# taz.de -- Expedition ins Bergreich | |
> „Wir überlegen noch“ steht auf Plakaten der Bergpartei. Auf der Suche | |
> nach ihrem Direktkandidaten Jan Theiler fällt man zurück in die frühen | |
> 90er, trifft Hofhühner und einen Mann, der es ernst meint | |
VON KIRSTEN KÜPPERS | |
Jetzt hängen in Mitte und Prenzlauer Berg diese Plakate. „Wachstum als | |
Holzweg“, „Wir überlegen noch“ und „Kompetenz als Maske“ steht darau… | |
Friedrichshain sieht man viele Schilder mit einem Hasen drauf. Manchmal | |
trägt er eine Brille, manchmal guckt er traurig und hat einen Verband. Alle | |
Plakate werben für „die Bergpartei“. Sie sehen anders aus als die anderen | |
Wahlplakate. Selbst gebastelt. Eins zeigt einen jungen Mann, dem eine | |
Krawatte aus dem Mund hängt. Es handele sich um den Direktkandidaten der | |
Partei im Bezirk Mitte, sagt das Schild. Der Kandidat heiße Jan Theiler. | |
Wer ist Jan Theiler? | |
Auf der Internetseite der Bergpartei steht nicht viel. Es gibt eine | |
Satzung, ein Wahlprogramm und die Namen der vier Direktkandidaten der | |
Partei. Im Programm wird „die Erhaltung bedrohter und Schaffung neuer | |
Freiräume in Berlin, wo Kreativität und Gemeinschaft ohne kommerziellen | |
Druck ausgelebt werden kann“, gefordert. Die Einführung eines | |
Existenzgeldes. Eine „radikale Kraftstoffreform und ungehinderte | |
Entwicklung erneuerbarer Energiegewinnung“. Aber auch seltsames Zeug wie | |
„für jeden gefällten Baum ein eingeschmolzenes Auto“ oder die „Förderu… | |
des Formationstanzes“. | |
Wer Jan Theiler ist, erfährt man nicht. | |
Auf einem Zettel, der an einem der Plakate klebt, steht, dass Jan Theiler | |
auftreten wird. Als Sänger der Gruppe „Peeling“. Bei einem Solidaritätsfe… | |
für die Bergpartei. Das Haus, in dessen Hof das Fest stattfindet, ist das | |
letzte unsanierte Gebäude in der Tucholskystraße, es ist ziemlich kaputt. | |
Nach der Wende sind Besetzer eingezogen, die Mieten sind immer noch billig. | |
Der Hof ist nur von hüpfenden Lichtpunkten einer Diskokugel beleuchtet. Es | |
gibt eine Bar, eine Bühne und in einer Ecke einen Mann, der Pizza backt. | |
Man steht im Hof und guckt, und es passiert, dass ein altes Gefühl | |
herunterfällt. Wie ein sehr entfernter Funkspruch. Aus einer Zeit Anfang | |
der 90er-Jahre in Berlin-Mitte. Als die Straßen noch nicht den Touristen | |
gehörten und die leeren baufälligen Häuser ein Versprechen bedeuteten. Als | |
die illegale Montagsbar in einem Hinterhof aufmachte, die Donnerstagsbar in | |
einer Garage und jeder Gast musste auf einer Kassette sein Lieblingslied | |
mitbringen. Manchmal gab es für einen Abend lang nur rote oder nur grüne | |
Getränke. | |
Plötzlich entdeckt man Jan Theiler im Hof. Man erkennt ihn daran, dass er | |
umherrennt und seine Plakate aufhängt. Ein schlaksiger junger Mann mit | |
zerzausten Haaren und Nickelbrille. Jan Theiler hat keine Zeit, sich zu | |
unterhalten. Er schickt einen zu Hauke. Der kandidiert für die Bergpartei | |
in Friedrichshain. Hauke steht in der Hofdurchfahrt, er hat ein gelbes | |
T-Shirt an und eine Bierflasche in der Hand, er sammelt Spenden für die | |
Bergpartei. | |
Hauke ist schon ein wenig betrunken. Er redet wie ein Wasserfall. Er fängt | |
an bei den Krankenhäusern, die, statt wirtschaftlich zu arbeiten, lieber | |
Kranke heilen sollten. Er sagt, dass im Kapitalismus keine Demokratie | |
möglich sei. Er regt sich darüber auf, dass die Kandidaten von der CDU ihre | |
Plakate nicht selber aufhängen, sondern fremde Firmen damit beauftragten. | |
„Da kommt doch kein Feuer rüber, ey! Das ist für’n Arsch!“, ruft Hauke. | |
Dann erzählt er davon, dass er früher als Decksmann gearbeitet hat auf | |
Binnenschiffen. | |
Irgendwann fängt es an zu regnen und die Band beginnt zu spielen. Jan | |
Theiler singt, ein anderer spielt Gitarre. Ein Lied heißt „Hey, kleine | |
Raverin“, das nächste handelt vom Sozialamt in der Frankfurter Allee, viele | |
sind Cover-Versionen von Schlagern aus den 70ern oder 80ern. Jan Theiler | |
singt mit einer hellen dünnen Stimme, der Verstärker pfeift. Es klingt | |
nicht elegant, aber schön. Das Publikum winkt und klatscht, jedes Lied geht | |
unter in einem rauschenden Bravo. | |
Was das alles mit der Bergpartei zu tun hat, ist nicht ganz klar. | |
Am nächsten Tag klingelt man bei der „Kule“, einem ehemals besetzten Haus | |
in der Auguststraße. Hier wohnt Jan Theiler. Er hatte gesagt, man solle | |
nachmittags um zwei vorbeikommen, dann könne man sich über die Bergpartei | |
unterhalten. Ein Mitbewohner öffnet. Er kommt gerade vom Hühnerfüttern. Die | |
Hühner leben in einem Verschlag im Hinterhof. Im zweiten Stock des | |
Vorderhauses zeigt der Mitbewohner einen kleinen sehr unaufgeräumten Raum | |
vor. Hier wohnt Jan Theiler. Aber Jan Theiler ist nicht da. | |
Wo ist Jan Theiler? | |
Es dauert ein bisschen, dann taucht er in der Küche auf. Ohne Hose. Er | |
verschwindet wieder. | |
Schließlich sitzt Jan Theiler mit Pullover, Jeans und Badeschlappen an | |
einem kleinen Tisch in der dämmrigen Küche und erzählt, wie alles anfing | |
mit der Bergpartei. Er redet schleppend, vielleicht ist er noch nicht ganz | |
wach. Zuerst sei es um den Palast der Republik gegangen. Im Sommer 2005, | |
als man den Abriss verhindern wollte. Während der Zwischennutzungsphase | |
hatten ein paar Künstler einen riesigen Berg im Inneren des Palasts | |
aufgebaut. Jan Theiler war dabei. Irgendwann kamen er und die anderen auf | |
die Idee, das Ganze mit der Gründung einer Partei abzurunden. Der | |
Bergpartei. Sie saßen zusammen vor dem künstlichen Berg, durch das Dach | |
regnete es auf die Formulare, aber „es war irgendwie ein guter Abend“, sagt | |
Theiler. | |
Es hat schon viele Spaßparteien in Berlin gegeben: „Chance 2000“ von | |
Christoph Schlingensief mit ihrem Spruch „Scheitern als Chance“. Die | |
Kreuzberger „Anarchistische Pogo-Partei APPD“, die mittlerweile teilweise | |
aufgegangen ist in der Satirepartei „Die Partei“. | |
Wenn man Jan Theiler fragt, was die Bergpartei von diesen Spaßparteien | |
unterscheidet, dann wird er sauer. Er sitzt mit seinen Badeschlappen am | |
Küchenfenster und regt sich richtig auf. Die Bergpartei sei keine | |
Spaßpartei, ruft er, „Satire ist nicht genug“. Die Bergpartei verfolge auch | |
ernsthafte Ziele. Den Erhalt kreativer Freiräume zum Beispiel. Er wirft die | |
Arme in die Luft. Ein Mitbewohner legt zwei neue Eier von den Hühnern auf | |
den Küchentisch. Jan Theiler verschränkt die Arme und wird wieder ruhig. | |
Im vergangenen Jahr forderte die Bergpartei vor allem den Erhalt des | |
Palasts der Republik. Nicht aus DDR-Nostalgie. Sondern weil sich das | |
Gebäude als alternativer Veranstaltungsort mitten in der Stadt bewährt | |
hatte. Zur Bundestagswahl im vergangenen Herbst wurde die Bergpartei | |
trotzdem nicht zugelassen. Jan Theiler und seine Kollegen hatten sich | |
bemüht, alle formalen und inhaltlichen Kriterien zu erfüllen. Theiler hatte | |
sich ins Parteiengesetz eingelesen, er ist zu den verschiedenen Behörden | |
gelaufen, sie haben bis sechs Uhr morgens Plakate gedruckt. Es hat nichts | |
genutzt. | |
Jan Theiler sagt, die Wahlkommission habe mangelnde Ernsthaftigkeit und | |
andere Gründe vorgeschoben, es sei eine „futuristische Situation“ gewesen | |
„wie bei Krieg der Sterne“, für ihn ein weiterer Beleg dafür, dass | |
Parlamentarismus nicht demokratisch funktioniere. Immerhin hat Hauke es | |
noch geschafft, als unabhängiger Direktkandidat für | |
Friedrichshain-Kreuzberg anzutreten, er hat 1.111 Stimmen bekommen. Aber | |
gegen den Grünen Lokalmatador Christian Ströbele hat das nicht gereicht. | |
Im Winter stand Jan Theiler dann frierend in der Kälte und hat immer noch | |
Flugblätter gegen den Abriss des Palasts verteilt. Es hat nichts genutzt. | |
Im Frühjahr war aus der Bergpartei die Luft raus, die Wut war irgendwo | |
liegen geblieben. | |
Vor ein paar Monaten haben Leute zu Jan Theiler gesagt, jetzt, wo der | |
Palast verloren sei, könne er doch aufhören mit seiner Partei. Das hat | |
Theiler trotzig gemacht. Er hat die Bergpartei zur Abgeordnetenhauswahl | |
angemeldet und mit Hauke Plakate gedruckt. Die Plakate haben sie | |
aufgehängt. Die anderen beiden Direktkandidaten der Bergpartei machen | |
diesmal nicht richtig mit. Der eine, weil er Liebeskummer hat, der andere, | |
weil er einen Film fertig schneiden muss. Immerhin gab es drei Solipartys | |
für die Partei. Und an diesem Nachmittag wird Jan Theiler noch ein riesiges | |
Transparent vor die Fassade der „Kule“ spannen. „Freiheit macht Arbeit“ | |
steht auf dem Transparent. | |
Damit seien die wichtigsten Wahlkampftermine für ihn erledigt, erklärt Jan | |
Theiler. „Das war’s. Mehr gibt es erst mal nicht zu tun.“ Sein Fuß wippt | |
mit einer Badeschlappe. Sein Wahlkampf ist in der Welt, jetzt kann die | |
Stadt sehen, wie sie damit fertig wird. | |
Es kann sein, dass Jan Theiler nun wieder ab und zu einen dadaistischen | |
Gottesdienst abhält in irgendeinem Hinterhof eines ehemals besetzten Hauses | |
– jetzt, wo er wieder mehr Zeit hat. Oder dass er noch einmal eine | |
Massentaufe organisiert, so wie vor ein paar Jahren in einem besetzten | |
Schloss am See. Das sind so die zwischen Kunst und Unsinn schwankenden | |
Angelegenheiten, mit denen Jan Theiler das bisschen Geld verdient, das er | |
zum Leben braucht. Draußen vor dem Küchenfenster läuft eine Touristengruppe | |
vorbei und zeigt mit Fingern auf den Hinterhof mit den Hühnern. | |
Und was passiert, wenn Jan Theiler bei der Abgeordnetenhauswahl gewählt | |
wird? Der Kandidat guckt weg. Die Frage scheint ihn zu überraschen. Er | |
rechnet offenbar nicht damit, dass so etwas wirklich geschieht. Es dauert | |
eine Weile. Dann brummt Theiler: „Es kommt nicht darauf an, dass die Leute | |
uns wählen.“ Und weil sein Gegenüber nur schweigt und ratlos schaut und | |
jetzt überhaupt nichts mehr versteht, schiebt er hinterher: „Es geht darum, | |
dass die Leute selbst Initiative ergreifen.“ | |
Ein bisschen verwirrt verlässt man das Haus. Das war also Jan Theiler. Ein | |
Direktkandidat im Berliner Wahlkampf, noch kämpfend, aber schon angekommen | |
in der Realität. „Wir sind doch nur eine krasse Minderheit“, hatte er | |
gesagt, und es hatte geklungen wie ein schlechter Trost. | |
Wo bleibt Jan Theilers Wille zum Sieg? | |
Abends kommt noch eine E-Mail an. Er habe es vielleicht doch nicht ganz so | |
gemeint mit der Sache, dass es ihm gleich sei, ob die Leute ihn wählen oder | |
nicht, schreibt Jan Theiler. „Ich will weder Hoffnung machen, dass ich | |
aufgrund von mehr Wählerstimmen mehr für den Erhalt von Freiräumen tun | |
kann, noch sagen, dass es verschenkte Stimmen wären, mich zu wählen. Ich | |
würde mich schon dieser Verantwortung stellen wollen. Oh Gott, das klingt | |
jetzt wieder voll wie ein Politiker, ich hasse eigentlich solche Sätze!“ | |
7 Sep 2006 | |
## AUTOREN | |
KIRSTEN KÜPPERS | |
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