Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Leichen manifestiert in Spurenelementen
> Der Düsseldorfer Kunstverein wagt sich mit seinem Beitrag zur
> Quadriennale 06 weit vor: Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles
> arbeitet mit den Spuren und Überresten toter Körper. Mit ihren Opfern der
> modernen Gesellschaft stößt sie immer wieder an die Schmerzgrenzen ihrer
> Mitmenschen
VON KATJA BEHRENS
Vor ein paar Wochen erst hat der amerikanischen Künstlers Spencer Tunick im
Hof des museum kunstpalast Hunderte von nackten Menschen zu einer lebenden
Skulptur arrangiert und damit allerhand Aufsehen erregt. Die Bilder hängen
jetzt im Kunstpalast. Im Düsseldorfer Kunstverein werden dafür Spuren toter
Körper zu Kunstwerken.
Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles (geb. 1963 in
Culiacán/Sinaloa) – ähnlich wie ihr spanischer Kollege und Freund Santiago
Sierra – erinnert mit ihrer Kunst an die namenlosen Opfer unserer modernen
Welt. Dass beide dies auf ähnlich spektakuläre Weise tun, dass sie die
banale Ikonographie des Kapitalismus (Sierra) und des Sterbens (Margolles)
so unverblümt in sinnliches Erleben transformieren, lässt die Künstler
immer wieder an die Schmerzgrenzen ihrer Mitmenschen stoßen. Wer möchte
schon gerne die eigene Ignoranz sehen oder gar den Dampf von
Leichenwaschwasser einatmen? („Vaporización“, „Verdampfung“, 2001).
In Düsseldorf nun ist längs durch den gesamten Raum des Kunstvereins eine
einzelne Schnur gespannt. Sie besteht aus unregelmäßig bräunlich-rot
verfärbten und unterschiedlich dicken, aneinandergeknoteten Fäden. Das
Wissen, dass diese Fäden als Naht durch viele tote Körper („127 cuerpos“)
hindurch gewandert sind, dass an ihnen Spuren von Leichnamen kleben, macht
aus der leichten, im Luftzug leise schwingenden Schnur eine zentnerschwere
Barriere. Was diesen Fäden an Schicksal und Biographie anhaftet möchte wohl
niemand im Detail erfahren. Es reicht, zu wissen, dass die anonymen Toten
der Leichenschauhäuser oftmals eines gewaltsamen Todes gestorben sind, dass
es Drogentote sind und Leichen, deren Herkunft im Dunkel der düsteren
Vorstädte der Metropole Mexico City bleibt. Allein schon die groben und
mitunter erschreckend dicken Fäden, mit denen sie nach der Obduktion wieder
zugenäht wurden, erzählen von der gleichgültigen Behandlung, die diese
Menschen vermutlich nicht erst im Tod erfahren haben. Das während einer
Schönheitsoperation abgesaugte Fett der wohlhabenden Dicken Mexicos,
gepiercte Zungen und tote Babys sind das Material mit dem Teresa Margolles
auf die traurige Realität hinweisen möchte, die sonst kaum jemand sehen
mag.
Die heftigen Diskussionen um ihr Werk sieht die in Mexico-City lebende
Künstlerin indes gerade als einen wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit.
Solange sie ihre Arbeit aber im geschützten Raum der Galerie oder Museum
ausstellt, scheint es etwas einfacher zu sein als wenn sie diesen verlässt,
um etwa die Abschiedsworte von Suizidopfern auf der Anzeigentafel eines
geschlossenen Kinos zu präsentieren (“Recados póstumos“, „Hinterlassene
Nachrichten“, 2006), die letzten Worte eines unrettbar verzweifelten
Menschen der öffentlichen Anteilnahme und gleichzeitig wohl auch dem
öffentlichen Voyeurismus preiszugeben. Im Kontext der Institution Museum,
selbst wenn die „neutrale, unschuldige Aura“ der Räume „kontaminiert“ …
ist das Publikum normalerweise besser vorbereitet auf eine solche
Konfrontation. So scheint es letztlich konsequent, dass die Künstlerin auch
in Düsseldorf auf die Straße gehen möchte, um auf konkrete soziale
Mißstände oder Not hinzuweisen.
1990 hat Teresa Margolles zusammen mit einigen Freunden die Gruppe SEMEFO
gegründet, deren Namen eine Abkürzung von Servicio Médico Forense
(Gerichtsmedizinischer Dienst) ist. Das Leichenschauhaus war die bevorzugte
Wirkungsstätte der Undergroundmusik- und Performance-Gruppe. Viele der
Arbeiten – Performances, Objektplastiken, Installationen und Interventionen
im öffentlichen Raum – die Margolles seit 1993 mit der Gruppe oder auch
unabhängig von ihr realisiert, waren umstritten und oftmals heiß und
kontrovers diskutiert. Inzwischen arbeitet die Künstlerin vorwiegend
alleine und vermeidet die theatralischen Aktionen der Gruppe.
Eine nahe liegende und immer wieder an ihr Werk gestellte Frage lautet, ob
es tatsächlich nötig sei, auf diese drastische Weise den Schmerz der Opfer
und der Hinterbliebenen zu instrumentalisieren, um auf die Wirklichkeit
unserer mitleidlosen Gesellschaft hinzuweisen? Ob Schrecken und Leid
ästhetisch überhöht werden müssen, um der Tatsache des anonymen Todes zu
begegnen? Wahrscheinlich ja.
Bis 7. Januar 2007Infos: 0211-327023
10 Oct 2006
## AUTOREN
KATJA BEHRENS
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.