# taz.de -- Das Autorennen | |
> ELEKTRIK Auf der einen Seite arbeiten Regierung, Autofirmen und | |
> Atomindustrie. Auf der anderen tüftelt Karl Nestmeier, Hersteller des | |
> elektrischen Dreirads City EL | |
AUS BALDERSHEIM UND WOLFSBURG JOHANNES GERNERT | |
Das Gute ist, dass Karl Nestmeiers Firma jetzt beschleunigt wie ein | |
Porsche. Wenn alles weiter so läuft, wird auch 2011 wieder ein noch viel | |
besseres Jahr werden als alle davor. | |
Das nicht ganz so Gute ist, dass das alles wohl nichts bringen wird, | |
weltrettungsmäßig. | |
Ein herrlicher Tag, wenig Verbrennungsmotoren auf den Landstraßen. Die | |
Sonne scheint auf spitze Kirchtürme, auf Fachwerkhäuser und auf Karl | |
Nestmeiers Fotovoltaikanlage in Baldersheim in Franken. Vor den Hallen | |
seiner Firma glänzen die bunten Elektro-Kleinstwagen, Einsitzer mit drei | |
Rädern. Sie sehen aus wie eine Mischung aus Liegerad und Mini-Ufo: City | |
ELs. Karl Nestmeier, 45 Jahre alt, Vollbart, sitzt an einem Bürotisch | |
voller Papierstapel, stößt geringe Mengen Zigarettenrauch aus und erklärt, | |
was das Thema ist, „der Punkt“, wie er gern sagt. | |
Der Punkt ist, dass Karl Nestmeier 3.500 City ELs auf deutsche Straßen | |
gebracht hat. Damit ist er der größte Elektrofahrzeughersteller | |
Deutschlands. Die Nuckelpinne liegt vorn. Seine Firma verkauft neuerdings | |
auch Tazzari Zeros, italienische Miniautos, und den indischen Kleinwagen | |
Reva. Die Firma wird auch dieses Jahr wachsen. Trotzdem sieht es nicht gut | |
aus für Nestmeiers Idee. Diese Vision von Millionen ultraleichten, | |
batteriebetriebenen Autos, die so wenig Abgase ausstoßen und so wenig | |
Energie verbrauchen, wie es angesichts der Klimawandels nötig wäre. | |
„Deutschland ist ein autoindustriegesteuertes Land“, sagt Nestmeier. Er | |
drückt seine Zigarette in einen schwarzen Ascher. | |
## Der Konzern tut, als hätte er die Zukunft im Griff | |
Wolfsburg, das Werksgelände von VW. An einem eisigen Wintermorgen parkt | |
mitten in der Autostadt ein perlweißer Wagen, der aussieht wie ein | |
gewöhnlicher Golf. Nur der Auspuff fehlt. Und vorne, unter den silbernen | |
VW-Buchstaben, hat er eine Ladedose. Eike Feldhusen hat sich vor dem Golf | |
postiert. Er steht fast da wie ein Prediger, in Anzug und Trenchcoat – die | |
Hände vor dem Oberkörper, als halte er eine Botschaft im Arm. | |
Feldhusen ist technischer Projektleiter bei VW. Er will Journalisten aus | |
den USA, aus Großbritannien, Dänemark und Schweden zeigen, wie die | |
elektronische Zukunft aussieht. Er nimmt ein aralblaues Kabel und steckt es | |
vorn in den Golf namens BlueMotion. Da, wo sonst die Abgasanlage sitzt, | |
sagt er, seien die Batterien. Die Batterieladung ist der Treibstoff des | |
E-Golfs. | |
Der E-Golf, verkündet der Projektleiter, habe gerade in Großbritannien beim | |
Future Car Challenge gewonnen, als umweltfreundlichstes Auto. Feldhusen | |
nimmt die Fäuste hoch und ballt sie ganz kurz. Es sieht nach echter Freude | |
aus, aber auch ein bisschen unbeholfen. | |
Bis 2018 will VW der größte Autokonzern der Welt werden. Zum Imperium | |
gehören nicht nur die Marken Audi, Seat oder Skoda, sondern auch Bentley, | |
Lamborghini und Porsche. Der Konzern besitzt Fabriken auf vier Kontinenten, | |
er baut Familienkutschen, Geländekisten, Sportblitze. Allein der Golf hat | |
sich 2010 in Deutschland mehr als 250.000-mal verkauft. Karl Nestmeier hat | |
im selben Zeitraum kaum 100 City Els ausgeliefert. | |
In Wolfsburg klappt Eike Feldhusen die Motorhaube des E-Golfs auf. Kabel, | |
viele Kästen, alles sieht ölfrei und gepflegt aus wie eine Stereoanlage im | |
Wohnzimmer. Feldhusen muss hier zeigen, dass Volkswagen prinzipiell dazu | |
fähig ist, Nestmeier zu überholen. Denn die kleine fränkische Firma hat | |
einen Entwicklungsvorsprung vor dem Weltkonzern aus Wolfsburg. | |
„Ein umgebauter Golf ist physikalischer und ökologischer Blödsinn“, sagt | |
Nestmeier. Sonnenstrahlen fallen auf die Pressspanplatten, die Wände seines | |
Büros. Niedrigenergiestandard. | |
Der Punkt sei doch der: Die Konzerne behaupten, sie würden an | |
umweltfreundlichen Wagen arbeiten. Versuchen zufolge verbrauchen aber schon | |
Elektrowagen wie der smart e-drive mehr als 20 Kilowattstunden Strom auf | |
einen Kilometer. Diesen Strom herzustellen, kostet etwa so viel | |
Kohlendioxid wie ein Verbrennungsmotor auf derselben Strecke verbraucht: | |
100 Gramm CO2. Das ist nicht so sensationell. Karl Nestmeiers City ELs | |
brauchen vier bis fünf Kilowattstunden Strom. 25 Gramm Kohlendioxid. Viel | |
weniger. | |
In Wolfsburg öffnet Feldhusen den Kofferraum des E-Golfs, vollgepackt mit | |
Batterien. Die Journalisten tragen Funktionsjacken und professionelle | |
Begutachtungsmienen. Als einer fragt, was passiert, wenn man vorne in die | |
Ladedose pinkelt, antwortet ein Ingenieur, so was mache man nur einmal. | |
Stromschlag. Ende. „Da passiert natürlich nix“, muss er sich später | |
korrigieren. Alles abgesichert. Sie müssen sich noch vortasten in die neue | |
Welt, die Techniker von VW. | |
Erst 2013 soll der E-Golf auf den Markt kommen. Schon 2011 könnte ein | |
entscheidendes Jahr für das Elektroauto werden. Bisher gibt es vor allem | |
den E-Mini und den E-Smart, alles in Modellprojekten. Doch nun beginnen die | |
ersten Mitsubishi-Händler, den iMiev in ihre Hallen zu stellen. Dazu kommt | |
der Leaf von Nissan. Von VW reisen fünf E-Golfs um die Welt, in Wolfsburg | |
sagen sie „E-Gölfe“. Einen nimmt der Konzernchef Martin Winterkorn zu | |
Vorträgen mit, zu Autoshows, und PR-Wettrennen. | |
Karl Nestmeier hält dagegen. Mit Präsentationsecken, die ihm einige | |
Autohäuser einrichten. | |
Der E-Golf und der City EL, es sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze. | |
Die Grundidee des City EL ist, dass sich die Autowelt ändern muss, damit | |
sie der Umwelt weniger schadet. Die Grundidee des Golf ist, dass alles so | |
bleiben soll wie bisher – nur künftig elektrisch und damit auch irgendwie | |
umweltfreundlich. | |
„Es kann doch nicht das Ziel sein, Spritverschwendung durch | |
Stromverschwendung zu ersetzen“, sagt Karl Nestmeier, ganz sachlich. Er | |
regt sich nicht mehr auf. Das kurzärmelige Hemd ist papahaft verknittert. | |
Sein Fuß wippt. Der Stress, vielleicht die Zigaretten, haben das Gesicht | |
etwas rötlicher gemacht. Oft setzt er sich schon morgens um vier an den | |
Schreibtisch, in Jogginghosen. | |
Die größte Schwierigkeit bei der Entwicklung von Elektroautos sind die | |
Batterien. Sie halten zurzeit selten viel länger als 100 Kilometer und vor | |
allem sind sie extrem teuer. Je mehr ein Auto wiegt, desto mehr Masse | |
müssen die Batterien bewegen, desto klobiger und massiver werden die | |
Energiespeicher. | |
Man muss die Wagen leicht machen, um die Batterien klein zu halten, dann | |
kosten sie weniger. Ein gewöhnlicher Golf wiegt gut 1.000 Kilo, ein E-Golf | |
schon 1.545 Kilogramm. Ein City EL wiegt 230 Kilo. Mit Batterien. Er ist zu | |
leicht für die Pkw-Statistik. | |
Doch Deutschland hat über Jahrzehnte große Limousinen in die Welt verkauft. | |
Mercedes, BMW. Sicherheit, Verdrängung, Wohlstand. Luxus. Mit der Größe der | |
Autos wächst nicht nur der Batteriebedarf, es wachsen auch die | |
Gewinnspannen. Image kostet extra. Der E-Golf ist gewichtsmäßig die Grenze, | |
an die die Autokonzerne gehen können. Sie wollen keine kleineren Wagen. Sie | |
haben mehr zu verlieren als Nestmeier je gewinnen kann. | |
Die Politik macht Druck. Das Ziel der Bundesregierung lautet, dass 2020 | |
eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. | |
Im Jahr 2010 waren nur 1.588 Elektroautos angemeldet, der City EL nicht | |
mitgerechnet. Es könnte ein Rennen werden zwischen der Strategie des | |
Weltkonzerns VW und der Vision des Tüftlers Karl Nestmeier aus Baldersheim. | |
Aber hat der Herausforderer wirklich eine Chance? | |
## Verbrennungsmotor? Der stinkt und ist gefährlich | |
Während die Autojournalisten in der Wolfsburger Konferenz-Lounge versuchen, | |
die richtigen Pulversäckchen in die Espressomaschine zu fummeln, läuft sich | |
ein zweiter VW-Techniker warm. Christoph Kielmann drückt den Rücken gerade. | |
Er will die Geschichte von der sauberen Welt erzählen. Darin fahren seit | |
vierzig Jahren alle Menschen E-Fahrzeuge. Nichts stinkt, keine Ölflecken, | |
abends den Stecker in die Garagensteckdose, morgens losfahren. „Und dann“, | |
sagt Christoph Kielmann, „kommt jemand und erfindet den Verbrennungsmotor.“ | |
Er lächelt sanft. „Das stinkt, das ist gefährlich. Da muss man | |
hochexplosives Benzin mit Lastern durch die Gegend fahren. Wer ist denn so | |
verrückt und kauft so ein Auto?“ | |
Kielmann ist seit Mitte der Neunziger bei VW. Er entwickelt den E-Golf mit. | |
Seine Uhr ist rund und schwer, sein Anzug eng. Er könnte ein Werber sein, | |
aus einer US-Serie. Den E-Golf begleitet er ab und an durch die Welt. „Wir | |
wollen erst mal einen Golf darstellen, um Elektromobilität erlebbar zu | |
machen“, sagt er. Der verlässliche Golf als konkreter Elektrotraum. Als das | |
Vehikel in einer Welt, in der Fahrzeuge nicht riechen und eher summen als | |
röhren. Einer Welt, in der Autos nicht mehr schaden. Es ist eine Welt, die | |
etwa so erreichbar ist wie ein Zwölfzylinder für einen Hartz-IV-Empfänger. | |
Der ehemalige Chef des Umweltbundesamts, Axel Friedrich, hat in mehreren | |
Studien vorgerechnet, warum die E-Auto-Offensive in seinen Augen Unfug ist. | |
Abgesehen davon, dass eine Million Elektroautos nur einen Bruchteil der bis | |
2020 erwarteten 50 bis 60 Millionen Fahrzeuge ausmachten, würden die | |
Blechkolonnen in den Städten durch Elektroautos nicht kleiner. Vor allem | |
aber seien es keine Null-Emissions-Autos, sondern | |
„Anderswo-Emissions-Autos“. Das Kohlendioxid entsteht dort, wo der Strom | |
hergestellt wird. Solange das keine regenerative Energie ist, sieht die | |
CO2-Bilanz der Elektroautos teils sogar schlechter aus als bei | |
Verbrennungsmotoren. Beim derzeitigen deutschen Strommix, stellt selbst die | |
Bundesregierung fest, ist der CO2-Ausstoß von E-Wagen kaum niedriger als | |
bei modernen Dieselfahrzeugen. Wo aber soll all die erneuerbare Energie | |
herkommen, in einem Land mit einer Atomkraftregierung? | |
Karl Nestmeier ist gegen Atomkraft, gar nicht so sehr gegen | |
Verbrennungsmotoren. Er hat selbst einen VW-Bus. Das geht mit fünf Kindern | |
nicht anders in Baldersheim, wo die Busse zur Hauptverkehrszeit nur alle | |
drei Stunden fahren. Nestmeier besaß schon in den Siebzigern einen Bus, als | |
Gymnasiast. Da sind sie auf Festivals gefahren. Er hat das | |
Elektrotechnik-Studium abgebrochen, um den Elektroladen der Eltern zu | |
übernehmen und Fotovoltaik-Anlagen zu verkaufen, Solarthermie. Er engagiert | |
sich in der Kirche, liest im Gottesdienst. Thema Schöpfungserhalt. Die | |
Leute lästerten, als er mit den Solaranlagen anfing. Dann kam das | |
Erneuerbare-Energien-Gesetz. Als er 1994 die Idee des City EL aus Dänemark | |
importierte, haben sie ihn belächelt. Das war lange vor der | |
Elektrooffensive der Regierung. | |
## Im Dreirad mit 60 km/h Spitzengeschwindigkeit | |
Karl Nestmeier ist ein christlich-ökologischer Rationalist. Er mag es, wenn | |
etwas Sinn ergibt. | |
Es geht in Autodingen aber nicht nur rational zu, in einem Land, in dem | |
selbst Gerd Lottsiepen, der Fahrzeugexperte des ökologischen Verkehrsclubs | |
Deutschland, über den City EL sagt: „Unter einem Auto versteht man ja | |
gemeinhin doch etwas anderes.“ Auch Lottsiepen wünscht sich, dass „solche | |
Fahrzeuge einen viel größeren Raum haben in unserer Verkehrswelt“. | |
Gleichzeitig muss er feststellen: „Viele Leute haben Angst, sich in so ein | |
Auto zu setzen – wenn sie umgeben sind von Panzern.“ | |
Man braucht etwas Gelassenheit, um sich in diesem Autoland nicht als | |
Verkehrshindernis zu fühlen, wenn man mit 60 Stundenkilometern | |
Höchstgeschwindigkeit auf den drei Rädern des City EL über die Bundesstraße | |
braust. In einem Land, in dem Jugendliche mit tiefergelegten GTIs | |
abendelang übers Dorfpflaster röhren. | |
Es bräuchte kleine, leichte Fahrzeuge, sagt Karl Nestmeier. Damit die | |
Ressourcen dieser Erde wirklich geschont werden. Es bräuchte einen | |
Strukturwandel. | |
Der Verkehrsminister, der einen solchen Wandel finanziell fördern könnte, | |
er fährt im E-Golf vor. Und die Kanzlerin begutachtet das Modell am Rande | |
des CDU-Parteitags. Das sind Zeichen: Die Regierung will, dass alles bleibt | |
wie bisher. VW, BMW und Mercedes sollen große Wagen bauen. RWE, Vattenfall | |
und Eon sollen den Strom liefern, den diese Autos brauchen. Es müssen | |
Starkstromzapfsäulen her. Deshalb sind die Energiekonzerne an den | |
Elektromodellprojekten beteiligt, die die Elektrooffensive fördert. Ein | |
gutes Geschäft. | |
Karl Nestmeier muss sich selbst fördern. Einige Fahrer hätten ihre alten | |
Autos 2009 gern gegen einen City EL getauscht, obwohl er als Einsitzer mit | |
10.000 Euro ziemlich teuer ist. Nestmeiers Fahrzeuge wurden aber mit der | |
Umweltprämie nicht finanziert. Zu klein. Zu leicht. Als der damalige | |
Umweltminister Sigmar Gabriel den Betrieb auf dem fränkischen Hügel besucht | |
hat, sei dem die Kinnlade einen halben Meter runtergeklappt, sagt | |
Nestmeier. | |
Die Firma wächst dennoch. Nestmeier läuft durch die hellen Büroräume, zur | |
Landkarte mit den Fähnchen. Überall in Deutschland will er in die | |
Autohäuser. Er hat dafür die Smiles AG gegründet, mit einem grinsenden | |
Gesicht als Logo. Es haben sich hunderte Bewerber gemeldet. Man muss | |
aufklären, sagt er, dann verkauft man auch: „Die Leute müssen einen | |
Aha-Effekt im Kopf kriegen.“ Es ist nur nicht so klar, welche Art von Aha | |
den Leuten zu vermitteln ist. | |
Der Autoclub ADAC hat seine Mitglieder gefragt, was sie von Elektroautos | |
halten. 90 Prozent finden sie gut. Aber 40 Prozent würden dafür nicht mehr | |
Geld ausgeben. Rational betrachtet ist Nestmeiers City EL ideal. Er ist | |
gemacht für eine Person, die nicht allzu weit fährt. Im Schnitt sitzen in | |
Deutschland 1,3 Menschen in einem Auto. Gut 45 Prozent aller Berufspendler | |
legen dem Statistischen Bundesamt zufolge Strecken von weniger als zehn | |
Kilometern zurück. Trotzdem, schreibt der Umweltexperte Axel Friedrich in | |
einem seiner Reports, wollen Großstadtsingles meist lieber einen Fünfsitzer | |
– falls sie doch mal einen Ausflug machen oder zu Ikea fahren. Und dann ist | |
da die Angst, liegenzubleiben, gerade im Winter. Man kann in so einem Fall | |
keinen Stromkanister holen. | |
Es könnte sein, dass Karl Nestmeiers größter Gegner gar nicht die Industrie | |
ist und nicht die Politik, sondern der Kunde und seine Träume, seine | |
Sorgen. | |
Im Restaurant des Wolfsburger Ritz-Carlton klappert am Mittag leise das | |
Besteck auf den Tellern mit der Maispoulardenbrust. Ingenieure in Anzügen | |
reden über eine Autowelt, die noch nicht ihre ist. Gut, sagt einer, bisher | |
habe man die Elektroentwicklung eher auf Sparflamme gehalten. Aber nun gehe | |
es los. | |
Als sie studiert haben, gehörten zu einem Wagen Zylinder, Zündkerzen, | |
Abgasanlagen. Sie sind unsicher. Lädt man in zwei, drei Stunden per | |
Starkstrom oder in sieben, acht mit normalem? Wo sollen die Ladedosen hin? | |
An den Motor? Ist da nicht die Schmutzzone, der Dreck? | |
Der E-Golf fährt mit einer einzigen Aufladung nur bis zu 150 Kilometer weit | |
und bis zu 135 Kilometer pro Stunde schnell. Wenn in Deutschland einer | |
Tempo 130 auf Autobahnen fordert, reagieren viele, als hätte er die | |
Einführung der Todesstrafe verlangt. Kauft da jemand einen Golf, der gerade | |
mal 135 fährt? Bei VW haben sie keine Ahnung, ob das klappt. Nach außen | |
sagen die PR-Leute nicht, wie viele genau am E-Golf arbeiten. | |
Sie müssen jedenfalls so tun, als setzen sie viel aufs Elektroauto, sonst | |
können sie von der Politik keine Entwicklungsmillionen fordern, keine | |
Kaufprämie für E-Autos, wie es sie etwa in Frankreich gibt. Die | |
Autoindustrie, die sich jahrzehntelang jede Einmischung der Politik | |
verbeten hat, als es um die Senkung von CO2-Werten ging, plötzlich fordert | |
sie diese Einmischung – finanziell. | |
Noch vor dem E-Golf soll der Opel Ampera auf den Markt kommen, ein | |
Kleinwagen für 42.900 Euro. Es müsste ein kleines Batteriewunder geschehen, | |
wenn der E-Golf viel billiger werden soll. Mittlerweile gibt es | |
Überlegungen, E-Autos nicht zu verkaufen, sondern zu verleasen. Weil so | |
teure Wagen sonst keiner kauft. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle von der | |
FDP ist gegen eine Kaufprämie. Doch selbst wenn sie käme: Mit einem | |
Zuschuss von 5.000 Euro wäre ein Opel Ampera dreimal so teuer wie ein | |
ähnlicher Verbrenner. | |
Wahrscheinlich ist der Kunde ein Gegner, den VW und Nestmeier gemeinsam | |
haben. | |
## Der E-Golf bleibt liegen, der City EL scheppert | |
„Es muss funktionieren“, sagt Christoph Kielmann nach einem | |
Mandel-Amarettini-Eis mit getrockneten Moosbeeren, hinter sich weite | |
Fenster und rote Fabriktürme. „Es muss immer funktionieren.“ Das ist ihr | |
Anspruch. Am Vormittag sind sie mit den Journalisten im E-Golf durch | |
Wolfsburg gefahren. Sie haben die verschiedenen Beschleunigungsstufen | |
probiert, die Anzeige mit der blau leuchtenden Golfsilhouette begutachtet, | |
vorne, neben dem Lenkrad. Durch den virtuellen Golf flossen Energieströme, | |
und wenn man bremste, lud er sich auf, die Ströme wurden grün. Die Reifen | |
brummten über den Asphalt, gedämpft und dumpf. Stiller als Nestmeiers City | |
EL, der ein wenig scheppert. Seine Fahrerzelle ist nicht besonders | |
isoliert, die Bremsen sind nicht verstärkt. Man muss die Beine ein wenig | |
anstrengen, um das fränkische Dreirad anzuhalten. | |
Aber dann ist beim Testfahren ein E-Golf einfach liegen geblieben. Wieso? | |
Sie wissen es nicht. Es sei noch „sehr viel Handarbeit“, sagen sie. Es ist | |
ein Golf, den sie aus der normalen Produktionsstraße geholt haben, bevor | |
der Motorblock, bevor die Abgasanlage eingebaut worden waren. Sie werden | |
noch etwas brauchen, damit es funktioniert. | |
Der City EL läuft. | |
„Ach, die Kiste!“, ruft einer der VW-Ingenieure. Habe er nie als Auto | |
betrachtet. Sei doch beim leichtesten Aufprall Schrott. | |
Schrott? Karl Nestmeiers Füße federn in die Halle hinein. Er packt einen | |
Hammer, greift einen Brocken aus Kunststoff, knallt ihn auf den Boden und | |
drischt darauf ein. Sein Gesicht färbt sich rot. Das Eisen klopft auf den | |
Brocken, tockt, viel zu hell, fast wie ein Tischtennisball auf der Platte. | |
Nestmeier hält inne. Keine Delle im Kunststoff. „Polyurethan“, sagt er. | |
Ganz leicht der Stoff, trotzdem kaum kaputtzukriegen. Daraus sind die | |
Fahrerkabinen des City EL gemacht. | |
Noch so ein Thema, Nestmeier erzählt jetzt, energisch: Ein | |
Mercedes-Sprinter überfährt ein Stoppschild und „jubelt“ einem City EL vo… | |
in die Seite, die es dabei richtig „schrotet“, wobei die Wanne | |
„aufspreißelt“. Dem Fahrer sei nichts passiert. Das hat mit der | |
Massenträgheit zu tun und damit, dass der City EL leicht weggeschoben | |
werden kann. Im Gegensatz zu einem 1,5-Tonnen schweren E-Golf, der eher | |
stehen bleibt und zerquetscht wird. | |
Trotzdem: Der Golf ist das meistverkaufte Auto in Deutschland. Und auch | |
wenn Nestmeier seine Umsätze weiter verdoppelt und verdreifacht: Spätestens | |
im Jahr 2014 dürfte der E-Golf den City EL überholen, zahlenmäßig. | |
Ganz sicher ist es nicht. | |
Nestmeier steigt in einen Tazzari Zero, einen ultraleichten italienischen | |
Sporthüpfer, den er auch verkauft, sparsam und „piepeinfach zu fahren“. Er | |
drückt erst auf den grünen Knopf, Öko-Modus, dann schaltet er auf Rot, | |
Boostbetrieb, und schießt in den Ort hinein. Der Tazzari pfeift wie ein | |
Formel-1-Wagen. Mitten auf dem Dorfplatz von Baldersheim zieht Nestmeier | |
die Handbremse. Der Tazzari schleudert um 180 Grad herum. Karl Nestmeier | |
triumphiert: „Ja, ein Elektroauto ist keine Nuckelpinne!“ | |
In diesem Moment ist er ein Mann, der einmal ein Teenager war, der in einem | |
Autoland aufwächst. Dort, wo Halbstarke hinter getönten Windschutzscheiben | |
sinnlos Benzin verbrennen. Weil es Spaß macht. Und Lärm. Und stolz. | |
■ Johannes Gernert, 30, sonntaz-Redakteur, fährt ein Diamant-Rad | |
15 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
JOHANNES GERNERT | |
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