# taz.de -- Der erwiesene Kuss | |
> EISKUNSTSKANDAL Der Sportdirektor bleibt im Amt, obwohl er der sexuellen | |
> Belästigung angeklagt ist | |
BERLIN taz | Ein zwölfter Platz bei den Weltmeisterschaften der Junioren | |
vor etlichen Jahren. Ein paarmal in den Top Ten beim Junioren-Grand-Prix. | |
Das war es. Geschieht kein Wunder, kann Eistänzer Sascha Rabe seine | |
sportliche Karriere abhaken. „Er hat höchstwahrscheinlich alles verloren, | |
wofür er seine Kindheit geopfert hat“, sagte seine Anwältin Karla | |
Vogt-Röller gestern vor dem Berliner Landgericht. Rabe trat dort als | |
Klägerin auf. Der 24-Jährige fordert finanzielle Wiedergutmachung und | |
Schmerzensgeld. Doch die Güteverhandlung platzte gestern, sein Kontrahent | |
wies die Forderung zurück. | |
Der „Beklagte“, wie es im Juristendeutsch heißt, ist Udo Dönsdorf, | |
langjähriger Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union und 57 Jahre alt. | |
Rabe wirft ihm vor, sich an ihm sexuell vergangen zu haben. Am Abend vor | |
einer Leistungsüberprüfung vor vier Jahren habe Dönsdorf mit Rabe zu Abend | |
gegessen, einiges getrunken und ihn dann mit in sein Hotelzimmer genommen. | |
Dort gab es, so die Anwältin, „einen sexuellen Übergriff“. Dönsdorf räu… | |
einen „flüchtigen Zungenkuss“ ein. Was auch immer das sein soll. Mehr habe | |
es nicht gegeben. | |
Als sich Rabe nach langen inneren Kämpfen im vergangenen Jahr dazu | |
durchgerungen hatte, den Vorfall öffentlich zu machen, blieb die davon | |
erhoffte Befreiung aus. Stattdessen brach für ihn alles zusammen: Denn der | |
Verband ließ ihn im Regen stehen. Dönsdorf ist weiterhin Sportdirektor der | |
Deutschen Eislaufunion, entscheidet dort ganz wesentlich über | |
Sportförderung und die Zugehörigkeit zum Bundeskader. Seine Suspendierung, | |
gefordert von einer großen Zahl von Sportlern, lehnte der Verband ab. | |
Vizepräsident Uwe Harnos begründete das damals gegenüber der taz: „Mehr als | |
ein Kuss ist nicht erwiesen. Der Vorfall fand außerdem in der Freizeit von | |
Dönsdorf statt.“ Somit handle es sich um eine private Angelegenheit | |
„zwischen zwei volljährigen, gleichgeschlechtlich orientierten Männern, die | |
eine Suspendierung nicht rechtfertigen“ könne. Mit anderen Worten: Geküsst | |
hatte nicht der Sportdirektor Dönsdorf, sondern der Privatmann Dönsdorf. | |
Da er sich unverstanden fühlte, hatte Sascha Rabe im Sommer 2009 versucht, | |
sich das Leben zu nehmen. Danach erklärte er, nie wieder einen Wettkampf | |
bestreiten zu wollen, bei dem Dönsdorf zugegen ist. Bei den Deutschen | |
Meisterschaften im vergangenen Dezember in Mannheim aber war Dönsdorf | |
zugegen, und Sascha Rabe brach nach einem gelungenen Pflichttanz den | |
Wettbewerb ab. Ohne deutsche Meisterschaft schaffte er nicht den | |
Leistungsnachweis für den Bundeskader. Und weil die Aussicht auf künftige | |
Wettkämpfe wegfiel, trennte sich seine Eispartnerin Tanja Kolbe von ihm. | |
Einvernehmlich übrigens mit Rabe. Sie tanzt jetzt gemeinsam mit einem | |
Italiener und hat angekündigt, international für Italien zu starten. | |
Im November geht es weiter mit der Beweisaufnahme. Doch das Gericht ließ | |
bereits durchblicken, dass ein Schadenersatzanspruch zumindest in Teilen | |
gerechtfertigt ist. „Zwei Drittel des Paragrafen 825 sind unstrittig, ein | |
Drittel ist strittig“, so der Richter gestern. Besagter Paragraf regelt | |
zivilrechtliche Schadenersatzansprüche. | |
Dass der Eislaufverband Dönsdorfs Suspendierung ablehnt, könnte auch einen | |
Grund haben, den keiner ausspricht: Würde der Verband seinen Sportdirektor | |
entlassen, hätte der gute Chancen, eine Abfindung einzuklagen. Etwas | |
anderes ist, weil seit dem Vorfall so viel Zeit verstrichen ist, | |
arbeitsrechtlich kaum vorstellbar. Eine Abfindung aber könnte sich der | |
finanziell klamme Verband nicht leisten. Dann doch lieber einen | |
Sportdirektor, dessen guter Ruf ruiniert ist. MARINA MAI | |
18 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
MARINA MAI | |
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