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# taz.de -- Der Exodus wird weder theoretisch noch praktisch eingelöst
> FRANKFURT „Westend“, die Zeitschrift für Sozialforschung, wurde
> umgestaltet. Bei der Vorstellung des Hefts stritt man über
> entpolitisierten Messianismus
Das Frankfurter Institut für Sozialforschung – die Wiege der Kritischen
Theorie – wurde 1924 eingeweiht und musste 1933 ins Exil. Zwischen 1932 und
1941 arbeiteten namhafte Sozialwissenschaftler in der vom Institut
herausgegebenen „Zeitschrift für Sozialforschung“ zusammen. Seit 2004
erscheint unter Leitung des Institutsdirektors Axel Honneth eine
Nachfolgezeitschrift mit dem Titel Westend. Neue Zeitschrift für
Sozialforschung im Stroemfeld Verlag. Den Wechsel zum Campus Verlag nahmen
die Herausgeber zum Anlass für einen Relaunch der Zeitschrift, die eben in
Frankfurt vorgestellt wurde.
Der Relaunch betrifft vor allem das Format und die typografische
Gestaltung. Inhaltlich knüpft die Zeitschrift an das Programm an, das
Honneth so umschrieb: „Aus der Einsicht in die fatalen Folgen der enorm
gewachsenen Selbstabschottung der Disziplinen“ in den Sozialwissenschaften
solle die Zeitschrift vor allem einer „interdisziplinären Sozialforschung“
den Weg ebnen.
Dazu dienen thematische Schwerpunkte in jedem Heft, die einen Gegenstand
aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven analysieren. Im
Schwerpunkt des jüngsten Hefts wird das Thema „Exodus. Leben jenseits von
Staat und Konsum?“ behandelt. In fünf Beiträgen werden Protest- und
Widerstandsformen vorgestellt und kritisch befragt.
Isabelle Fremeaux und Margarita Tsomou zeigen an vielen existierenden
Widerstandsformen, dass die Vermutung falsch ist, der neoliberale
Finanzkapitalismus sei das einzige funktionierende System. Es gibt
Alternativen von unterschiedlicher Reichweite und Bedeutung. Juliane
Rebentisch geht in ihrem Beitrag mit dem Messianismus von Michael Hardt und
Antonio Negri hart ins Gericht und zeigt auf, dass „damit die Dimension des
Politischen selbst negiert wird“.
In historischer Perspektive beschäftigt sich Eva von Redecker in einem
gediegenen Essay mit Gustav Landauer und Martin Buber und deren
Revolutionsvorstellungen, die jenseits von Klassenkampf und Wunderglauben
angesiedelt sind.
Die fünf Beiträge zum Schwerpunktthema bieten einen klareren Überblick als
die theoretische und politische Rechtfertigung des Schwerpunkts „Exodus“
durch Daniel Loick. Auch im Gespräch zwischen ihm, Juliane Rebentisch, Eva
von Redecker und Ferdinand Sutterlüty bei der Vorstellung des Hefts in der
Frankfurter Autoren-Buchhandlung Marx & Co. blieb vieles diffus. Etwa was
denn das Zauberwort „Transformationstheorie“ bedeutet und wie sich die
Vorstellung eines „guten Lebens“ jenseits von Staat und Konsum realisiert.
Krampfhaft erscheint schon der Versuch, etwa das Neue der Occupy-Bewegung
in der Verknüpfung der Idee vom guten Leben mit dem politischen Kampf zu
sehen. Die Weigerung, das Aussteigen aus der Normalität und die Suche nach
neuen Arbeits- und Lebensformen wurden schon vor vierzig Jahren mit dieser
Verknüpfung begründet, aber weder theoretisch noch praktisch eingelöst.
Marcuses „große Weigerung“ blieb ein Appell, und der vermeintliche
„anthropologische Exodus“ (Hardt/Negri), den Daniel Loick ausgerechnet bei
der Kommune 2 von 1969 vermutet, versackte im perspektivenlosen
privatistischen Psychoterror wie der vermeintliche „Exodus“ der
Blumenkinder in Kalifornien und anderswo. Und auch der „Exodus“ in den
harten Terror war nur ein Sprung ins Leere – mit vernagelten Köpfen.
Diedrich Diederichsen fragte in dem im Heft abgedruckten Gespräch deshalb
mit Recht, was denn gewonnen werde, wenn man alte und neue Ausstiegs- und
Protestpraktiken mit der schillernden Metapher „Exodus“ bezeichne und diese
mit spekulativen Improvisationen über Transformation in Verbindung bringe
wie Hardt und Negri etwa.
Darauf bestand der Politikwissenschaftler Ferdinand Sutterlüty, der die
sozialen Proteste in Frankreich und England in den Jahren 2005 und 2011
nicht als „Exodus“, sondern als politische Aktionen interpretierte.
Allerdings als Aktionen ohne Adressaten – das sei purer Aktionismus aus
Verzweiflung. Fazit: modetheoretische Improvisationen wie „Exodus“ eignen
sich nicht als Instrument der Zeitdiagnose.
RUDOLF WALTHER
2 Jul 2014
## AUTOREN
RUDOLF WALTHER
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