# taz.de -- Diese Party wollte Partei sein | |
> Mit der Sendung „Glenn O’Briens TV Party“ kaperte die Downtown-Szene von | |
> Manhattan in den späten Siebzigern einmal pro Woche das New Yorker | |
> Kabelnetz. Eine DVD zeigt nun, wie damals das Musikfernsehen entstand: | |
> aus der Freude an der groß angelegten Vergeudung von Sendezeit | |
VON JULIAN WEBER | |
„Die einen mögen die Demokraten und die anderen die Republikaner, aufs | |
Fernsehen können sich alle einigen“, schreibt Glenn O’Brien in den | |
Linernotes zur DVD-Serie „TV Party“. Der dritte Weg in die bi-partisan | |
politics beginnt am 18. Dezember 1978 im Kabelfernsehen von Manhattan, als | |
der New Yorker Musikjournalist mit „Glenn O’Briens TV Party“ debütiert, … | |
vermutlich einzigen Punk-Unterhaltungsshow der Welt. „TV Party“ ist ein | |
anarchischer Vorläufer von MTV, die Show bebildert die New Yorker Punk- und | |
New-Wave-Ära zwischen 1978 und 1982. Eine Zeit, deren Musik seit einigen | |
Jahren wiederentdeckt wird, dessen bewegte Bilder aber versunken schienen. | |
O’Brien schreibt damals für den Rolling Stone und für englische | |
Musikmagazine, in New York gilt seine Musikkolumne „Glenn O’Brien’s Beat�… | |
in Andy Warhols Magazin Interview als Pflichtlektüre. Warhol ist es auch, | |
der ihn 1972 als Redakteur verpflichtet, bis 1974 hält O’Brien durch und | |
macht Interview zu einem einflussreichen Magazin. In Deutschland kennt man | |
ihn am ehesten durch sein Mitwirken am Hiphop-Film „Wildstyle“ (1983), in | |
dem er einen Museumskurator spielt. „Die Kolumne startete zeitgleich mit | |
Punkrock, und ich hing eh die ganze Zeit in den Clubs ab und kannte alle“, | |
erzählt er. „Musikalisch ist das eine besonders fruchtbare Zeit in New York | |
gewesen. D.N.A., Talking Heads, Blondie und dergleichen, es fing damit an, | |
dass die Bands im erweiterten Freundeskreis prominent werden wollten, und | |
darum kamen sie, als ich ihnen die Idee meiner Show unterbreitet habe, auch | |
gerne vorbei und halfen mit.“ Tatsächlich liest sich die Stabliste von „TV | |
Party“ wie ein Who’s who des New Yorker Undergrounds. Hinter den Kulissen | |
wirken unter anderem Lisa Rosen, Richard Sohl, Fab Five Freddy, Tim Wright, | |
Kate Simon, Bobby Grossman, Jean-Michel Basquiat und Amos Poe. Walter | |
Steding, Chris Stein und Debbie Harry spielen in der Hausband, dem „TV | |
Party Orchestra“. | |
Nicht nur Musik, auch Film und Kunst erleben Ende der Siebziger in New York | |
eine kreative Phase, Jean-Michel Basquiat, dem O’Brien im Zuge einer | |
Reportage über Graffiti begegnet, taucht einfach auf und wird zum festen | |
Bestandteil von „TV Party“. Der damals noch unbekannte Graffiti-Künstler | |
reagiert mit Teletext-Botschaften live auf das Geschehen: „Mock Penis Envy“ | |
wird da zum Beispiel eingeblendet, wenn Blondie eine Embryonalfassung von | |
„The Tide is high“ anstimmen. „TV Party“ kanalisiert das | |
Undergroundkulturleben, die Show ist der Versuch, die Atmosphäre aus den | |
Clubs ins Fernsehen, also ins Wohnzimmer zu verlegen. Smalltalk wird als | |
subversives Konzept in Punkrock eingebaut. „Eine Sache hatten wir von Andy | |
Warhol gelernt. Wenn er Interviews gab, dann spielte er mit den | |
Journalisten, und man wusste nie, redet er Quatsch oder meint er es ernst.“ | |
„Meine Wohnung kostete 100 Dollar im Monat und ich brachte die Miete auf, | |
indem ich ungeliebte Promoschallplatten vertickte“, berichtet O’Brien. „TV | |
Party“ findet in einem anderen, scheinbar weit entfernten Jahrtausend | |
statt, und New York ist damals auf einem weit entfernten Planeten. Punk | |
wird bei „TV Party“ integrationistisch verstanden, die Titelmelodie stammt | |
von Kool & the Gang, Amateure bedienen die Kameras, gerne werden die Füße | |
der Studiogäste fokussiert. Und im Regieraum schaltet der Filmemacher Amos | |
Poe wahllos hin und her, bis sich die Bilder wie in einem Buñuel-Film | |
übereinander legen. Die ersten zwei Minuten der Premiere gehören zwei | |
leeren Klappstühlen, die ein flimmerndes Stillleben bilden. Dann erst tritt | |
Moderator O’Brien vor das Studiopublikum, beißt sich kurz auf die Lippen | |
und stellt der Reihe nach die Gäste vor. | |
Als da wären: Fab Five Freddy, der später als Moderator von „Yo MTV Raps“ | |
berühmt werden sollte, „er wird uns das Neueste aus Bedford Stuyvesant | |
berichten“, ein gewisser Robert Brown, Vorsitzender der „Church of | |
Exquisite Panic“, eine Modejournalistin, deren Name im Mikrofonfeedback | |
untergeht, Andy Shernoff von den Protopunkern The Dictators, und Fred | |
Schneider, das Menjoubärtchen der B’52s. „Er schreibt übrigens auch | |
Gedichte, nicht nur großartige Songs. Wo kommst du her? Aus Georgia! Oh | |
nein!“ Außerdem wird ein nicht namentlich genannter Bärtiger im T-Shirt als | |
Quoten-Kanadier tituliert, woraufhin hysterisches Gelächter ausbricht. | |
„Welcome to TV-Party, the cocktail party, which also could be a political | |
party!“ Die improvisierte Begrüßungsfloskel von Glenn O’Brien wird zum | |
Slogan seiner Fernsehshow, „TV Party“ zum Zentralorgan der | |
Punk-Party-Partei. Bis 1982 bleibt sie, manchmal in wöchentlicher Folge, | |
auf Sendung. „Sie haben sicher schon von der Theorie des Global Village | |
gehört“, hebt O’Brien in der ersten Folge an und stolpert wieder aus dem | |
Bild. „So hat es uns ein Berater von Präsident Carter erklärt, wonach sich | |
die Welt auf der Mattscheibe immer ähnlicher wird. Quatsch! Ich denke bei | |
Fernsehen eher an Jogurt. Es ist eine Kultur, aber sie kommt in vielen | |
verschiedenen Geschmacksrichtungen daher.“ | |
„TV Party“ habe Glenn O’Brien keinerlei Karrieremöglichkeiten verschafft, | |
erklärt er. „Ich war damals an Performance interessiert. Später habe ich | |
einige Jahre Comedy mit Buster Poindexter (David Johansen von den New York | |
Dolls) gemacht.“ Anfang der Achtziger sitzt er auch an einem Drehbuch über | |
das funky Punk-New-York jener Jahre. „Downtown 81“ wurde zwar gedreht, | |
blieb aber wegen Finanzierungsschwierigkeiten unter Verschluss und wurde | |
erst vor wenigen Jahren veröffentlicht. Auf die Idee mit „TV Party“ kommt | |
O’Brien, als er selbst für die im Umfeld der Yippie-Partei angesiedelte | |
Sendung „If I can’t dance, you can keep your revolution“ gecastet wird. | |
Noch Tage danach wird er in der New Yorker U-Bahn erkannt und angesprochen. | |
„TV Party“ ist damals nur von ein paar tausend Kabelfernsehempfängern im | |
Großraum New York gesehen worden. Jetzt können es alle nachholen, ein | |
Dokumentarfilm über „TV Party“ ist erschienen, die meisten Beteiligten | |
kommen darin ausführlich zu Wort, und die wichtigsten Episoden sind auf DVD | |
veröffentlicht. Was schon lange wieder aus dem Programm von MTV | |
verschwunden ist und heute höchstens noch als Spurenelement bei einem | |
Sender wie Comedy Central mitschwingt, in „TV Party“ liegt es begründet: | |
Konzeptionelles Fernseh-Durcheinander, Talkshowelemente, | |
Livekonzerteinlagen und Standup-Comedy, Drogenberatung, Verkleidungsparty | |
und Seelsorge, Flirtshow und Kunsthappening. „TV Party“ füllt eine Lücke | |
zwischen Warhol, Punk und Dancefloor. Die Show beschreibt den Weg von der | |
Factory nach Downtown New York, mit vielen Ab- und Ausschweifungen. | |
Alle interessanten und kontroversen Popkünstler aus dem New York jener | |
Jahre sind bei „TV Party“ aufgetreten. Letztendlich ist die Show auch ein | |
Morsesignal aus einem heute in den Inselrepubliken und Stadtstaaten des | |
Internets verzettelten libertären Amerika, ein Sammelsurium aus | |
Emma-Goldmann-Zitaten, Medienprankstertum und tollen Songs. „TV Party“ ist | |
chaotisch, aber das geniale Dilettantentum bleibt fein abgeschmeckt. In den | |
USA kommen grundsätzlich alle immer rüber, als wären sie von Natur aus | |
Rampensäue. „Professionell sein kann doch jeder“, sagt Glenn O’Brien. �… | |
unprofessionell zu sein und doch interessant zu erscheinen, dafür braucht | |
es Talent. Wir waren Anti-Technik, wir waren gegen das Formatfernsehen, | |
gegen die Zwangsjacke der bürgerlichen Unterhaltungskultur. Fernsehen war | |
für uns ein Gemälde.“ | |
„TV Party“ ist interaktives Fernsehen, bevor es das überhaupt gibt. So ruft | |
O’Brien einmal die Kunstrichtung des „Sub-Realism“ ins Leben. „Schalten… | |
jetzt bitte um! Nehmen Sie die Fernbedienung zur Hand und zappen Sie sich | |
durch, bis Sie zu einem Werbespot gelangt sind. Dann kommen Sie wieder zu | |
uns zurück.“ Die regelmäßige, als Call-in getarnte Beschimpfungsarie durch | |
die Zuschauer ist ausdrücklich erwünscht und wird jeweils durch noch | |
härteres Echo seitens der Studiogäste beantwortet. „Ich war immer gegen | |
Reality-TV. Es gibt die Ansicht, die vermeintliche Blödheit der | |
Öffentlichkeit auszustellen, sei lustig und Trash sei Camp. Das ist | |
verlogen. ‚TV Party‘ hat immer versucht, die Leute mit Intelligenz | |
abzuholen. Philosophie ist möglich, wenn sie von schönen Menschen | |
präsentiert wird.“ | |
Warhols Filme seien ein wichtiger Einfluss gewesen, sagt O’Brien, der heute | |
in der Werbung arbeitet, im amerikanischen GQ über Mode schreibt und sich | |
als Stand-up-Essayist versteht. „Eigentlich wollten wir uns mit der Sendung | |
nur über das Fernsehen lustig machen. Wir haben Fernsehen immer als die | |
reale Regierung verstanden, als Kontrollorgan, das die Menschen rund um die | |
Uhr mit Nachrichten und Krimiserien überwacht.“ Marx und Lenin kleben als | |
Poster an der TV-Party-Studiowand. Alkohol und Drogen werden offen | |
konsumiert, unflätige Sprache kommt vor. Eine Folge ist in einem Wohnzimmer | |
aufgenommen, um den Zuschauern die Wohnzimmeratmosphäre noch näher zu | |
bringen. Die Ideen für die Sendung entstehen meist nur wenige Minuten vor | |
der Aufnahme. „Sendelöcher gab es oft, und wir zelebrierten sie auch, | |
fragten aufreizend in die Kamera, wie gehen wir nun weiter vor? Eigentlich | |
vergeudeten wir am liebsten Sendezeit.“ | |
Verschiedene Episoden von „TV Party“ sowie „TV Party – The Documentary�… | |
sind erschienen bei Brink Films ([1][www.tvparty.tv]) | |
18 Jan 2007 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tvparty.tv | |
## AUTOREN | |
JULIAN WEBER | |
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