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# taz.de -- Knipsen wird Kunst
> FOTOGRAFIE Das Braunschweiger Museum für Photographie feiert sein
> 30-jähriges Bestehen. Die Jubiläums-Ausstellung „Schöne Neue BRD?“
> präsentiert zehn Protagonisten der Autorenfotografie der 1980er-Jahre
VON BETTINA MARIA BROSOWSKY
Bis in die 1970er-Jahre galt sie in Deutschland, anders als etwa in den
USA, gar nicht als Kunst. Der Makel des funktionalen Gebrauchsmediums für
Zeitung oder Werbung haftete der Fotografie an, lange kämpfte sie mit ihrer
propagandistischen Vereinnahmung während der NS-Zeit. Auch die im „Dritten
Reich“ populäre Amateurfotografie setzte sich in den Nachkriegsjahren nicht
fort: Das Tröstende schien ihr zu fehlen, die moralische Instanz der
schönen Künste.
Geändert hat sich die Situation erst um 1980. Auf der 5. Documenta 1972 in
Kassel hielt die Fotografie noch bescheiden als Bildjournalismus oder Basis
für die fotorealistischen Monumentalgemälde eines Franz Gertsch Einzug. Der
Durchbruch gelang erst fünf Jahre später auf der 6. Documenta, im Kontext
von Film und einer Diskussion der gesellschaftlichen Relevanz von Medien.
Ein wichtiger Meilenstein war schließlich 1979 die Ausstellung „In
Deutschland“ im Rheinischen Landesmuseum Bonn, die zeitgenössische Formen
deutscher Dokumentarfotografie vertrat. Neben der bestimmenden subjektiven
Fotografie, wie sie Otto Steinert an der Folkwangschule Essen lehrte,
formierten sich gerade die enzyklopädischen Sichtungen der Düsseldorfer
Schule rund um Bernd und Hilla Becher. Serienweise hielt sie die anonyme
Bauskulptur untergehender Schwerindustrien im Schwange einer aufkommenden
Industriedenkmalpflege fest.
Für beide Richtungen bürgerte sich die Bezeichnung Autorenfotografie oder,
international, einer New German Photography ein. Auch hierzulande
etablierte sich die Fotografie als Kunstform, theoretisiert wurde sie in
den in Hochschulen, Museen und neu gegründeten Foto-Galerien
institutionalisierten Kulturwissenschaften. So lässt sich ein
fotohistorisches Symposion resümieren, mit dem das Braunschweiger Museum
für Photographie gerade auf sein 30-jähriges Bestehen zurückblickte.
Gegründet wurde die kleine Braunschweiger Foto-Institution am 2. Mai 1984
von einer Handvoll privater Initiatoren als klassischer Kunstverein.
Vorläufer war eine Galerie, die sich jedoch noch nicht auf Fotografie
konzentrieren konnte. Mit dem Titel Museum und einem Positionspapier eines
der Gründungsmitglieder, des Braunschweiger Bildjournalisten Hartmut Rosen,
hat das Haus von Anbeginn den Anspruch des Sammelns erhoben, wollte keine
Produzentengalerie sein, sondern die Fotografie als künstlerische Praxis
umfassend vertreten. Mittlerweile zählt der Verein gut 120 verlässliche
Mitglieder, verfügt über eigene Räume in zwei klassizistischen Torhäusern,
seit 1987 hat das Museum eine hauptberufliche Leitung und wird mittlerweile
von der Stadt Braunschweig zur Hälfte finanziert.
Und es hat tatsächlich eine kleine eigene Sammlung mit regionalem Bezug
zusammengetragen. Dazu zählen der Nachlass der Braunschweiger Fotopionierin
Käthe Buchler, des Bildjournalisten Hans Steffens, aber auch Ankäufe aus
der Sammlung Robert Lebeck zur frühen Fotografie oder Schenkungen des
Hannoveraners Heinrich Riebesehl.
Mit seiner Jubiläums-Ausstellung „Schöne Neue BRD?“ greift das Museum nun
die Autorenfotografie der 1980er-Jahre auf, zeigt zehn wichtige Positionen
rund um seine eigene Gründungszeit, von denen zwei schon in den ersten
Jahren des Hauses einmal zu sehen waren. Bildsprachlich fällt an den
gezeigten Arbeiten das Fehlen einer spektakulären Thematik auf, der
bewusste Verzicht auf alles Dramatische. Stattdessen entfalten sich
Erzählungen über Bildserien, das ästhetisch ausgereizte Einzelbild wird
zugunsten der Wiederholung meist äußerst banaler Lebenswirklichkeiten
aufgegeben.
Da ist beispielsweise das spießige bundesdeutsche Vereinsleben, dem
Hans-Martin Küsters nachging. Oder die urbane Tristesse in Neubaugebieten
des Berliner Weddings, die Uwe J. Haacks 1987 auch als fotografische
Systemkritik verstand. Der autodidaktische Fotograf Michael Schmidt
begründete 1976 die einflussreiche Werkstatt für Fotografie der VHS
Kreuzberg, porträtierte seine Protagonisten aus dem Wedding sowohl an ihrem
Arbeitsplatz als auch zu Hause, stellte die Kluft zwischen beruflicher
Rolle und privatem Biedersinn sehr feinfühlig, ohne den naheliegenden
entlarvenden Zynismus dar. Mit dieser bildnerischen Sensibilität war er
stilprägend für eine ganze fotografische Generation.
Der Hannoveraner Joachim Giesel wiederum griff zum Farbfotomaterial. Seine
Aufnahmen zeigten zerschnittene Ortschaften entlang der deutsch-deutschen
Grenze: aufgelassene Fährverbindungen, eine zerstörte Brücken über die
Elbe, bedrohliche Todesstreifen inmitten idyllischer Dörfer. Neben seiner
Serie hängen zwei Bilder Heinrich Riebesehls, auch er ein Verfechter der
langsamen Themen. Riebesehl ließ sich auf die melancholische Weite
agroindustrieller Monokulturen Niedersachsens ein. Provokanter kamen da
schon die Fotos aus Amüsierbetrieben im Rotlichtviertel St. Paulis daher.
André Gelpke hatte sowohl die verklemmte Sexualmoral der BRD im Auge als
auch die schmuddeligen Arbeitsbedingungen der Animierdamen und Stripper
beiderlei Geschlechts.
Damals eroberte das alltägliche Sujet, über die Fotografie, die Kunst. Das
war neuartig, arbeitete aber noch mit der Verlässlichkeit der
dokumentarischen Wahrhaftigkeit des Fotos. Heute sind wir auf ganz andere
Bildgewalten, inszenierte Welten und digital manipulierte Dramatiken
abonniert. Ob das der Fortschreibung des künstlerischen Mediums Fotografie
dienlich ist, bleibt abzuwarten.
■ „Schöne Neue BRD?“: bis 29. Juni, Museum für Photographie Braunschweig
3 May 2014
## AUTOREN
BETTINA MARIA BROSOWSKY
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