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# taz.de -- „Ein sehr persönliches Projekt“
> DEBÜT In „Dilim Dönmüyor – Meine Zunge dreht sich nicht“ porträtier…
> Berliner Filmemacherin Serpil Turhan ihre Familie. Ein Gespräch über
> Hochzeitsfotos, Schutzmechanismen und das Verschwinden des Kurdischen
INTERVIEW CAROLIN WEIDNER
Serpil Turhan kam durch die Schauspielerei zum Film. „Dilim Dönmüyor –
Meine Zunge dreht sich nicht“ heißt ihr erster langer Dokumentarfilm. Er
ist nicht nur Dokument einer sehr persönlichen Selbstverortung, sondern
gibt auch Zeugnis über diverse Assimilationsprozesse der letzten dreißig
Jahre – sowohl in Deutschland als auch innerhalb der Türkei. Ohne
historiopolitische Schaubilder entsteht auf Basis intimer Gespräche mit
Familienangehörigen ein vielmaschiges Netz deutsch-türkischer Geschichte.
Beeindruckend auch: die Landschaftsaufnahmen rund um Küçük Otlukbeli, das
Dorf, in dem Serpil Turhans Eltern 1973 heirateten.
„Dilim Dönmüyor – Meine Zunge dreht sich nicht“ ist bei „Achtung Berl…
sehen, im Rahmen des Wettbewerbs um den besten Dokumentarfilm (Näheres
unter [1][http://achtungberlin.de]). Derzeit arbeitet Serpil Turhan, die
1979 in Berlin zur Welt kam, an einem Film über den Filmemacher Rudolf
Thome, mit dem sie eine langjährige Kooperation und Freundschaft verbindet.
taz: Frau Turhan, „Meine Zunge dreht sich nicht“ ist Ihr Abschlussfilm an
der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Können Sie sich an eine
Initialzündung für den Film erinnern, gab es so etwas überhaupt?
Serpil Turhan: Nein, einen konkreten Moment gab es da sicherlich nicht.
Eher ist dem Film eine lange Phase vorausgegangen. Ein ursprünglicher
Gedanke konzentrierte sich zum Beispiel stark auf meine Mutter. Ich wollte
sie dabei begleiten, wie sie besuchsweise in ihr Heimatdorf im Osten der
Türkei zurückkehrt. Seit ihrer Emigration nach Deutschland war sie nicht
mehr dort, also seit mehreren Jahrzehnten. Sie sprach jedoch immer davon,
hinzufahren. „Nächstes Jahr, nächstes Jahr.“
Letztlich fahren Sie aber ohne sie.
Es ergab sich, dass meine Großeltern den Sommer im Dorf verbringen wollten.
Meine Mutter konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht mitkommen. Und so
beschloss ich, mich jetzt einfach allein auf den Weg zu machen.
So eröffnet der Film mit drei begrünten, baumlosen Hügeln.
Genau. Als ich mit meinen Großeltern dann zu drehen begann, war allerdings
noch nicht klar, ob ich diese Aufnahmen wirklich veröffentlichen möchte.
Das war schon ein sehr persönliches Projekt, ich wollte das für mich
machen. Um meine Herkunft besser zu verstehen, meine Familie. Auch die
Sprachen und vor allem ihr Verschwinden. Die Muttersprache meiner Familie
ist Kurdisch. Aber sie wird eigentlich nicht gesprochen.
Man beobachtet Ihre Großmutter dabei, wie sie sich mit ihrer Schwester hin
und wieder auf Kurdisch unterhält. Aber es ist eher wie eine Geheimsprache
zwischen den beiden Frauen. Sie können sie nicht verstehen, und gerade
daraus scheinen die beiden sich einen Spaß zu machen. Das sind schöne
Szenen.
Ja, sie haben nicht damit gerechnet, dass ich das später übersetzen würde.
Ich kann mich auch daran erinnern, dass meine Eltern sich im Urlaub
gelegentlich auf Kurdisch unterhielten – allerdings war das eher ein
Flüstern. Ich habe als Kind vieles nicht verstanden. Ob wir Türken sind,
Kurden. Es wurde auch immer wieder etwas anderes erzählt, je nach dem, wer
gefragt hat. Da entstehen natürlich Bruchstellen in der Identität.
Wann wurde Ihnen klar, dass die Aufnahmen aus der Türkei vielleicht doch
das Fundament eines Dokumentarfilms stellen könnten?
Als ich wieder in Berlin war. Ich wollte zunächst das gesamte Material
sichten, vor allem auch mit anderen darüber sprechen. Thomas Heise war
darunter, der den Film mitbetreut hat. Ich hatte Angst, dass gerade dieses
sprachliche Hin und Her verwirrend sein könnte. Aber es war gut. Es hat
sich gut angefühlt. Ein halbes Jahr später entstand der zweite Teil. Hier
spielen meine Eltern eine größere Rolle, ihr Leben in Alt-Mariendorf, ihr
Bezug zur Türkei.
Ihre Großeltern reisen dann auch nach Berlin. Beide Teile verbinden sich,
Themen diffundieren ganz natürlich. Es gibt einige Gespräche zum Thema
Heirat.
Weil so viele Ebenen existieren. Lange bevor ich in die Türkei gereist bin,
war ich fasziniert von diesem sonderbaren Hochzeitsfoto meiner Eltern. Es
ist mir sehr wichtig, möglicherweise auch, weil es überhaupt nur drei
Bilder von dieser Feier gibt. Es sieht märchenhaft und unwirklich aus. Und
es war für mich immer eine Spur, ein Zeichen aus dieser Vergangenheit. Mein
Vater steht auf dem Dach eines Hauses, während meine Mutter auf dem Rücken
eines Pferdes sitzt. Er soll ihr einen Apfel auf den Kopf werfen, das ist
der Brauch.
Sie hören die Geschichte mit dem Apfel zweimal. Erst von Ihrer Großmutter,
dann von Ihrer Mutter. Beide fragen Sie, ob das nicht weh getan hat. Beide
reagieren amüsiert.
Es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten: Beide kannten ihre zukünftigen Ehemänner
nicht. Meine Großmutter erzählt im ersten Teil auch davon, dass sie
eigentlich in einen anderen Jungen verliebt gewesen sei und der wiederum in
sie. Sie war erst dreizehn Jahre alt damals. Ich weiß nicht, ob diese
Geschichte vorher schon jemand kannte. Ich denke nicht. Aber es ist toll,
denn ich wollte ihnen den Raum geben zu erzählen. Deswegen sind diese
Dialoge auch so außergewöhnlich – sie fanden in dieser Form in unser
Familie nie statt.
Auch Sie kaufen ein Hochzeitskleid.
Ja, obwohl diese Episode, die man im Film nicht sieht, eher Bestandteil
eines Gespräches mit meiner Mutter ist. Mich hatte schon immer belastet,
dass wir streckenweise Kommunikationsschwierigkeiten haben, weil ihr
Türkisch nicht besonders gut ist. Kurdisch spreche ich wiederum nicht, und
sie sagt, sie hätte es ohnehin verlernt: „Meine Zunge dreht sich nicht
mehr.“
Und das Kleid?
Danach suchte ich während des Sommers bei meinen Großeltern, offenbar nicht
in fehlerfreiem Türkisch. Meine Mutter steckt mir, dass man über mich
gelacht habe. Als Replik auf meine Beschwerde ob unserer sprachlichen
Begrenztheit. Auf diese Weise wehrt sie sich ein bisschen.
Die Szenen mit Ihrer Mutter erscheinen mir außergewöhnlich.
Es sind schwierige Themen, die dort zur Sprache kommen. Meine Schwester ist
zeitweise aus ökonomischen Gründen bei meinen Großeltern aufgewachsen, in
der Türkei. Meine Mutter würde von sich aus nie darüber reden. Das sind
Dinge, die sind unheimlich schmerzlich. Nicht nur für unsere Familie. Dass
Eltern und Kinder getrennt voneinander leben, weil Eltern im Ausland
arbeiten, ist ein verbreitetes Phänomen. Mir fallen allein drei Familien in
Kreuzberg ein, in denen das so war. Auch Volker Koepp erzählt in seinem
Film „In Sarmatien“ davon. Natürlich beschränkt sich dieser Sachverhalt
nicht auf Deutschland und die Türkei.
Es fällt immer wieder der Begriff „Schicksal“.
Ja, vor allem bei meiner Mutter. Es hat mich lange wahnsinnig gemacht. Wenn
etwas nicht funktioniert, dann ist es „Schicksal“. Heute sehe ich das ein
wenig anders. Während der Arbeit an diesem Film sind Dinge passiert, bei
denen ich hinterher dachte: „Ja, das war jetzt Schicksal.“ Andererseits ist
mir klar, dass sich hinter dem Gebrauch dieses Wortes auch ein
Schutzmechanismus verbirgt. Meine Mutter hat viele Dinge erlebt, die nicht
einfach waren. Ich bin da also ein wenig weicher geworden. Trotzdem geht es
mir doch sehr um die Auseinandersetzung.
Ist Ihre Mutter seither in das Dorf gereist?
Ja, aus traurigem Anlass. Mein Großvater verstarb recht plötzlich, und die
Beerdigung fand dort statt. Er spricht im Film auch darüber, dass er im
Dorf begraben werden möchte. Das hätten wir sonst nicht erfahren.
10 Apr 2014
## LINKS
[1] http://achtungberlin.de
## AUTOREN
CAROLIN WEIDNER
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