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# taz.de -- Die zwei Kämpfe des Karl Ove Knausgard
> LITERATUR Nach „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“ nun „Leben“ –…
> Mühen, seiner Existenz Sinn und Bedeutung zu verleihen
VON DIRK KNIPPHALS
Der Ruhm des Schriftstellers Karl Ove Knausgard hat sich in Deutschland
allmählich aufgebaut. Als 2011 der erste Band „Sterben“ seines
sechsteiligen Romanprojekts auf Deutsch erschien, war das noch ein
Geheimtipp. Beim zweiten Band „Lieben“ fanden sich schon Fans, die sich
bewundernde US-amerikanische Kritiken zuschickten, etwa vom Starkritiker
James Wood im New Yorker, der Knausgard gleich mit Walter Benjamin
analysierte. Beim dritten Band „Spielen“ kamen auch jubelnde deutsche
Kritiken, mehr aber noch Interviews und Porträts. Die Bezeichnung
„Kultautor“ fiel. Hoffentlich wird Knausgard sie wieder los. Sie
verniedlicht ihn.
Nun, beim vierten Band „Leben“, sieht es verdammt danach aus, dass mit ihm
der Durchbruch erfolgen wird. Und die Frage, die sich jetzt stellt, ist,
wie man diesen Autor einordnet. Ist Karl Ove Knausgard nun ein
interessanter, aber irgendwo auch durchgeknallter literarischer
Außenseiter, der sich in diesen sechs autobiografischen Bänden bis auf die
nackte Haut entblößt und damit zu Authentizitätsschauder und Identifikation
einlädt? Oder ist er ein Autor, den man ins Zentrum der Debatten holen
muss, weil er die Kraft und die Dringlichkeit besitzt, den Blick auf
Literatur insgesamt zu ändern? Für Letzteres spricht in Band vier erst
einmal wenig.
„Leben“ beginnt beinahe klassisch. Ein junger Mann, eben Karl Ove Knausgard
als 18-Jähriger, tritt nach dem Abitur viel zu jung seine erste Stelle als
Aushilfslehrer in der Provinz an. Das Buch setzt mit einer Busfahrt ein.
Dann eine Tunneldurchfahrt. Und auf der anderen Seite des Tunnels liegen
sie dann vor ihm: das neue eigene Leben und die überwältigende Landschaft
Nordnorwegens mit ihren Fjorden und Bergen. Ja, so beginnen
Coming-of-Age-Romane. Aber es wirkt auch konventionell.
Wer sich ohne Kenntnis der ersten drei Bücher gleich an diesen vierten Band
setzt, wird sich wundern. Woher all die Aufregung? Zu Beginn legt Knausgard
kurz nahe, dass man sich hier als Leser mit den eingeführten Mustern eines
Entwicklungsromans sicher und aufgehoben fühlen kann. Was dann aber folgt,
ist etwas anderes. Partys folgen, Alkoholblackouts, sexuelle Begegnungen,
die allesamt im Desaster enden, weil der Ich-Erzähler zum vorzeitigen
Samenerguss neigt, Unterrichtsstunden, Familiengeschehnisse. Das alles in
vielfältigen Variationen. Zwischendurch liest der Protagonist viel;
manchmal schreibt er auch. Das war’s im Wesentlichen. Die Irrungen und
Wirrungen eines Spätpubertierenden, keine „bedeutenden“ Szenen, nirgends.
Ein Jahr in Nordnorwegen schildert der Band, in einem Rückblick wird die
Abiturzeit nachgereicht (noch mehr Partys, Blackouts, sexuelle Desaster).
Und im Wesentlichen bleibt dieser Lebensabschnitt Episode, er rundet sich
nicht dramaturgisch zum Entwicklungsschritt oder, wie in den
Anti-Entwicklungsromanen, zur Negierung der Möglichkeit von Entwicklung
überhaupt. Nur dass – in seiner Gesamtdramaturgie, soweit man sie schon
überblicken kann, sind die sechs Bände ein großer Künstlerroman oder auch
Künstlerverweigerungsroman, das muss sich noch zeigen – die ersten
Schreibschritte stattfinden. Kurzgeschichten à la Hemingway.
Plattenkritiken über Tuxedomoon und Wall of Voodoo, mit Ausflügen zu Prince
und Talk Talk (es sind die achtziger Jahre). Ist ja klar, denkt man sich
als Knausgard-eingeführter Leser, dass Karl Ove früher Indie war.
Wer die ersten drei Bände kennt, ist auf diesen vierten sowieso gut
vorbereitet. Karl Ove Knausgard hat noch einmal die Tonlage geändert, aber
innerhalb vorgefertigter Bahnen. In den ersten Bänden möchte man als Leser
unbedingt einem seiner Freunde zustimmen, der zu ihm sinngemäß sagt: Du
kannst noch einen Toilettengang auf 20 Seiten schildern. Das Putzen des
Hauses nach dem Tod des Vaters im ersten Band, das sich über 200 Seiten
hinzog, der Kindergeburtstag im zweiten Band über 100 Seiten – akribisch
wurde da jedes Detail verzeichnet.
In diesem vierten Band dagegen werden die Szenen wie am Fließband
abgehandelt. Aber das geschieht nicht überraschend. Dass die Handvoll
Szenen, die man in seinem Gedächtnis als bahnbrechend und bedeutsam
aufbewahrt, tatsächlich „in einem Meer anderer Geschehnisse schwammen“, hat
sich der Ich-Erzähler im zweiten Band klargemacht. In Band vier konstruiert
er nun dieses Meer der Ereignisse. Das Auf und Ab des spätjugendlichen
Selbstbewusstseins zwischen Größenwahn und Rotwerden. Der mittlere Seegang
zwischen Suff, Überschreitung und schlechtem Gewissen.
Außerdem bietet der Band das Zwischenstück zwischen dem strengen Vater der
Kinderzeit und dem sich zu Tode saufenden Vater der späteren Jahre: In
„Leben“ wird der Vater Alkoholiker. Zugleich erfährt man viel über die
emotional ambivalente Rolle der Großmutter, die im zweiten Teil von
„Sterben“ so eine eindrückliche Rolle spielte. Man fügt als eingeführter
Knausgard-Leser aus dem Steinbruch des vierten Bands also neue Puzzleteile
in den Gesamtentwurf des keineswegs chronologisch erzählten Projekts ein.
„Min Kamp“ lautet im norwegischen Original der Obertitel dieses
Romanprojekts, „Mein Kampf“, was der deutsche Verlag lieber wegließ. Aber
man hat ihm beim Lesen bald ständig im Hinterkopf, wobei es sich aber
eigentlich um zwei unterschiedliche Kämpfe handelt.
Zunächst gibt es den Kampf der Zentralfigur Karl Ove Knausgard, seinem
Leben Sinn und Bedeutung zu geben. „Das Leben, das ich führte, war folglich
nicht mein eigenes. Ich versuchte, es zu meinem zu machen, das war der
Kampf, den ich ausfocht“, heißt es in einer dieser schönen, direkten
essayistischen Einschübe der ersten beiden Bände (die im vierten fast ganz
fehlen). Das bezieht sich zwar im direkten Zusammenhang auf die
strampeligen Versuche Karl Oves, im Alltagsstress von beruflichen Sorgen
und Kinderbetreuung nicht den Kopf zu verlieren. Aber man kann es
verallgemeinern. „Dass die Subjekte immer mehr die Macht und auch die
Pflicht haben, ihrem Leben Sinn zu verleihen“, lautet eine der Kernthesen
des Soziologen Jean-Claude Kaufmann. Bei Knausgard kann man dezidiert
nachverfolgen, wie viel Mühe und Reflexionsanstrengung diese Mischung aus
Macht und Pflicht kostet.
Das macht das hohe Identifikationspotenzial aus. Gerade indem er so tief in
die Individualität einsteigt, hat Knausgard eben keineswegs so etwas wie
einen Generationsroman geschrieben. Nicht jeder trinkt so viel wie Karl
Ove. Aber den Kampf führt jeder. Karl Ove, so speziell er sich gibt, das
ist der bis in die letzte Zuckung hinein ausgeleuchtete Held der heutigen
Angestellten- und Beziehungswelt. Im vierten Band wird er als verwirrter
junger Mann porträtiert.
Der zweite Kampf ist der des Erzählers Karl Ove Knausgard mit den
literarischen Formen. „Schreiben heißt, das Existierende aus den Schatten
dessen zu ziehen, was wir wissen“, lautet die inzwischen vielzitierte
Formulierung aus „Sterben“. Eingeschlossen ist dabei, das Existierende aus
dem Schatten der tradierten literarischen Formen zu ziehen, auch sie
gehören zu dem, was wir wissen. Indem er sich so sehr in sein eigenes Leben
hineinwühlt, möchte Karl Ove Knausgard gerade auch der Literatur entkommen
– mit dem paradoxen Ergebnis, dass dabei wieder Literatur entsteht.
Auch dieser zweite Kampf geht in „Leben“ weiter. „Im Grunde ging es in
allen Büchern, die mir gefielen, um dasselbe“, bemerkt der Ich-Erzähler an
einer Stelle zu Romanen von Ingvar Ambjörnson, Jack Kerouac, J. D.
Salinger, Hubert Selby und einigen Autoren mehr. Es seien „Bücher über
junge Männer, die sich in der Gesellschaft nicht zurechtfanden und etwas
mehr vom Leben wollten als Routine und Familie […] Sie reisten, sie
betranken sich, sie lasen, und sie träumten von der großen Liebe und dem
großen Roman.“
Trinken, lesen, träumen – auf diese Formel könnte man auch alles bringen,
was der Ich-Erzähler danach in diesem Band vollführt. Aber was heißt das
schon? Wer seinem eigenen Leben Bedeutung verleihen will, muss die eigenen
Erfahrungen, so gering sie auch scheinen mögen, vor solchen Abkürzungen
schützen. Nach dem Lesen dieses vierten Bands sehen Salinger, Selby und Co.
mit ihren zornigen Außenseitererzählern übrigens wie bessere
Jugendliteratur aus.
Es ist dieser zweite Kampf, der dieses Romanprojekt insgesamt für das
Nachdenken über Literatur interessant macht. Nur ein Hinweis. David Foster
Wallace hat auf das Umstelltsein von literarischen Formen mit
Überbietungsanstrengungen reagiert: noch in sich versponnener, noch
postmoderner. Karl Ove Knausgard folgt dagegen einem
Back-to-the-roots-Programm: aus den Fiktionsschranken aussteigen, von
seinen Kämpfen erzählen und dabei keine erzählerischen Kompromisse
eingehen.
Zwei Bände werden noch erscheinen. Zwei weitere Gelegenheiten, darüber
nachzudenken.
■ Karl Ove Knausgard: „Leben“. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg.
Luchterhand, München 2014, 620 Seiten, 22,99 Euro
28 Jun 2014
## AUTOREN
DIRK KNIPPHALS
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