# taz.de -- Zusagen einhalten! | |
VON DESMOND TUTU | |
Der nächste Gipfel der acht größten Industrienationen (G 8), den | |
Deutschland ausrichten wird, mag noch weit entfernt erscheinen. Doch schon | |
jetzt trifft die deutsche Regierung einige kritische Entscheidungen über | |
die Tagesordnung des Gipfels. Das deutsche Volk soll wissen, dass es aus | |
der Sicht der Menschen meines Heimatkontinents Afrika und vieler anderer | |
Weltregionen um sehr viel geht. Und wir blicken jetzt sorgenvoll auf | |
Deutschland, ob es eine mutige Führungsrolle beim Umgang mit Armut und der | |
von ihr erzeugten Instabilität einnimmt. Wir erinnern uns dankbar an die | |
Hilfe, die wir von Deutschen in unserem Kampf gegen Apartheid erhielten, | |
und das gleiche Ausmaß von Solidarität wird heute gegenüber der Armut | |
benötigt. | |
Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel beim | |
letzten G-8-Gipfel in Russland im Juli sagte, die globale Armut werde auf | |
der Tagesordnung des nächsten Gipfels stehen. Doch seitdem haben einige | |
Leute Druck ausgeübt, um die globale Armut von der Tagesordnung zu | |
streichen, zugunsten globaler Wirtschaftsfragen. Ich dränge Kanzlerin | |
Merkel zu Standfestigkeit, damit sie die globale Armut als vorrangiges | |
Thema des Gipfels festschreibt, zusammen mit einer ehrlichen Bilanz der | |
bisherigen Fortschritte. | |
Nach dem UN-Millenniumsgipfel 2000 schien es, als seien die Führer der Welt | |
entschlossen wie nie zuvor, spezifische Ziele im Zusammenhang mit Armut zu | |
setzen und zu erfüllen. Letztes Jahr, nach einem beispiellosen globalen | |
Appell, versprachen die G-8-Führer, die Hilfe für Entwicklungsländer bis | |
2010 um 48 Milliarden Dollar jährlich zu erhöhen. Zudem gaben sie ihr | |
Ehrenwort, dass sie das Bestmögliche tun würden, um für die vielen | |
Millionen Menschen, die weltweit von HIV/Aids bedroht sind, universellen | |
Zugang zu Prävention und Behandlung zu erreichen. Ich feierte diese | |
Nachricht, denn Hilfe kann, wenn sie gut eingesetzt wird, Leben retten und | |
die Grundlage für größere Selbstständigkeit schaffen. | |
Es gibt jetzt aber Gründe zu der Annahme, dass diese Versprechungen nicht | |
eingehalten werden, und es gibt einen wachsenden Zynismus gegenüber dem | |
G-8-Prozess an sich. Für mich ist das Anlass zu großer Sorge, denn die | |
globale Armut bedeutet einen Bruch in der Solidarität der menschlichen | |
Familie, und der kann nur auf der Basis von Vertrauen geheilt werden. Die | |
G-8-Länder können diesen Bruch in der globalen Solidarität heilen helfen, | |
aber nur, wenn sie den Entwicklungsländern treu bleiben. | |
Es ist zum Beispiel äußerst beunruhigend, dass fast ein Drittel der | |
EU-Hilfe – und fast die Hälfte der Hilfe Deutschlands – überhaupt nicht | |
wirklich neue Hilfe ist, sondern überwiegend Programme finanziert, die | |
korrekterweise nicht als Hilfe gebucht werden können. Wahre Hilfe bedeutet, | |
Ländern beim Aufbau starker öffentlicher Dienstleistungen für alle zu | |
helfen, als sichere Grundlage, auf der Millionen Menschen ein besseres | |
Leben aufbauen können. Allein für den Kampf gegen HIV/Aids stehen wir vor | |
einer Finanzlücke von zehn Milliarden US-Dollar. Also ist eine wirkliche | |
Erhöhung der Hilfe dringend nötig. | |
Natürlich mögen manche fragen: „Warum soll Deutschland vorangehen?“ Die | |
Antwort ist: Wem vieles gegeben ist, von dem wird viel verlangt. | |
Deutschland ist mit einer wachsenden Volkswirtschaft gesegnet und übernimmt | |
nächstes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Es ist nur recht, dass | |
Deutschland das Land sein soll, das Europa und die Welt um sich schart, um | |
die Armut zu beenden. | |
Daher sollte Deutschland bei der Umsetzung der Versprechungen von EU und G | |
8 Führung beweisen. Erstens sollte Deutschland dem globalen Fonds zum Kampf | |
gegen Aids, Tuberkulose und Malaria 210 Millionen Euro geben – zehn Prozent | |
der Summe, die der Fonds für 2007 benötigt. Der Fonds rettet jetzt | |
Millionen Menschenleben in über 130 Ländern, er verändert das Gesicht der | |
Armut dramatisch und hält zugleich seine Verwaltungskosten bei unter fünf | |
Prozent seiner Gesamtausgaben. Durch die Erhöhung seiner Zuwendungen wird | |
Deutschland notwendigen Druck auf andere Geberländer ausüben. Zweitens | |
sollte Deutschland als Ratspräsident der EU nächstes Jahr die Führung bei | |
Verhandlungen über klare Zeitpläne zur Erhöhung der wirklichen | |
Entwicklungshilfe bis 2010 übernehmen, damit das EU-Ziel von 0,51 Prozent | |
des Bruttonationaleinkommens erreicht werden kann. Das kann reale, | |
praktische Fortschritte erwirken, indem Kinder zur Schule gehen können, | |
Millionen Lehrer und Mitarbeiter des Gesundheitswesens eingestellt werden | |
können und Zugang zu sauberem Wasser gewährleistet wird. Die | |
Versprechungen, die den armen Ländern gemacht wurden, sind nicht nur Worte | |
auf Papier. Es geht um die Unterdrückten, Beleidigten und Ausgegrenzten, in | |
der Heiligen Schrift durch das Waisenkind, die Witwe und den Fremden | |
repräsentiert, die ihr Grundrecht auf ein Leben in Würde einklagen. Ich | |
hoffe und bete, dass die Kanzlerin einen Plan für den Gipfel entwirft, der | |
Deutschland die Chance gibt, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Welt | |
schaut zu und wartet. | |
Übersetzung: Dominic Johnson | |
17 Oct 2006 | |
## AUTOREN | |
DESMOND TUTU | |
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