# taz.de -- ZWISCHEN DEN RILLEN: Die schwarze Seite der Gefühle | |
> Anna Calvi: „Anna Calvi“ (Domino) | |
Man könnte sie auch für Coverversionen halten, den Titeln nach. „Desire“ | |
heißen sie, „The Devil“, „Morning Light“ oder „Blackout“. Und zeig… | |
auch an, worum es hier geht auf diesem Debüt der jungen Engländerin namens | |
Anna Calvi: um die schwarze Seite der Emotion. Um die dunkle Macht der | |
Leidenschaft. Um den Glanz des Verruchten. Und so weiter – man kennt das | |
ja, diese andere Art Oberfläche, die von dieser anderen Art Ästhetik | |
bestimmt ist. Einer Ästhetik, die irgendwann in was Echtem gefußt hat, in | |
den psychischen Abgründen, aus denen Kunst kommt, in der Verzweiflung von | |
Künstlern und Künstlerinnen, in Zigarettenqualm, Jazz, Film Noir, und die | |
sich über die Bejahung von Schmutz und Ruine (Punk, Wave) über Gangstatum | |
und Heroinchic immer auch via ironischer Bearbeitung (Lynch, Tarantino) ins | |
Heute zurückübertragen hat. Also vom Echten ins Künstliche und gespiegelt | |
wieder zurück. | |
Für Anna Calvi hatte es tatsächlich mit einer Coverversion begonnen. Im | |
letzten Herbst erschien ihre Bearbeitung von „Jezebel“, einem Stück Musik, | |
das auch schon Edith Piaf interpretiert hatte. Und wie die wankelmütige, | |
stets labile Französin kann auch Anna Calvi mit Stimme auftrumpfen. Einer | |
sehr dunklen Stimme. Einer Stimme, die zu den Titeln ihrer Songs passt. Und | |
zu der sehr reduzierten Produktion ihrer Platte. Überhaupt zu dem schwarzen | |
Grundgefühl, das sich hier schnell einstellt. | |
„Jezebel“ fehlt auf der Platte, der CD, dem Downloadpaket, aber das macht | |
weiter nichts. Die eigenen zehn Stücke stehen keineswegs im Schatten. Anna | |
Calvi, deren Vorgeschichte ganz zeitgemäß eher langweilig ist und die | |
Verruchtheit ihrer Songs vermutlich eher aus der Fantasie und der | |
Imagination bezieht, anders als bei Piaf oder Nina Simone, die auch eine | |
Referenz ist, ist Anfang zwanzig und honigblond, trägt gern lasziv rote | |
Kleider, ebensolchen Lippenstift und ausladende Halsketten, hatte einen | |
musikverrückten Vater, der ihr die Weiten seiner Plattenschränke gezeigt | |
hat, und sonst eine nicht ganz glückliche Kindheit, wegen der ersten Jahre, | |
die sie im Krankenhaus verbringen musste. | |
Ansonsten setzt sie, wie gesagt, ganz auf ihre Stimme. Die sie lang | |
unterrichtet hat. Und auf die Musiker: dem zwischen Betonung und Dezenz | |
changierenden Schlagzeug von Daniel Maiden-Woos und Mally Harpaz, die für | |
den Rest sorgt. | |
Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass in den Referenzlisten auch der Name | |
Nick Cave auftaucht. Man kann auch andere handeln. Aber es ist so: Anna | |
Calvis Debüt ist eine weitere vermeintlich zeitlose Mischung von | |
bluesbewusster, abgründiger Musik, die sich wieder einmal bei einem | |
Rock-’n’-Roll-Zeitgeist einklinken kann. Einem Zeitgeist, der das Böse | |
sucht und in der Musik findet, die verrauchte Kneipen, roten Plüsch, | |
Intoxikationen und verletzte Seelen behauptet, seit nunmehr fünfzig, | |
sechzig Jahren. „The Devil“. „Desire“. PJ Harvey hatte diese Titel den | |
Namen nach auch schon im Programm. | |
Und natürlich funktioniert das, was da lang im Untergrund oder | |
irgendwelchen Übungskellern geprobt wurde. Die tiefe Stimme, der | |
dramatische Aufbau, die Steigerung, die Katharsis. Diese unglaublich tiefe | |
Stimme, die manchmal sogar an Siouxie Sioux erinnert und beispielsweise | |
deren Wiedergängerin Zola Jesus weit in den Schatten stellt – denn die | |
Musik von Anna Calvi mag zeitloser Kaputtblues sein, die x-te, ewige | |
Wiedergeburt des Cool, sie ist trotzdem mehr als eine Kopie, die lediglich | |
auf den Wechsel der Haarfarbe setzt. Manchmal nähert sich Calvi stimmlich | |
und stimmungsmäßig sogar einer Figur wie Jennifer Rush. Ohne den Fehler zu | |
machen, ihr Heil in Überproduktion und Pomp zu suchen. Im Gegenteil. Anna | |
Calvis Platte bietet Hymnen für künftige Soundtracks, dank Reduktion. | |
Manchmal sind es nur ein Schlagzeug, die Stimme und diese Twanggitarre. | |
Es ist schon erstaunlich. Dieses Debüt einer jungen Engländerin, die nicht | |
auf Plastikglamour setzt, nicht auf Verwandlung, Jugendkultur und Hipness, | |
sondern auf vermeintliche Zeitlosigkeit, schafft es, etwas durch und durch | |
Produziertes, Künstliches irgendwie echt klingen zu lassen und umgekehrt. | |
Vielleicht spielen diese Prinzipien aber auch gar keine Rolle mehr. Es sind | |
die Songs, die zählen, und die sind mehrheitlich gut, weil sie halten, was | |
sie versprechen. Darüber hinaus hat Anna Calvi einfach die Gunst der Stunde | |
auf ihrer Seite. RENÉ HAMANN | |
14 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
RENÉ HAMANN | |
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