr Leben auf dem Spiel – und so ist es auch, tatsächlich
erzählt die Choreografie von der Opferung einer Frau, einem archaischen
Ritual. Bis dahin liefern sich die schwarz gekleideten TänzerInnen (neben
Emanuel Gat und Roy Assaf Doron Raz, Avital Mano und Alex Shmurak) vor
rotem Hintergrund ein furioses Salsaduell. Alles, was vordem
unausgesprochen, unberührt blieb, wird exzessiv gebündelt und
hinausgeschrien. So verspricht das letzte Stück, das Erlebnis der Schönheit
nicht fortzusetzen, zu stark ist sein Gewaltpotenzial.
Vor so viel geballter Leidenschaft und Pathos entpuppt sich als die
stärkste Szene des Stücks ausgerechnet eine alltägliche, wie
herausgefallene Handlung, die bestürzt und tief berührt: Eine Frau, die den
Zuschauern den Rücken zuwendet, steckt wie in Zeitlupe ihr langes, offenes
Haar zusammen. Es sind dann doch eher solche Bilder, die in der Erinnerung
bleiben.
ASTRID HACKEL
24 Aug 2006
## AUTOREN
ASTRID HACKEL
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