# taz.de -- Unkontrolliertes Dokument | |
> DOKU-NEUERFINDER In den 60ern hat Klaus Wildenhahn das Doku-Kino in | |
> Deutschland neu erfunden. Quinka F. Stoehrs Film „Klaus Wildenhahn – | |
> Direct! Public and Private“ nähert sich dem bewegten Leben der Legende an | |
VON GASTON KIRSCHE | |
Bieder sei das Fernsehen Mitte der 60er gewesen, als er vom politischen | |
Fernsehmagazin Panorama zur Redaktion Kleines Fernsehspiel des NDR gekommen | |
sei, erzählt Klaus Wildenhahn in Quinka F. Stoehrs Dokumentation „Klaus | |
Wildenhahn – Direct! Public and Private“: zu den Bildern und Tönen habe es | |
die Interpretation gleich mitgeliefert. Unkritisch sei das alles gewesen – | |
ganz ähnlich wie heute. | |
Dass es auch anders geht, hat Wildenhahn damals vom nordamerikanischen | |
Direct Cinema gelernt. Das nämlich war ein „uncontrolled cinema“: Statt mit | |
abgeschlossener Recherche und festem Drehplan zu beginnen, müsse das | |
dokumentarische Filmen etwas Unkontrolliertes haben, erzählt der heute fast | |
81-Jährige in seinem Wohnzimmer in Eppendorf. Man müsse sich einlassen, | |
nicht vorgeben, alles kontrolliert darstellen zu können. Wenn die | |
Zuschauenden später den subjektiven Erkenntnisprozess der Filmmacher sehen | |
könnten, sei es ihnen besser möglich, sich aus dem Gesehenen auch eine | |
eigene Meinung zu bilden. Die Aufgabe des Dokumentarfilmes sei es dabei, | |
denen ein Forum zu geben, die sonst nicht zu Wort kommen – und zwar in | |
ihrer eigenen Sprache. | |
Das lehrte Wildenhahn zwischen 1968 und 1972 auch als Regie-Dozent an der | |
Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. „Über synthetischen und | |
dokumentarischen Film“ hieß 1972 seine einflussreiche theoretische | |
Reflexion über Methode und Technik des Dokumentarfilms. Heute sind seine | |
Filme und Texte an Filmhochschulen fester Bestandteil der Ausbildung, zum | |
80. Geburtstag ist vor kurzem eine Auswahl seiner Filme auf DVD erschienen. | |
Dabei hat Wildenhahn mit seiner Art zu dokumentieren auch immer wieder | |
angeeckt. 1975/76 drehte er etwa gemeinsam mit der Kamerafrau Gisela | |
Tuchtenhagen die fünfteilige Reihe „Emden geht nach USA“. Ausgangspunkt war | |
die Nachricht, dass der größte Arbeitgeber Ostfrieslands, VW, sein dortige | |
Autofabrik in die USA verlagern wolle. Wildenhahn und Tuchtenhagen lernten | |
Arbeiter aus dem Werk kennen, begleiteten sie mit der Kamera. Und | |
beschönigten nichts. Denn deutlich wurde dabei etwa, wie eng die IG | |
Metall-Führung mit der VW-Spitze verbunden war – und dass sie ganz andere | |
Interessen hatte als die ArbeiterInnen im Emdener Werk. Und auch die | |
Abhängigkeit von VW wurde deutlich: andere Lohnarbeit gab es außer elender | |
Schinderei auf den Höfen von Großbauern kaum in Ostfriesland. | |
Nachdem „Emden geht nach USA“ in der ARD gelaufen war, brach ein Sturm der | |
Entrüstung los: Ein „Radikales Machwerk“, „den Hirngespinsten linker | |
Ideologen entsprungen“. Und auch der NDR verteidigte die Reihe nicht, | |
sondern veranstaltete eine Livediskussion, in der sich Wildenhahn und | |
Tuchtenhagen vor ostfriesischen Honoratioren rechtfertigen mussten. Als | |
„Emden geht nach USA“ dann den Grimmepreis bekam, erklärten die | |
Programmdirektoren von NDR und WDR: Die Filme haben keinen Preis verdient. | |
Stoehr gibt Wildenhahn Raum, zu erzählen, wie sehr ihm das damals den Boden | |
unter den Füßen weggezogen hat: Von da an wurde er nur noch im dritten | |
Programm gesendet. Und auch sonst hat die Filmlegende viel zu erzählen. | |
Gemeinsam mit Wildenhahn streift Stoehr durch die mit Schätzen aus einer | |
verlorenen Zeit angefüllte Wohnung: voller Fotos, Malereien, Bücher und | |
Geschichten. Und zeichnet ein bewegendes Porträt eines bewegten Lebens. | |
Heute Abend stellt sie ihren Film gemeinsam mit Klaus Wildenhahn im | |
Lichtmess vor. Und am Mittwoch ist dann im Metropolis zu sehen, was damals | |
die deutsche Provinz gegen Wildenhahn aufbrachte: der erste Teil der | |
Emden-Reihe. | |
■ Do, 24. 2., 20 Uhr, Lichtmess, Gaußstraße 25; „Emden“-Film: Mi, 2. 3.… | |
Uhr, Metropolis, Steindamm 54 | |
24 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
GASTON KIRSCHE | |
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