# taz.de -- „Es gibt zu viel Besitz in zu wenig Händen“ | |
> AUSSTELLUNG Die Künstlerin Birgit Brenner über ihre gewachsene Verbindung | |
> zur Galerie „Eigen +Art“, ihre Fähigkeit, Gefühle durch Geschichten zu | |
> transportieren, und das Sammeln von Müll als Zwangshandlung | |
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG | |
taz: Frau Brenner, Sie sind jetzt 20 Jahre bei der Galerie Eigen + Art. Ist | |
das eine alte Ehe? | |
Birgit Brenner: Ja, mit allen Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil ist, dass | |
wir uns mehr sagen. Ich wüsste nicht, ob es diese Offenheit und Direktheit | |
zwischen uns gäbe, wenn ich bei Judy Lybke eingestiegen wäre, als er schon | |
so erfolgreich war. Dass Judy diese Karriere hingelegt hat, ist natürlich | |
toll für mich und die anderen Künstler der Galerie. Ich bin sogar schon | |
mehr als 20 Jahre dabei, weil ich schon während des Studiums bei Eigen + | |
Art war. | |
Wie sind Sie überhaupt zusammengekommen? | |
Damals an der HdK, jetzt UdK, macht man nach der Grundklasse eine | |
Ausstellung. Da fand Nicole Hackert meine Arbeiten gut. Sie machte damals | |
mit anderen den Artacker in der Ackerstraße, bevor sie mit Bruno Brunnet | |
Contemporary Fine Arts aufmachte. Bei ihr hatte ich dann eine kleine | |
Ausstellung, die Kathrin Becker sah, die heute das Videoprogramm bei nbk | |
leitet. Sie fragte mich wegen der Ausstellung „37 Räume“ an, die Klaus | |
Biesenbach in leer stehenden Räumen in der Auguststraße organisierte, | |
zusammen mit 31 Kuratoren. Und im Zusammenhang damit hieß es, Judy Lybke | |
findet meine Arbeit am besten. Ich bin dann mit meiner Mappe zu ihm | |
gegangen und hab gesagt, hier, das bin ich, du fandst mich gut. Ich hatte | |
Glück, denn wie er sich ausdrückte, suchte er für sein Galerieprogramm | |
Westweiber. Dass es bis heute hält, hat wohl keiner von uns damals gedacht. | |
Ihre Kunst ist narrativ ausgerichtet. Sie basiert auf tragisch-traurigen | |
und gleichzeitig komischen Geschichten und Problemlagen des Alltags. Wäre | |
die Situation der Künstler in der Kunsthochschule und danach nicht ein | |
Thema für Sie? Zumal es eine Chance für Selbstreflexivität böte, oder ist | |
das zu heikel? | |
Nicht zu heikel. Das große Missverständnis bei meinen Arbeiten ist ja, dass | |
viele denken, die Birgit, die hat einen psychischen Schaden. Ich hab mir | |
schon überlegt, ob ich es jetzt endlich zugebe, dass ich schon zig | |
Selbstmordversuche hinter mir habe, seit Jahren unter Medikamenteneinfluss | |
stehe und Alkoholikerin bin etc. Ich kann aber Geschichten, die mir nahe | |
sind, die ich real erlebt habe, nicht gut erzählen. Ich kann allerdings | |
Gefühle, die ich dabei hatte, in andere Geschichten transportieren. Darüber | |
hinaus bin ich ganz schlecht im autobiografischen Bereich, da ich Abstand | |
zu den Storys brauche. Ich brauche fiktive Leben und nicht mein eigenes. | |
Obwohl ich ja dachte, die Messie-Frau hat was von einer Künstler- oder | |
Künstlerinnenfigur? Künstler sind immer auch Sammler, mehr als andere | |
Leute, finde ich. | |
Im Atelier ja, zu Hause nicht. Und meine Geschichten sollen viele Aspekte | |
haben, auch Aspekte, die jeder kennt. Logischerweise sammeln Kunstsammler. | |
Aber man fragt sich manchmal schon, wie viele Lager habt ihr eigentlich? | |
Ist das nicht compulsive hoarding, was ihr da treibt? In der aktuellen | |
Installation geht es um die Frage nach Besitz. Was ein Messi hortet, ist | |
für uns Müll, aber für ihn ist das ein wertvoller Besitz. Im Begriff | |
Privatbesitz stecken zwei Begriffe, die ich aktuell ganz wichtig finde. Das | |
Private ist in Gefahr, und Besitz ist das Unheil der Welt. Es gibt zu viel | |
Besitz in zu wenigen Händen. | |
Dafür, dass es in „Selbst Schuld“ um das Messie-Syndrom geht, sieht der | |
Galerieraum ausgesprochen elegant und aufgeräumt aus. Kenne ich nicht viel | |
wildere Installationen von Ihnen? | |
Ja, ich wollte in der Galerie keinen Müll zeigen. Denn es geht mir nicht um | |
den Müll, sondern um die Funktion, die er für die Betroffenen hat, sie | |
unterliegen ja einer Zwangshandlung. In der Regel haben sie einen hohen | |
Eigenanspruch, den sie nicht erfüllen können, und scheitern schon vorher, | |
gerade aufgrund dieses zu hohen Anspruchs. Ein Bild für unsere aktuelle | |
Zeit. Für die Installation wollte ich eine schwarze Bühnenbildsituation | |
haben, die viel Licht schluckt. Und wenn man in die Galerie reinkommt, | |
wollte ich, dass man die unterschiedlichen Schichtungen der Arbeit sieht, | |
die von der Seite gesehen eher unattraktiv sind. Von vorne sieht man dann | |
die Fassade eines zerklüfteten Hauses, hinter dem sich die Situation | |
abspielt. Menschen mit Messie-Syndrom suchen in der Regel keine Hilfe von | |
sich aus. Und die Kakerlaken verraten sie dann oft, da sich Nachbarn über | |
Ungeziefer beschweren. | |
Die Kakerlaken bringen dann Hilfe? | |
Ja, für sie ist das keine Hilfe. Für sie ist das ein Desaster. Sie schämen | |
sich, dass das Ungeziefer sie verrät und ihre Situation aufdeckt. Deswegen | |
habe ich die Kakerlaken auch fast gleich groß gemacht wie das eigentliche | |
Bühnenbild. Die Nummern, die man sieht, das sind die Höhenmesser, die | |
anzeigen, wie viel die Protagonistin gesammelt hat, und gleichzeitig dienen | |
sie als eine Art Abstandshalter. Der einzige Blick in einen Innenraum ist | |
ein Hochglanzdruck, der das wahre Bild einer realen Situation zeigt. Der | |
hängt dort klein und ganz alleine. Wenn ich einen Müllberg bis zur Decke | |
aufgehäuft hätte, wäre mir das zu illustrativ geworden. | |
Und was hat es mit den Blumen gegenüber der großen Schichtung auf sich? | |
Ich wollte, dass etwas ganz Belangloses das Szenario attackiert. Ich hab | |
Stiefmütterchen genommen, nicht wegen ihrem Namen, sondern weil diese | |
Blumen für mich ein Gesicht haben, weil sie schauen. Ich wollte | |
offenlassen, ob es die Blicke der anderen sind oder nur die Balkonpflanzen | |
von gegenüber, die (ihr) sagen „Selbst Schuld“. Deswegen sind die Pfeile, | |
die als Attacke von gegenüber auf die Arbeit zeigen, und die Abstandhalter | |
auf der anderen Seite in der gleichen Farbe und der gleichen Sprache | |
gemacht. Weil nicht sicher ist, wer was sagt. | |
Ist Messietum für Sie auch reizvoll von der formalen Seite her? Weil es | |
sich doch gut trifft, dass die Materialien, mit denen Sie gewöhnlich | |
arbeiten, eher billige Materialien sind wie Pappe und Dachlatten? | |
Eigentlich schon, aber hier habe ich viel mit Holz gearbeitet. Denn | |
unabhängig vom Thema hatte ich vor ein, zwei Jahren das Gefühl, dass ich | |
mit meinen Arbeiten mehr in den Raum gehen will. Da arbeitet man unter der | |
Bedingung der Schwerkraft. Also musste ich hinter den Schichten eine | |
Konstruktion verstecken, die das alles trägt. Glücklicherweise habe ich | |
jetzt Sperrholz entdeckt, das mir viele Möglichkeiten bietet, ohne dass die | |
Technik wirklich auffällt. | |
Wie bei den Stiefmütterchen? | |
Die Stiefmütterchen sind aus Pappe. Die Unterkonstruktion ist Holz, sonst | |
könnte ich nicht so weit in den Raum hineingehen, da ab einer gewissen | |
Länge natürlich eine enorme Hebelwirkung entsteht. Zudem geht es mir um | |
Überlagerung, um Schichten und um Überfrachtung. Unterschiedlichste | |
Aspekte, die sich in verschiedenen Höhen abspielen. Es gibt dann einen | |
Blickwinkel, an dem sich alles zusammenfügt und ein Ganzes ergibt. | |
Diese Vielschichtigkeit verweigert sich einer definitiven Wahrheit der | |
Geschichte? | |
Ja, es ist mir wichtig, dass die Installation einen inszenierten und auch | |
einen flüchtigen Aspekt hat. Ich mache Kunst nicht, damit sie mich | |
überlebt, sondern weil ich einen Ausdruck für Leben haben möchte. Wie ich | |
Leben empfinde, was passiert in der Zeit, in der man lebt. Und da finde ich | |
es absurd, wenn man etwas festhalten möchte, weil man es eben nicht kann. | |
Diese Flüchtigkeit und den Punkt, dass jeder sein Leben und sich selbst | |
auch inszeniert, das alles will ich mit den Geschichten transportieren, und | |
deswegen auch die vergängliche Materialform. | |
2 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
BRIGITTE WERNEBURG | |
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